Dialog

»Gemeinsamkeit statt Abgrenzung«

Rabbiner Julian-Chaim Soussan Foto: Marco Limberg

Herr Rabbiner, die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) und die katholische Deutsche Bischofskonferenz haben konferiert. Was ist neu daran?
Es war das erste Mal, dass die ORD und die Deutsche Bischofskonferenz eine gemeinsame Fachtagung durchführen. Die Vorgeschichte: 50 Jahre nach dem II. Vatikanischen Konzil und der Erklärung »Nostra aetate« haben die Europäische Rabbinerkonferenz (CER), die amerikanische orthodoxe Rabbinerkonferenz (RCA) und das Israelische Oberrabbinat in dem Dokument »Zwischen Jerusalem und Rom« dazu Stellung genommen. Fast zeitgleich hat auch der Vatikan eine Erklärung zum Jubiläum von Nostra aetate veröffentlicht. Die dort festgeschriebene katholische Absage an die Judenmission und an die Substitutionstheologie, also das »Ersetzen« des Volkes Israel durch die Kirche, waren Voraussetzung für den Dialog auf Augenhöhe mit dem Judentum. Die beiden neueren Erklärungen haben Türen geöffnet, um einen gemeinsamen Raum zu betreten, in dem wir offen und – wie ich es empfand – auch sehr vertrauensvoll über unseren Glauben sprechen konnten.

Worum ging es noch?
Um das Verhältnis zum Staat Israel. In den ersten Jahren seit seiner Gründung 1948 hat die katholische Kirche den Staat Israel ignoriert. Seit 1993 gibt es einen Grundlagenvertrag zwischen dem Vatikan und Israel, aber lange Zeit keine theologische Auseinandersetzung. Das ändert sich, es ist ein Prozess, und die Neuerung ist, dass wir dabei mit einbezogen werden. Im jüdisch-christlichen Dialog in der Diaspora wurde das Thema bisher immer gerne ausgespart. Dass Israel für uns mehr ist als irgendein Staat, ist mittlerweile nicht mehr erklärungsbedürftig.

Was empfehlen Sie Ihren Kollegen?
Wir haben darüber gesprochen, wie das gegenseitige Verständnis und die Kenntnis der jeweils anderen Religion verbessert werden könnte, eventuell auch in der Aus- und Fortbildung der Priester und Rabbiner. Daneben dürfen wir den Dialog des Alltags, in der Nachbarschaft, am Arbeitsplatz, in Vereinen oder beim Sport nicht vergessen.

Wollen Sie daran mitwirken?
Warum nicht? Ich hatte gerade zwei protestantische Vikare, die bei mir eine Woche lang hospitiert und meinen rabbinischen Alltag begleitet haben – vom Schabbat bis in die Schule. Die persönliche Begegnung bringt oft mehr als die Theorie.

Ist die Zeit des Abgrenzens vorbei?
Die Zeit, in der man die Unterschiede vor allem nutzte, um sich voneinander abzugrenzen, ist vorbei. Eine deutliche Differenzierung findet auf der religiösen Ebene statt – da sind Unterschiede, die wir nicht verwischen wollen. Wichtig ist heute, wie wir trotz der Unterschiedlichkeit im Glauben einen gemeinsamen Auftrag wahrnehmen, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Das hat uns der Anschlag von Halle noch einmal vor Augen geführt.

Mit dem Mitglied des Beirats der ORD sprach Ayala Goldmann.

Ethik

Eigenständig handeln

Unsere Verstorbenen können ein Vorbild sein, an dem wir uns orientieren. Doch Entscheidungen müssen wir selbst treffen – und verantworten

von Rabbinerin Yael Deusel  10.01.2025

Talmudisches

Greise und Gelehrte

Was unsere Weisen über das Alter lehrten

von Yizhak Ahren  10.01.2025

Zauberwürfel

Knobeln am Ruhetag?

Der beliebte Rubikʼs Cube ist 50 Jahre alt geworden – und hat sogar rabbinische Debatten ausgelöst

von Rabbiner Dovid Gernetz  09.01.2025

Geschichte

Das Mysterium des 9. Tewet

Im Monat nach Chanukka gab es ursprünglich mehr als nur einen Trauertag. Seine Herkunft ist bis heute ungeklärt

von Rabbiner Avraham Radbil  09.01.2025

Wajigasch

Nach Art der Jischmaeliten

Was Jizchaks Bruder mit dem Pessachlamm zu tun hat

von Gabriel Umarov  03.01.2025

Talmudisches

Reich sein

Was unsere Weisen über Geld, Egoismus und Verantwortung lehren

von Diana Kaplan  03.01.2025

Kabbala

Der Meister der Leiter

Wie Rabbiner Jehuda Aschlag die Stufen der jüdischen Mystik erklomm

von Vyacheslav Dobrovych  03.01.2025

Tradition

Jesus und die Beschneidung am achten Tag

Am 1. Januar wurde Jesus beschnitten – mit diesem Tag beginnt bis heute der »bürgerliche« Kalender

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  01.01.2025 Aktualisiert

Chanukka

Sich ihres Lichtes bedienen

Atheisten sind schließlich auch nur Juden. Ein erleuchtender Essay von Alexander Estis über das Chanukka eines Säkularen

von Alexander Estis  31.12.2024