Segne!

Gottes Partner

Auf ein Wort: Der Handschlag besiegelt eine Vereinbarung. Foto: fotolia

Gott segne dich.» Im Englischen ist das ein ganz normaler Ausdruck. Wir verwenden ihn ständig. Meistens, wenn jemand niest.

Von Anfang an segnet Gott. Es ist das Zweite, was Gott in der Bibel tut. In der Schöpfungsgeschichte segnet er drei Mal. Gott segnet die Lebewesen und Vögel, in-
dem er spricht: «Fruchtet und mehrt euch und füllet das Wasser in den Meeren, und das Vogelvolk mehre sich auf Erden!» (1. Buch Moses 1, 22).

Gott segnet die Menschen: «Gott segnete sie und sprach zu ihnen: ›Fruchtet und mehrt euch und füllet die Erde und be-mächtigt euch ihrer! Schaltet über das Fischvolk des Meeres, den Vogel des Him- mels und alles Lebendige, das auf Erden sich regt!‹» (1. Buch Moses 1, 28).

Gott segnet den Sabbat: «Da segnete Gott den siebenten Tag und heiligte ihn; denn an ihm ruhte er von all seinem Werk, das Gott zu wirken geschaffen.» (1. Moses 2, 3).

Im ersten Fall segnet Gott die Tiere und Vögel mit der Fähigkeit, sich zu vermehren. Wie es scheint, spendet Gott den Menschen denselben Segen – bis auf einen bedeutenden Unterschied. Im Gegensatz zu den Tieren spricht Gott die Menschen direkt an: «Gott segnete sie und sprach zu ihnen.» Das begründet die enge Verbin- dung zwischen Gott und den Menschen, die ihre Beziehung in der Bibel durchweg kennzeichnet.

Die göttlichen Segnungen setzen sich durch die ganze Bibel hindurch fort. Gott segnet Abraham am Beginn seiner Reise. Gott segnet Sarah mit einem Kind. Gott segnet Isaak nach dem Tod seines Vaters.

Möglichkeiten Wie können wir unser Leben mit Segen erfüllen? Dazu gibt es drei Möglichkeiten. Segne eine Sache oder eine Tat. Hast du schon einmal etwas tun wollen und dir dazu jemandes Segen gewünscht? Vielleicht hast du deinen Chef um Erlaubnis für den Versuch gebeten, ein bestimmtes Problem nach einem ganz neuen Ansatz zu lösen. «Ich würde das gerne ausprobieren. Habe ich dazu Ihren Segen?»

Vielleicht war es auch etwas Persönlicheres. Ein junger Mann, der sich in deine Tochter verliebt hat, bittet dich um ihre Hand: «Ich bitte um Ihren Segen.»

Wir waren bereit, einem jungen Mann, der sich in unsere Tochter verliebt hatte, unseren Segen zu geben. Havi hatte Sam (Name geändert) über eine bekannte Internet-Partnerbörse kennengelernt; auf dem Papier wirkte er perfekt. Er war 32 Jahre alt, Zahnarzt, wohnte ganz in der Nähe, war noch nie verheiratet gewesen, war groß, attraktiv – und Jude.

Ihre Beziehung begann mit E-Mails, aber nach einer Woche verabredeten sie sich in einem Café. Als Sam Havi persönlich sah, sagte er: «Vergiss den Kaffee, gehen wir lieber miteinander essen.» Bei uns nennt man so etwas ein «spontanes Upgrade».

Havi und Sam fanden sehr schnell zueinander. Er war sehr vielversprechend, und alles sah sehr, sehr gut aus. Sam war charmant, bezahlte alles und nahm Havi sogar mit zu den Gottesdiensten in seiner Synagoge.

Zeit Die beiden machten sich Geschenke, wir Eltern lernten uns kennen, und Sam war schon bald ständiger Gast bei uns zu Hause. So verging Monat um Monat, und allmählich fragten wir Havi: «Sag’ mal, wann fragt er dich, ob du ihn heiraten willst?» Wir waren fest überzeugt, dass die Verlobung unmittelbar bevorstünde. Aber heutzutage lassen sich die jungen Leute jede Menge Zeit.

Wir mochten Sam, und er mochte uns. Er bot sogar an, unser Zahnarzt zu werden. Ich war dazu bereit, aber Susie bekam einen Anfall: «Nie und nimmer steckt der seine Finger in meinen Mund», sagte sie. «Das ist mir zu unheimlich.» Aber ich ging zu ihm. Er machte seine Sache gut und berechnete das Familienhonorar. Ich riet Susie sehr zu, auch zu ihm zu gehen – und schließlich gab sie nach.

Du kennst das wahrscheinlich: Wenn man zum ersten Mal zu einem Arzt kommt, erhält man zunächst einmal ein Formular, auf dem man alle möglichen Angaben über sich machen muss. Bei Susies erstem Besuch bei Dr. Sam, fast ein Jahr nachdem Havi ihn kennengelernt hatte, erhielt sie ebenfalls besagtes Formular und setzte sich zum Ausfüllen ins Wartezimmer. In der ersten Zeile stand: «Name: .......» Susie schrieb: «Susan Wolfson.» In der zweiten Zeile stand: «So möchte ich am liebsten genannt werden.» Susie schrieb: «Mom.»

Ring Der gute Herr Doktor bemerkte es gar nicht oder tat zumindest so, als habe er es nicht bemerkt. Wir hätten wissen sollen, dass dies ein Zeichen war. Sam bat uns nie um unseren Segen, und auch das hätte uns ein Zeichen sein sollen. Schließlich gab er Havi einen Ring – und von da an ging’s bergab.

Es stellte sich heraus, dass Sam alles andere war als der nette junge Mann, für den wir ihn gehalten hatten. Havi tat eines der mutigsten Dinge, die man sich vorstellen kann – sie löste die Verlobung. Inzwischen hat sie einen wunderbaren Mann kennengelernt, und wir hoffen sehr, dass er uns um unseren Segen bittet, wenn es so weit ist.

Zählen Die zweite Möglichkeit, wie du dein Leben mit Segen erfüllen kannst, besteht darin, deine Segnungen zu zählen.
Wann zählt man seine Segnungen?

In dem Filmklassiker Weiße Weihnachten singt Bill Cosby das oscarnominierte Lied «Count Your Blessings Instead of Sheep» (Zähle deine Segnungen statt Schafe) von Irving Berlin. In dem Lied heißt es, wenn du niedergeschlagen bist – das Konto ist leer, du machst dir Sorgen und kannst nachts nicht schlafen – dann denke an die Zeiten, in denen du «ganz und gar nichts» hattest, denke an die «kleinen Lo-ckenköpfe», die in ihren Bettchen schlummern – und zähle deine Segnungen. Das ist ein guter Rat.

Niedlich Mein Neffe Avi wurde mit mitochondrialer Myopathie geboren und kann nicht sprechen. Der niedliche, liebenswerte Junge, der alle ungestüm umarmt, ist eine Herausforderung für meinen Bruder Doug und seine Frau Sara.

Entgegen allem Anraten weigerten sie sich, Avi in ein Heim zu geben und zogen ihn gemeinsam mit seinem Bruder Aaron und seiner Schwester Naomi zu Hause groß. Als unsere Familie eine Einladung zu Avis Barmizwa erhielt konnten wir es kaum glauben! Würde Avi die Gemeinde im Gebet leiten können? Wie sollte er aus der Bibel vorlesen? Und wie würde er seine Barmizwa-Rede halten können?

Der große Tag kam, und das Heiligtum war brechend voll. In seinem funkelnagelneuen Anzug schritt Avi zum Lesepult und wartete auf die Anweisungen seiner Lehrer. Der Rabbi erklärte, dass Avi zwar nicht sprechen könne, aber dennoch den Gottesdienst durch die Deutung der Gebete leiten würde.

Bevor das Dankgebet an Gott für den Segen der Schöpfung gesungen wurde, schritt Avi zur Mitte des Lesepults und zeigte stolz ein selbst gemaltes Bild von der Erschaffung des Himmels und der Erde. Vor dem Gebet zum Gedenken an die Ahnen zeigte er ein selbst gemachtes Poster vom Stammbaum seiner Familie. Und als es Zeit war, aus der Torarolle zu lesen, las sein Bruder Aaron vor, während Avi stumm mitlas.

Aufwachen Statt seiner Barmizwa-Rede sagte Avis Mutter: «Wenn Avi sprechen könnte, dann würde er Folgendes sagen: ›Danke euch allen, dass ihr gekommen seid und an meinem großen Tag teilnehmt. Mom und Dad, bitte entschuldigt, dass ich euch heute Morgen so früh geweckt habe, aber ich war einfach so aufgeregt. Aaron und Naomi, ich hab euch lieb, komme, was da wolle.

An meine ganze Familie: Ich habe Fotos von euch neben meinem Bett stehen und schaue sie mir jeden Abend an. Danke, meine Lehrer, dass ihr mir geholfen habt, mich auf diesen Tag vorzubereiten. Und ihr alle, denkt immer daran, alle zu begrüßen, so wie ich es tue, alle zu umarmen, so wie ich es tue, und alle zu lieben, so wie ich es tue.‹» Es gab niemanden, dem nicht Tränen in den Augen gestanden hätten.

Als dann das letzte Gebet gesprochen wurde, geschah ein Wunder! Avi sprach sein erstes Wort: «Yesss!» An jenem Tag, als Avi uns zeigte, welche Kraft die menschliche Seele hat, zählten wir unsere Segnungen.

Doug und Sara lehrten die Gemeinde an jenem Morgen noch etwas, nämlich die dritte Möglichkeit, die Segnungen in unserem Leben zu erkennen: Gottes Segen für diejenigen zu erbitten, die wir lieben.

Zeichensprache Bei Avis Barmizwa verzichteten Doug und Sara auf die übliche blumige Rede über die Leistungen ihres Kindes beim Fußball, in der Schule, beim Klavierspiel und beim Einkaufen, sondern standen einfach vor ihm und segneten ihn. Zu Beginn sagten sie ihm in der Zeichensprache lediglich vier Worte: «Wir haben dich lieb!» Danach baten Doug und Sara, wie viele jüdische Eltern dies an jedem Sabbat und wichtigen Feiertag tun, Gott um seinen Segen für ihr Kind.

Dabei sprechen die Eltern denselben Segen, den in uralter Zeit der Hohepriester über das Volk Israel gesprochen hat: «Es segne dich der Ewige und behüte dich! Der Ewige erleuchte dir sein Antlitz und sei dir gnädig! Der Ewige wende dir sein Antlitz zu und gebe dir Frieden!» (4. Buch Moses 6, 24-26).

Dieser Segen hat etwas sehr Außergewöhnliches. Es ist derselbe Segen, den Geistliche oft an wichtigen Stationen im Lauf des Lebens sprechen. Wenn Priester und Rabbis diese Worte sagen, welches Recht haben dann Eltern, diesen Segen über ihre Kinder zu sprechen? Die Antwort lautet: Jedes Recht! Du bist Gottes Partner und hast die Kraft zu segnen.

Wenn jemand dir zum Dank für etwas «Vergelt’s Gott» sagt, dann antworte: «Segne es Gott.» Sage zu den Menschen, die dir lieb sind, regelmäßig «Gott segne dich.» Gott segnet dich. Du kannst andere segnen.

Nachdruck aus «Der Himmel sucht Mitarbeiter – Gottes Aufgaben-Liste für seine irdischen Helfer», Crotona Verlag, Amerang 2011, 175 S., 15,95 €

Ron Wolfson stammt aus Omaha/Nebraska und ist eine der bekanntesten jüdischen Stimmen in den USA. Er lehrt als Professor für Pädagogik an der American Jewish University Los Angeles. Wolfson ist Bestsellerautor zahlreicher Bücher zu Themen des jüdischen Lebens («The Shabbat Seder» u.a.). Der Crotona Verlag hat zwei davon («Der Himmel sucht Mitarbeiter» und «Sieben Fragen, die auch im Himmel gestellt werden») in deutscher Übersetzung veröffentlicht.

Talmudisches

Datteln

Was unsere Weisen über den Verzehr der Frucht lehrten

von Rabbinerin Yael Deusel  01.11.2024

Israel

Kalman Bar ist neuer aschkenasischer Oberrabbiner

Im Vorfeld der Wahl gab es interne Machtkämpfe

 01.11.2024 Aktualisiert

Noach

Die Kraft des Gebets

Hätte sich Noach intensiver an den Ewigen gewandt, wäre es vielleicht nicht zur Sintflut gekommen

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2024

Essay

Die gestohlene Zeit

Wie der andauernde Krieg die Rhythmen des jüdischen Kalenders verzerrt. Beobachtungen aus Jerusalem

von Benjamin Balint  23.10.2024

Bereschit

Höhen und Tiefen

Sowohl Gut als auch Böse wohnen der Schöpfung inne und lehren uns, verantwortlich zu handeln

von Rabbinerin Yael Deusel  23.10.2024

Simchat Tora

Untrennbar verwoben

Können wir den Feiertag, an dem das Massaker begann, freudig begehen? Wir sollten sogar, meint der Autor

von Alfred Bodenheimer  23.10.2024

Deutschland

Sukkot in der Fußgängerzone

Wer am Sonntag durch die Bonner Fußgängerzone lief, sah auf einem zentralen Platz eine Laubhütte. Juden feiern derzeit Sukkot auch erstmals öffentlich in der Stadt - unter Polizeischutz

von Leticia Witte  20.10.2024

Laubhüte

Im Schatten Seiner Flügel

Für die jüdischen Mystiker ist die Sukka der ideale Ort, um das Urvertrauen in Gʼtt zu stärken

von Vyacheslav Dobrovych  16.10.2024

Freude

Provisorische Behausung

Drei Wände und ein Dach aus Zweigen – selbst eng gedrängt in einer zugigen Laubhütte kommt an Sukkot feierliche Stimmung auf

von Daniel Neumann  16.10.2024