Im Wochenabschnitt Wajakhel wird zum wiederholten Mal das Gebot der Schabbatruhe betont: »Sechs Tage darf Arbeit getan werden, aber am siebenten Tag sei euch ein Schabbat zur heiligen Feier dem Ewigen« (2. Buch Mose 35,2). Der berühmte Kommentator Raschi (1040–1104) erklärt, die Tora wiederhole das Schabbatgebot an dieser Stelle, um das Gebot, das Stiftszelt (Mischkan) zu bauen, einzuleiten. Diese Einführung soll uns zeigen, dass der Schabbat selbst für ein so wichtiges Gebot wie den Bau des Mischkans nicht gebrochen oder entweiht werden darf.
Damit möchte uns Raschi sagen, dass die Menschen sehr oft denken, dass sie die Toragebote ruhig brechen können, wenn sie denn höhere Ziele im Sinn haben. Man könnte sagen, dass man es nicht für den eigenen Nutzen tut, sondern ausschließlich um des Himmels Willen. Doch mit diesem Beispiel zeigt uns die Tora, dass ein solcher Gedanke der Tora widerspricht und sich gegen den Willen des Allmächtigen richtet.
gleichnis Von Rabbi Elchanan Wassermann (1874–1941) ist ein Gleichnis überliefert, das diesen Gedanken näher verdeutlicht: Eines Tages rief der König seinen treuesten Diener zu sich und beauftragte ihn, seinen Herrn bei einer Feier im benachbarten Königreich zu vertreten. Doch bevor der Diener sich auf den Weg machte, sagte der König zu ihm, er solle – was auch immer passieren und wie viel ihm dafür auch angeboten werden mag – keine Wette eingehen, mit niemandem und schon gar nicht mit dem König des Nachbarlandes. Der Diener freute sich. Er glaubte, er habe noch nie einen so leichten Auftrag erhalten und machte sich auf den Weg.
Im benachbarten Königreich rief ihn während der Feier, nach einigen Gläsern Sekt, der gastgebende König zu sich. Er sagte, er habe noch nie in seinem Leben einen so großen Buckel wie auf dem Rücken des Dieners gesehen. Der Diener erwiderte, Majestät hätten sich wohl getäuscht; er habe keinen Buckel, nach einigen Gläsern Sekt erscheine das möglicherweise nur so.
Doch der König bestand darauf und sagte, er sei bereit, mit ihm eine Wette einzugehen. Wenn der Diener sein Hemd ausziehe und alle sehen könnten, dass er wirklich keinen Buckel hat, dann wolle ihm der König sofort 1000 Goldmünzen geben.
Nun befand sich der Diener in einem großen Dilemma: Hatte er doch seinem König versprochen, unter keinen Umständen eine Wette einzugehen; und er hatte sein Wort immer gehalten. Doch andererseits war es eine Wette, die er unmöglich verlieren konnte, denn er wusste ja ganz genau, dass er keinen Buckel hatte und der betrunkene König sich das Ganze nur einbildete.
Also sagte sich der Diener: Der König hat bestimmt nur Wetten gemeint, bei denen er sich nicht sicher sein würde, ob er sie gewinnt oder verliert. Doch in diesem Fall ist der Ausgang ja ganz klar, also kann der König so eine Wette unmöglich gemeint haben. Und außerdem werde ich die 1000 Goldmünzen nach meiner Rückkehr dem König überlassen, um ihm zu beweisen, dass ich nur in seinem Sinne gehandelt habe.
Und so ging der Diener die Wette mit dem König des Nachbarlandes ein. Er zog sein Hemd aus, und alle konnten sehen, dass er keinen Buckel hatte. Der König ließ sofort die Goldmünzen bringen, und der Diener machte sich mit großer Freude auf den Heimweg.
Als er zu Hause ankam, fragte ihn sein König, wie die Feier verlaufen sei. Die Augen des Dieners brannten, er konnte es kaum erwarten, dass der König ihm weitere Fragen stellte. Da kam endlich die lang ersehnte Frage: »Hast du gewettet?« Der Diener rief: »Ja, aber ich habe 1000 Goldmünzen gewonnen und sie alle für dich und nur für dich mitgebracht!« Voller Stolz überreichte er dem König den Sack mit den Münzen.
Doch anstatt sich zu freuen, schien der König immer zorniger zu werden, sprang auf und fing an zu schreien: »Du Dummkopf, denkst du wirklich, dass du 1000 Münzen für mich gewonnen hast? Ich habe deinetwegen 9000 Münzen verloren, weil ich dir vertraute. Denn ich hatte mit dem König des Nachbarlandes um 10.000 Goldmünzen gewettet, dass es ihm unter keinen Umständen gelingen werde, mit dir irgendeine Wette einzugehen. Und du hast mein Vertrauen missbraucht.«
verlust Genau das passiert, sagt Rabbiner Wassermann, wenn eine Person anfängt, selbst irgendwelche Rechnungen aufzustellen und sich dafür entscheidet, sich einem Gebot der Tora zu widersetzen mit der Absicht, es um des Himmels Willen zu tun. Diese Person denkt zwar, dass es einen Gewinn bringen wird, doch in Wirklichkeit bringt es nur Verlust.
Es ist zwar unsere Aufgabe, die Tora zu erforschen und nach den Erklärungen für unsere Gebote zu suchen. Doch gleichzeitig müssen wir uns selbst eingestehen, dass wir nicht in der Lage sind, die Gebote aus unserer menschlichen Sicht einzuschätzen, insofern diese Bewertungen uns nicht vorgegeben sind. Aus diesem Grund dürfen wir niemals ein Gebot über das andere stellen und es für ein anderes zur Seite rücken, denn dabei riskieren wir, alles zu verlieren.
Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Gemeinde Freiburg.
Inhalt
Im Wochenabschnitt Wajakhel werden die Israeliten daran erinnert, das Schabbatgesetz nicht zu übertreten. Die Künstler Bezalel und Oholiab sollen aus freiwilligen Spenden Geräte für das Stiftszelt herstellen, und es wird die Bundeslade angefertigt.
2. Buch Mose 35,1 – 38,20
Pekudej, der letzte Abschnitt des Buches Schemot, berichtet von der Berechnung der Stoffe, die für das Stiftszelt verarbeitet werden, und wiederholt die Anweisungen zur Herstellung der Priesterkleidung. Die Arbeiten am Mischkan werden vollendet, und es wird eingeweiht. Über ihm erscheint eine »Wolke des Ewigen«.
2. Buch Mose 38,21 – 40,38