Identität

Gemeinsam stark

Modernes Brauchtum: Kinder in Tel Aviv feiern Jom Haazmaut mit aufblasbaren Plastikhämmern. Foto: Flash 90

Der Wochenabschnitt Emor beschäftigt sich vor allem mit den Kohanim, den Priestern im Tempel. Er legt ihre zeitlichen und kultischen Aufgaben fest und beschreibt detailliert, was ein Priester zu tun und zu lassen hat, damit er für seine heilige Funktion rein bleibt. Es scheint eine sehr schwierige Aufgabe gewesen zu sein, all die Vorschriften zu befolgen, die die Priester vom Rest des Volkes unterschieden und ihren besonderen Status hervorhoben. Bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels erfüllten die Priester eine wichtige Funktion beim Darbringen von Opfern. Durch sie erreichte der einfache Mensch den Ewigen.

In manchen Richtungen des Judentums spielt die priesterliche oder levitische Abstammung eines Menschen heute keine Rolle mehr. Doch in traditionell ausgerichteten Strömungen haben die Nachfahren der Priester nach wie vor eine besondere Stellung. So sind heute noch die Reinheitsgebote, Teile des Familienrechts und die Funktion der Kohanim in liturgischen Handlungen an die alten Traditionen gebunden.

priestergesetze Es erscheint folgerichtig, dass im zweiten Teil unseres Wochenabschnitts, nachdem die Priestergesetze genannt worden sind, die biblische Erzählung mit dem Aufzählen der Feste beginnt. Bekanntermaßen waren die Feiertage damals fest mit dem Tempelkult verbunden.

Die Feste hatten aber auch eine weitere, sehr wichtige Funktion: Sie waren der gemeinsame Nenner des jüdischen Volkes, denn die Menschen hatten die Pflicht, zu den Festen zum Tempel nach Jerusalem zu pilgern und dort gemeinsam die Feiertage zu begehen.

Durch die historischen Umstände pilgern wir heute nicht mehr nach Jerusalem, um die Gnade Gottes durch Tempelopfer zu suchen. An die Stelle der Opfer sind Gebete getreten.

In den vergangenen zwei Wochen haben wir drei Feiertage begangen, die weder im Tanach noch in der rabbinischen Literatur erwähnt werden: Jom Haschoa, Jom Hasikaron und Jom Haazmaut. Das sind die neuen »heiligen Tage« unseres Kalenders. Anders als die meisten anderen Feiertage hat sie der Ewige dem jüdischen Volk nicht in der Wüste gegeben. Dementsprechend haben wir auch keine Vorgaben, wie viele Stiere geopfert werden sollen und welche Menge Wein über dem Altar vergossen wird.

Gedenktage Es sind von Menschen erschaffene Feiertage. Manchen Observanten bereitet es Probleme, dass dem jüdischen Kalender neue Feiertage hinzugefügt wurden und dass dazu auch »kultische Handlungen« entwickelt und durchgeführt werden. Aber diese neuen Feiertage haben eine sehr große Bedeutung für das jüdische Volk. Im Gegensatz zu den Festen der Bibel, die immer einen religiösen Bezug haben, sind die neuen Feier- und Gedenktage für das gesamte jüdische Volk gemacht. Es sind Tage, die sowohl sehr religiöse als auch absolut säkulare Juden betreffen.

Alle drei Tage stehen in enger Verbindung zueinander. Das Gedenken an die Opfer der Schoa, die Erinnerung an die gefallenen Töchter und Söhne des jüdischen Staates und die Feier der Unabhängigkeit Israels stehen in unmittelbarem Zusammenhang. Auf der einen Seite steht die größte und schlimmste Katastrophe in der jüdischen Geschichte und auf der anderen Seite die Erfüllung der göttlichen Prophezeiung: die Rückkehr in das versprochene Land und die Gründung eines unabhängigen jüdischen Staates.

Zwei Gegensätze, die miteinander zusammenhängen und so typisch für das Schicksal unseres Volkes sind. Wie oft in unserer leidvollen Geschichte standen wir kurz vor dem Ende und wurden dann erlöst. Dazwischen liegt der Tag des Gedenkens an die Menschen, die im Kampf für den Staat Israel fielen, die ihr Leben dafür gaben, dass das jüdische Volk weiter existieren kann.

Der Zusammenhang zwischen dem, was im Wochenabschnitt beschrieben wurde, und der heutigen Zeit ist für mich eine Wiederholung. Damals in der Wüste war es wichtig, der Gruppe ehemaliger Sklaven einen Zusammenhalt zu geben: Feste, die sie gemeinsam begehen konnten und die sie zu einem Volk einten. Genauso ist die Entstehung der neuen Feier- und Gedenktage, für die das jüdische Volk einen sehr hohen Preis zahlen musste, ein Versuch, Israel zu einen, es zu einem Ganzen zusammenzufügen, indem man gemeinsam gedenkt und gemeinsam feiert: Tage, die alle Juden weltweit an unser Schicksal und unsere Geschichte erinnern und uns zusammenführen.

Der Autor ist Landesrabbiner von Thüringen und Vorsitzender von arzenu, dem Bund progressiver Zionisten Deutschland.

Inhalt
Am Anfang des Wochenabschnitts Emor stehen Verhaltensregeln für die Priester und ihre Nachkommen. Ferner wird beschrieben, wie die Opfertiere beschaffen sein müssen. Außerdem werden kalendarische Angaben zu den Feiertagen gemacht: Schabbat, Rosch Haschana, Jom Kippur und die Wallfahrtsfeste Pessach, Schawuot und Sukkot werden festgelegt. Gegen Ende des Wochenabschnitts wird erzählt, wie ein Mann den Gottesnamen ausspricht und für dieses Vergehen mit dem Tod bestraft wird.
3. Buch Mose 21,1 – 24,23

Wajigasch

Nach Art der Jischmaeliten

Was Jizchaks Bruder mit dem Pessachlamm zu tun hat

von Gabriel Umarov  03.01.2025

Talmudisches

Reich sein

Was unsere Weisen über Geld, Egoismus und Verantwortung lehren

von Diana Kaplan  03.01.2025

Kabbala

Der Meister der Leiter

Wie Rabbiner Jehuda Aschlag die Stufen der jüdischen Mystik erklomm

von Vyacheslav Dobrovych  03.01.2025

Tradition

Jesus und die Beschneidung am achten Tag

Am 1. Januar wurde Jesus beschnitten – mit diesem Tag beginnt bis heute der »bürgerliche« Kalender

von Rabbiner Jehoschua Ahrens  01.01.2025 Aktualisiert

Chanukka

Sich ihres Lichtes bedienen

Atheisten sind schließlich auch nur Juden. Ein erleuchtender Essay von Alexander Estis über das Chanukka eines Säkularen

von Alexander Estis  31.12.2024

Brauch

Was die Halacha über den 1. Januar sagt

Warum man Nichtjuden getrost »Ein gutes neues Jahr« wünschen darf

von Rabbiner Dovid Gernetz  01.01.2025 Aktualisiert

Mikez

Schein und Sein

Josef lehrt seine Brüder, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie auf den Betrachter wirken

von Rabbiner Avraham Radbil  27.12.2024

Chanukka

Wie sah die Menora wirklich aus?

Nur Kohanim konnten die Menora sehen. Ihr Wissen ist heute verloren. Rabbiner Dovid Gernetz versucht sich dennoch an einer Rekonstruktion

von Rabbiner Dovid Gernetz  25.12.2024

Resilienz

Licht ins Dunkel bringen

Chanukka erinnert uns an die jüdische Fähigkeit, widrigen Umständen zu trotzen und die Hoffnung nicht aufzugeben

von Helene Shani Braun  25.12.2024