Pinchas

Geregelte Nachfolge

Ein Prozess, der Struktur und eine sensible Steuerung braucht: Staffelstabübergabe Foto: Getty Images

Le’Dor Va’Dor – von Generation zu Generation: Der geordnete Wechsel der Macht von einer Person zur nächsten ist eine der schwierigsten Aufgaben jeder Gemeinschaft. Vor diesem manchmal unlösbaren Problem steht eines Tages jede Nation, Glaubensgemeinschaft oder Organisation und auch jede Familie. Es ist eine große und komplizierte Herausforderung, die Loyalität und Autorität eines etablierten und akzeptierten Anführers auf den Nachfolger zu übertragen.

Im Wochenabschnitt Pinchas stehen die Israeliten vor dieser Herausforderung. Kurz vor dem Ende ihrer 40-jährigen Wanderung von Ägypten ins Gelobte Land erwarten sie den unvermeidlichen Tod ihres großen Anführers Mosche. In dieser Situation geht es um die Zukunft der Gemeinschaft. Um sie zu sichern, muss Mosche seinen Nachfolger legitimieren.

Rücktritt Oft ist die schwierigste aller Aufgaben beim Übergang, den derzeitigen Anführer davon zu überzeugen, dass es so weit ist, abzutreten, um Platz für den Nachfolger zu machen. Oft, ja sogar meistens, widersetzen sich die Führungspersönlichkeiten dem unausweichlichen Rücktritt.

Und nicht nur das, sie verlieren dabei oft den Blick für das, was für die Gemeinschaft am besten wäre, und handeln egoistisch. Gerade für solche Fälle ist Mosches Verhalten eine Lehre. Seine Ablösung von der Führungsrolle ist das Paradebeispiel, wie ein solcher Vorgang ablaufen soll.

»Da redete Mosche zum Ewigen und sprach: ›So bestelle der Ewige, der Gott des Odems in allem Fleisch, einen Mann über die Gemeinde, der vor ihnen ausgehen und vor ihnen eingehen, und der sie ausführen und einführen soll, damit die Gemeinde des Ewigen nicht sei wie Schafe, die keinen Hirten haben‹« (4. Buch Mose 27, 15–17).

Das Bemerkenswerte dabei ist, dass Mosche selbst feststellt, dass es eines Nachfolgers für ihn bedarf und es an der Zeit ist, mit dem Verzicht auf die Macht zu beginnen.

Unmittelbar davor war Mosche von Gott darüber informiert worden, dass sich sein Leben dem Ende nähert. Statt zu protestieren oder zu versuchen, mehr Zeit für sich auszuhandeln, bittet Mosche Gott, einen Nachfolger zu bestimmen, der das Volk wie ein Hirte führt. Mosche weiß, dass sein Volk geführt werden muss und dass ohne Benennung des Nachfolgers und ohne eine ordentliche Übergabe die Zukunft ein Desaster wird.

Hoffnung Dass der Führungswechsel nicht im Schatten des Todes stattfinden soll, ist unsere stetige Hoffnung, denn ein solcher Machtwechsel ist stets mit Komplikationen verbunden. Die Ablösung von der Führungsposition und der Ruhestand sind eine Metapher für das Loslassen von der Macht.

Aber auch wenn der Grund für den Führungswechsel der nahende Tod ist, gibt es Führungspersonen und Gruppen, die dies ausblenden und tatsächlich bis zum letzten Atemzug im Chefsessel sitzen bleiben, weil sie trotz aller Anzeichen nicht sehen wollen, dass es mit ihnen bald zu Ende ist. Damit verhindern sie einen Führungswechsel.

Und auch das sehen wir in unserer Tradition: Der Tanach beschreibt sehr ausführlich die letzten Tage von König David. Man erfährt, dass er es nicht bewältigt, die Führung zu übergeben. König David ist nicht in der Lage, zu bestimmen, wie er sich die Thronfolge vorstellt – mit dem Ergebnis, dass unter seinen Frauen und Söhnen Chaos und Konkurrenz entstehen.

ANweisung Der Ewige erhört Mosches Bitte, einen Nachfolger für ihn zu bestimmen, und gibt eine klare Anweisung: »Da sprach der Ewige zu Mosche: ›Nimm dir Jehoschua, den Sohn Nuns, einen Mann, in dem Geist ist, und lege deine Hand auf ihn. Und stelle ihn vor Elasar, den Priester, und vor die ganze Gemeinde und beauftrage ihn vor ihren Augen. Und tu von deinem Glanz auf ihn, damit die ganze Gemeinde der Kinder Israels gehorche. Und vor Elasar, den Priester, soll er treten, und er erfrage von ihm den Rechtsspruch der Urim vor dem Ewigen. Auf seinen Befehl sollen sie ausziehen und auf seinen Befehl einziehen, er und alle Kinder Israels mit ihm und die ganze Gemeinde‹« (4. Buch Mose 27, 18–21).

Und obwohl es Mosche ist, der um einen Nachfolger bittet, ist es Gott, der die Wahl trifft. Der Ewige bestimmt Jehoschua als neuen Anführer für Sein Volk.

Man könnte meinen, die Ernennung durch Gott reiche aus, doch die Tora sagt ganz klar, dass Gott Jehoschua zwar als Nachfolger benennt, er sich die Legitimation aber von der religiösen Führung, vom Priester Elasar, sowie vom Volk einholen muss. Ohne diese Akzeptanz, ohne diese Bestätigung ist kein neuer Anführer denkbar.

Und auch wenn das Volk und Mosche den neuen Mann an der Spitze legitimieren, sagt die Tora, er solle das Volk anders führen, als Mosche es getan hat. Man kann nämlich nicht denselben Führungsstil von einer anderen Person erwarten. Jehoschua wird dafür auch auf die Priester angewiesen sein, indem er die Urim befragt und sich somit priesterliche Hilfe einholt.

Vorbild Das Modell der Machtübergabe, das wir hier sehen, ist ein Beispiel dafür, wie man den Machtwechsel vollzieht, ohne das Volk in Angst und Panik zu versetzen.

Das Volk weiß, dass es einen neuen Anführer braucht, aber es weiß auch, dass er mit den bestehenden Strukturen und der Geschichte der Gemeinschaft in Verbindung steht und entsprechend auf sie eingehen kann.

Indem die Tora Jehoschuas Entscheidungsbefugnis damit verknüpft, dass er sich mit den religiösen Autoritäten beraten muss, zeigt sie, wie wichtig es ist, die Macht zwischen einem neuen Anführer und der fortdauernden organisatorischen Infrastruktur zu teilen.

Am Ende jedoch ist es Mosche, der seine Hände auf Jehoschua legt und ihm damit die notwendige Legitimität verleiht. Aus dieser Geste lernen wir die wichtigste Lektion bei der Machttransformation: Der alte respektierte und anerkannte Anführer muss seine Unterstützung und sein Vertrauen für den gewählten Nachfolger unter Beweis stellen und danach abtreten.

Machtwechsel können traumatisch sein, denn Veränderungen sind immer eine Herausforderung. Die Tora lehrt uns, dass solche Übergänge unvermeidlich sind. Um sie zu bewältigen, müssen die Kontinuität gefördert und die Zustimmung der Gemeinschaft eingeholt werden. Doch am allerwichtigsten ist die Bereitschaft des scheidenden Anführers, seinen Nachfolger zu unterstützen und dies auch öffentlich zu demonstrieren.

Der Autor ist Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

INHALT
Der Wochenabschnitt Pinchas berichtet von dem gleichnamigen Priester, der durch seinen Einsatz den Zorn Gottes abwandte. Dafür wird er mit dem »Bund des ewigen Priestertums« belohnt. Die kriegsfähigen Männer werden gezählt, und das Land Israel wird unter den Stämmen aufgeteilt. Mosches Leben nähert sich dem Ende. Deshalb wird Jehoschua zu seinem Nachfolger bestimmt. Am Schluss der Parascha stehen Opfervorschriften.
4. Buch Mose 25,10 – 30,1

Halacha

Kann ein Jude die Beerdigung des Papstes besuchen?

Papst Franziskus wird diesen Samstag, an Schabbat, beerdigt. Observante Juden könnte das vor komplizierte Fragen stellen

von Vyacheslav Dobrovych  25.04.2025

Schemini

Offene Türen

Die Tora lehrt, auch Fremde freundlich zu empfangen

von Rabbiner Bryan Weisz  25.04.2025

Nachruf

Förderer des katholisch-jüdischen Dialogs, aber auch harter Kritiker Israels

Papst Franziskus ist am Montag im Alter von 88 Jahren gestorben. Sein langjähriger Gesprächspartner, Rabbiner Jehoschua Ahrens, nimmt Abschied

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  24.04.2025 Aktualisiert

Chol Hamoed

Nur Mosche kannte die Freiheit

Warum das Volk Israel beim Auszug aus Ägypten ängstlich war

von Rabbinerin Yael Deusel  17.04.2025

Geschichte

Waren wir wirklich in Ägypten?

Lange stritten Historiker darüber, ob die Erzählung vom Exodus wahr sein könnte. Dann kamen die Archäologen

von Rabbiner Igor Mendel Itkin  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025

Exodus

Alle, die mit uns kamen …

Mit den Israeliten zogen noch andere »Fremde« aus Ägypten. Was wissen wir über sie?

von Sophie Bigot Goldblum  11.04.2025