Herr Rabbiner, die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz haben konferiert. Was ist neu daran?
Es war das erste Mal, dass die ORD und die Deutsche Bischofskonferenz eine gemeinsame Fachtagung durchführen. Die Vorgeschichte: 50 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil und der Erklärung »Nostra aetate« haben die Europäische Rabbinerkonferenz (CER), die amerikanische orthodoxe Rabbinerkonferenz (RCA) und das Israelische Oberrabbinat in dem Dokument »Zwischen Jerusalem und Rom« dazu Stellung genommen. Fast zeitgleich hat auch der Vatikan eine Erklärung zum Jubiläum von Nostra aetate veröffentlicht. Die dort festgeschriebene katholische Absage an die Judenmission und an die Substitutionstheologie, also das »Ersetzen« des Volkes Israel durch die Kirche, waren Voraussetzung für den Dialog auf Augenhöhe mit dem Judentum. Die beiden neueren Erklärungen haben Türen geöffnet, um einen gemeinsamen Raum zu betreten, in dem wir offen und – wie ich es empfand – auch sehr vertrauensvoll über unseren Glauben sprechen konnten.
Worum ging es noch?
Um das Verhältnis zum Staat Israel. In den ersten Jahren seit seiner Gründung 1948 hat die katholische Kirche den Staat Israel ignoriert. Seit 1993 gibt es einen Grundlagenvertrag zwischen dem Vatikan und Israel, aber lange Zeit keine theologische Auseinandersetzung. Das ändert sich, es ist ein Prozess, und die Neuerung ist, dass wir dabei mit einbezogen werden. Im jüdisch-christlichen Dialog in der Diaspora wurde das Thema bisher immer gerne ausgespart. Dass Israel für uns mehr ist als irgendein Staat, ist mittlerweile nicht mehr erklärungsbedürftig.
Was empfehlen Sie Ihren Kollegen?
Wir haben darüber gesprochen, wie das gegenseitige Verständnis und die Kenntnis der jeweils anderen Religion verbessert werden könnte, eventuell auch in der Aus- und Fortbildung der Priester und Rabbiner. Daneben dürfen wir den Dialog des Alltags, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in Vereinen oder beim Sport nicht vergessen.
Wollen Sie daran mitwirken?
Warum nicht? Ich hatte gerade zwei protestantische Vikare, die bei mir eine Woche lang hospitiert und meinen rabbinischen Alltag begleitet haben – vom Schabbat bis in die Schule. Die persönliche Begegnung bringt oft mehr als die Theorie.
Ist die Zeit des Abgrenzens vorbei?
Die Zeit, in der man die Unterschiede vor allem nutzte, um sich voneinander abzugrenzen, ist vorbei. Eine deutliche Differenzierung findet auf der religiösen Ebene statt – da sind Unterschiede, die wir nicht verwischen wollen. Wichtig ist heute, wie wir trotz der Unterschiedlichkeit im Glauben einen gemeinsamen Auftrag wahrnehmen, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Das hat uns der Anschlag von Halle noch einmal vor Augen geführt.
Mit dem Mitglied des Beirats der ORD sprach Ayala Goldmann.