Parascha

Gestern, heute, morgen

»Meinen Bogen habe Ich in die Wolken gesetzt; und er soll Zeichen des Bundes sein zwischen Mir und der Erde« (1. Buch Mose 9,13). Foto: Getty Images/iStockphoto

Kontinuität und Wandel – so könnte man die Botschaft unseres aktuellen Wochenabschnitts Emor beschreiben. Sie spiegelt Vergangenheit und Gegenwart, führt uns Beständigkeit und Veränderung vor Augen. Zum einen erfahren wir von gewesenen Dingen wie den Opfern im Stiftszelt und später im Tempel. Wir lesen einiges über die Lebensvorschriften für die Kohanim, wen sie beerdigen dürfen, mit wem sie sich verheiraten sollen und mit wem nicht, ja sogar, wie sie körperlich beschaffen sein müssen für den Dienst im Tempel.

In einer Generation, die Inklusion als einen wichtigen Aspekt der Gesellschaft betrachtet, wirft dieser Abschnitt heute etliche Fragen auf.

KALENDER Beinahe übergangslos erhalten wir dann einen Überblick über den jüdischen Festkalender zur biblischen Zeit, beginnend mit dem wöchentlichen Feiertag, dem Schabbat.

Den Abschluss der Parascha bildet die Geschichte eines Mannes, der wegen Blasphemie zum Tod verurteilt und hingerichtet wird. Im Kontext dieses Falles wird, wenn auch eher am Rande, die Patrilinearität der jüdischen Abstammung thematisiert, die inzwischen schon seit vielen Jahrhunderten der Matrilinearität gewichen ist.

Außerdem nimmt unsere Parascha auf partikuläre und universelle Vorschriften Bezug, wie die spezifisch jüdischen Speisegesetze auf der einen Seite und andererseits darauf, dass für alle das gleiche Recht anzuwenden sei, ganz gleich, ob Einheimischer oder Fremder.

kaschrut Manches davon hat nahezu unverändert Bestand bis zum heutigen Tag, wie die Kaschrut. Auch die biblischen Festtage mit ihren jeweiligen Eigenschaften, einschließlich der Zeiten, zu denen man sie feiert – allen voran der Schabbat, als immerwährendes Bundeszeichen zwischen dem Ewigen und Kindern Israels und ihren Nachkommen in allen Generationen.

Anderes ist im Laufe der Geschichte hinzugekommen oder in einer abgewandelten Form erhalten geblieben, wie zum Beispiel die Omerzählung zwischen Pessach und Schawuot, die das einstige Getreideopfer zur Omerzeit abgelöst hat. Einige Dinge haben in späteren Zeiten eine zusätzliche Bedeutung erlangt, wie die Menora und das Öl, mit dem ihre Flammen entzündet wurden.

Wir denken dabei heute nicht nur an den einstigen Tempel, sondern auch an Chanukka, das wir jedes Jahr feiern, auch wenn der Tempel längst nicht mehr steht, seine prächtige Menora unwiederbringlich verloren ist. Ein ursprünglicher Bestandteil des Tempels hat damit eine symbolhafte Bedeutung bekommen, so wie auch das Ner Tamid, das wir bis heute in unseren Synagogen vor dem Aron Hakodesch aufleuchten lassen.

JAHRTAUSENDE In all diesem, was dem Wandel der Zeit unterworfen ist, gibt es aber doch etwas, das unverbrüchlich und verlässlich bleibt, nämlich der Bund mit dem Ewigen, der aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart reicht und weiter in die Zukunft.

Wie halten wir ihn heute? So vieles hat sich geändert im Laufe der Jahrtausende, und auch das Judentum blieb nicht ohne Wandel. Es hat nicht als etwas Starres, Statisches überdauert, sondern es hat sich weiterentwickelt.

»Halacha« heißt sehr treffend »Weg«, was den Gedanken von Weiterentwicklung bereits in sich trägt. Gewiss, es gibt unveräußerliche Grundwerte des Judentums, Gesetze, über die es kaum eine Diskussion gibt. Es gibt aber auch zahlreiche Aspekte, über die man durchaus nachdenken kann.

beispiele Nur einige Beispiele: Darf man am Schabbat elektrisches Licht im Haus einschalten? Oder muss man sogar den Kühlschrank zulassen, weil beim Öffnen der Tür sonst das Licht im Kühlschrank angeht? Darf eine Frau Hosen tragen? Und wie ist es mit dem Anlegen von Tefillin? Ist es einem Kohen heute erlaubt, eine Frau zu heiraten, die keine Jungfrau mehr ist? Wie verhält es sich mit der Gleichberechtigung von Männern und Frauen in religiösen Ämtern? Und wie sieht es in der Moderne mit einer Anwendung der Todesstrafe aus? Nicht alle Fragen sind neu, wohl aber manche Antworten.

Ist es außerdem noch zeitgemäß, sämtliche Textstellen von den Tieropfern zur Tempelzeit zu lesen? Könnten wir solche Toraabschnitte heute nicht einfach weglassen?

Einmal ganz davon abgesehen, dass in der Tora kein überflüssiges Wort steht: Ich meine nicht, dass wir diese Punkte ausklammern dürfen, denn sie lehren uns etwas Entscheidendes darüber, wie wir dem Ewigen begegnen sollen. Freilich nicht mehr mit Widdern, auch nicht mit Schaubroten, Öl und Weihrauch. Aber die Kavana, die innere Einstellung der Menschen, die einst diese Opfer gebracht haben, ist so aktuell wie ehedem, wenn auch die Keva, die äußere Form, in unserer Zeit eine andere ist.

OPFERTIERE Der Kommentar zum Targum Onkelos von Israel Drazin und Stanley Wagner (Jerusalem 2008) fragt in diesem Zusammenhang nach dem heutigen Äquivalent für die Opfertiere. Wenn jene Tiere makellos sein mussten, sollten dann unsere Gebete, die heute den Opferdienst ersetzen, nicht ebenfalls »makellos dargebracht« werden?

Doch geht es dabei keinesfalls um ein fehlerfreies, aber mechanisches Aufsagen der Gebetstexte, sondern um die innere Haltung, mit der wir unser Gebet verrichten. Und es geht noch nicht einmal um den exakten Wortlaut der Gebete im G’ttesdienst. Vergessen wir nicht, dass auch dieser sich im Lauf der Jahrhunderte an manchen Stellen geändert hat, wenn auch nie ohne Grund.

Neue Zeiten werfen neue Fragen auf, die nach einer halachischen Antwort verlangen. Wer entscheidet nun, welche Gesetze wie auszulegen, wie anzuwenden sind? Je nachdem, welcher Strömung des Judentums man angehört, werden die Auslegungen unterschiedlich, doch stets aktuell sein.

lebensumstände Und das ist auch gut so. Zeigt es uns doch, dass das Judentum etwas Lebendiges ist, denn nur etwas Lebendiges kann sich auch weiterentwickeln, kann sich verändern mit den sich ändernden Lebensumständen, ohne sich zu assimilieren oder je beliebig zu sein.

Ebenso ist es gut, dass heute unterschiedliche jüdische Denominationen existieren. Die Einheit des Judentums besteht in der Vielfalt – gerade so wie ein Regenbogen erst durch alle seine Farben zu dem vollkommenen Bogen wird, den der Ewige einst als Bundeszeichen zwischen Himmel und Erde gesetzt hat.

Die Autorin ist Rabbinerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Mischkan ha-Tfila Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

inhalt
Am Anfang des Wochenabschnitts Emor stehen Verhaltensregeln für die Priester und ihre Nachkommen. Ferner wird beschrieben, wie die Opfertiere beschaffen sein müssen. Außerdem werden kalendarische Angaben zu den Feiertagen gemacht: Schabbat, Rosch Haschana, Jom Kippur und die Wallfahrtsfeste Pessach, Schawuot und Sukkot werden festgelegt. Gegen Ende des Wochenabschnitts wird erzählt, wie ein Mann den G’ttesnamen ausspricht und für dieses Vergehen mit dem Tod bestraft wird.
3. Buch Mose 21,1 – 24,23

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025

Exodus

Alle, die mit uns kamen …

Mit den Israeliten zogen noch andere »Fremde« aus Ägypten. Was wissen wir über sie?

von Sophie Bigot Goldblum  11.04.2025

Zaw

Das Volk der Drei

Warum zwischen Priestern, Leviten und gewöhnlichen Israeliten unterschieden wurde

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  11.04.2025

Stärke

An den Prinzipien festhalten

In der Haggada heißt es, dass Juden in jeder Generation Feinde haben werden. Klingt entmutigend? Soll es nicht!

von Rabbiner Raphael Evers  11.04.2025

Talmudisches

Ägypten

Was unsere Weisen über das Land des Auszugs der Israeliten lehrten

von Chajm Guski  11.04.2025

Chametz-Verkauf

Der etwas andere Broterwerb

Juden dürfen an Pessach gesäuertes Getreide weder essen noch besitzen. Das führte in der Geschichte zu existenzbedrohenden Problemen. Die Rabbiner fanden kreative Lösungen

von Rabbiner Dovid Gernetz  10.04.2025

Talmudisches

Birkat HaIlanot

Warum für unsere Weisen mit dem Anblick der blühenden Bäume nicht nur eine visuelle Freude verbunden ist

von Rabbinerin Yael Deusel  04.04.2025

Geschichte

Das Rätsel der christlichen Kabbala

In einer Dorfkirche im Schwarzwald hängt ein außergewöhnliches Gemälde. Unser Autor ist hingefahren, um die evangelische Sicht auf die jüdische Mystik zu verstehen

von Valentin Schmid  04.04.2025