In den frühen Tagen des Unabhängigkeitskrieges 1948 hatte Israel Schwierigkeiten, Unterstützung von anderen Ländern zu erhalten. Nur wenige waren bereit, dem jungen jüdischen Staat bei der Beschaffung der richtigen Ausrüstung für seine Verteidigung zu helfen. Es galt ein internationales Waffenembargo, und das einzige Land, das bereit war, Israel Waffen zu verkaufen, war die finanziell angeschlagene Tschechoslowakei, die auch die Ausbildung israelischer Piloten und anderer Spezialisten anbot.
Viele israelische Agenten, darunter Naftali Lau-Lavie (1926–2014), der Bruder des späteren israelischen Oberrabbiners Israel Meir Lau (der damals noch ein Kind war), wurden in die Tschechoslowakei geschickt, um dort ausgebildet zu werden und Ausrüstung für die Verteidigung des neu gegründeten jüdischen Staates zu besorgen.
In seiner Autobiografie Balaamʼs Prophecy erinnert sich Lau-Lavie daran, wie »unsere Männer die Uniformen der tschechischen Luftwaffe trugen«. Sie mussten sich verkleiden, um der Entdeckung durch Spione zu entgehen, was zum Scheitern ihrer Mission geführt hätte.
In unserem Wochenabschnitt verkleidet sich Jakow, von seiner Mutter Riwka unterstützt, als sein Bruder Esaw, damit er von seinem Vater den Segen erhält, der die Zukunft des jüdischen Volkes bestimmen wird.
Wie kann es sein, dass Riwka Jakow davon überzeugte, auf diese Weise zu handeln, um von Jizchak den Segen zu erhalten, der eigentlich seinem Bruder Esaw zustand?
Esaw verkaufte sein Erstgeburtsrecht für eine Schüssel Linsen – er hatte Hunger.
Riwka hatte sehr gute Argumente, und sie hatte das Gefühl, dass Jizchak einen Fehler gemacht hatte, als er den Segen Esaw und nicht Jakow geben wollte. Sie hatte direkt von Gʼtt gehört, dass »der Ältere dem Jüngeren dienen sollte«.
Esaw hatte sein Erstgeburtsrecht verschmäht und gesagt: »Was nützt mir dieses Erstgeburtsrecht?« Er verkaufte es für eine Schüssel Linsen, weil er hungrig war. Er hatte kürzlich zwei hethitische Frauen genommen, was nicht gern gesehen wurde, da sie andere Götter verehrten.
Dies waren alles sehr gute Argumente, die Riwka dafür hätte verwenden können, dass Jakow anstelle von Esaw den Segen erhielt. Warum nutzte sie diese nicht, sondern verschaffte ihm den Segen auf verdeckte Weise? Warum schickte sie Jakow, der als Esaw verkleidet war, anstatt ihren Mann zur Rede zu stellen?
Der Malbim, Rabbi Meir Leibusch ben Jechiel Michel Wisser (1809–1879), erklärt, ein solches Gespräch habe zwischen Jizchak und Riwka tatsächlich stattgefunden. Riwka habe alle Argumente dafür vorgebracht, Jakow den Segen für Esaw zu geben.
Laut dem Malbim verstand Jizchak die Natur seiner Söhne sehr gut. Esaw war aggressiv, ein Jäger, der im Freien lebte und körperlich aktiv war und immer bekam, was er wollte. Jakow hingegen war reinen Herzens, lernte den ganzen Tag Tora und kümmerte sich nicht um physische Dinge.
Jizchak hatte zwei Segnungen zu geben: einen physischen Segen sowie den spirituellen Segen
Jizchak wusste, dass er das Erbe des jüdischen Volkes durch seine Führung sichern musste. Eine solche Rolle erforderte nicht nur eine mitfühlende und moralische Führung und jemanden, der verstand, was Gʼtt will, mitfühlende Gerechtigkeit und moralische Gerechtigkeit. Es brauchte auch jemanden mit Kraft, jemanden, der für Moral eintritt und gegen Ungerechtigkeit kämpft. Das erfordert Stärke und sogar militärische Macht und materielle Ressourcen. So sah Jizchak seinen Sohn Jakow nicht.
Jizchak hatte zwei Segnungen zu geben: einen physischen Segen sowie den spirituellen Segen, das Erbe Awrahams, mitfühlende Gerechtigkeit und moralische Führung. Den spirituellen Segen wollte er Jakow geben, den physischen Segen jedoch, dachte er, sollte sein Sohn Esaw bekommen.
Riwka verstand, dass beide Segnungen zusammengehalten werden mussten, wenn Jakow und seine Nachkommen ihre Mission in der Welt erfolgreich erfüllen wollten. Sie verstand, dass Spiritualität eine materielle Grundlage braucht. Der Segen der Tora musste mit dem materiellen Segen einhergehen, den Jizchak Esaw geben wollte. Derselbe Sohn musste also beide Segnungen erhalten.
Jizchak glaubte nicht, dass Jakow wissen würde, was er mit der körperlichen Segnung anfangen sollte. Hier widersprach Riwka ihrem Mann.
Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) hat angemerkt, Riwka habe gewusst, dass Esaw irgendwann kommen würde, um seinen Segen zu erhalten, doch indem sie Jakow als seinen Bruder verkleidet schickte, habe sie bewiesen, dass Jakow auch des physischen Segens würdig war.
Indem er sich als sein Bruder verkleidete, bewies Jakow, dass er, wenn er etwas unbedingt wollte, bereit wäre, Esaws Hände zu benutzen, um es zu bekommen. Jakow saß nicht nur den ganzen Tag und beschäftigte sich mit der Spiritualität der Tora und der Weisheit, er würde auch erfolgreich in der Lage sein, Esaws Hände zu nutzen.
Jizchak gab dem Sohn, von dem er glaubte, dass es sich um Esaw handelte, den physischen Segen. Den spirituellen Segen gibt er Jakow ganz am Ende der Parascha, bevor er zum Haus seines Schwiegervaters Lawan aufbricht.
Jakow erhielt beide Segnungen, den Segen der mitfühlenden Rechtschaffenheit und der moralischen Gerechtigkeit, aber auch den materiellen Segen, um dies zu untermauern.
Als Jizchak den zweiten Segen gab, den Segen Awrahams, verstand er, dass Jakow tatsachlich beide Segnungen verdient hatte. Er war ein würdiger, mitfühlender Anführer, aber auch in der Lage zu handeln, um alles Nötige zu tun, seine Mission zum Erfolg zu führen. Diese Segnungen würde er als Vermächtnis an das jüdische Volk an seine Nachkommen weitergeben.
Naftali und Rabbi Israel Meir Lau zeigen uns, was zwei Brüder erreichen können.
Die Geschichte der Gründung des Staates Israel spiegelt diese alte Geschichte wider. Der jüdische Staat hätte in seinen ersten Monaten nicht ohne Geschichten von Helden wie Naftali Lau-Lavie überleben können, Schoa-Überlebenden, die sich wie Jakow buchstäblich verkleideten, damit eine sichere Heimat für das jüdische Volk möglich wäre.
Die beiden Brüder Naftali und Rabbi Israel Meir Lau zeigen uns, was zwei Brüder erreichen können, wenn sich die von Jakow gegebenen Segnungen vereinen. Naftali begann seine Arbeit als Diplomat und Botschafter und knüpfte Beziehungen, die zur Gründung und Errichtung des modernen Staates Israel beitrugen. Sein jüngerer Bruder, der später israelischer Oberrabbiner wurde, half dabei, eine moralische und mitfühlende Führung auf der Grundlage der Tora zu etablieren.
Dies ist heute eine wichtige Lektion für uns. Damit wir das Potenzial der Segnungen, die Jakow zuteilwurden, voll ausschöpfen können, müssen wir unsere Anstrengungen, sowohl weltliche als auch heilige, bündeln und zusammenarbeiten.
Wenn wir in der Lage sind, den körperlichen Segen der Stärke mit den Lehren unserer mitfühlenden Tora zu kombinieren, können wir großen Erfolg haben.
Der Autor ist Rabbiner in London.