EILMELDUNG! Internationaler Strafgerichtshof erlässt Haftbefehl gegen Israels Premier Netanjahu

Mikez

Gegenhalten

Foto: Getty Images/iStockphoto

Im Wochenabschnitt Mikez hält Josef, der sich als Ägypter ausgibt, seinen Bruder Schimon in Ägypten gefangen. Er droht damit, ihn so lange nicht freizulassen, bis alle anderen Brüder – also auch Benjamin – in Ägypten erscheinen. Mit diesem Manöver wollte Josef seine Brüder zum Zusammenhalt motivieren und den spirituellen Schaden, der durch seinen Verkauf in die ägyptische Sklaverei entstanden war, wieder in Ordnung bringen.

Reuven aber scheitert mit dem Versuch, seinen Vater Jakow davon zu überzeugen, auch Benjamin mitziehen zu lassen. »Da sprach Jakow, ihr Vater, zu ihnen: Ihr beraubt mich meiner Kinder (…). Mein Sohn soll nicht mit euch hinabziehen; denn sein Bruder ist tot (…). Wenn ihm ein Unfall auf dem Wege begegnete (…), würdet ihr meine grauen Haare mit Herzeleid hinunter zu den Toten bringen« (1. Buch Mose 42, 36–38).

Doch eine gerade grassierende Hungersnot wird immer stärker, und nun unternimmt Jehuda einen Versuch, den Vater zu überreden. Anders als sein Bruder Reuven ist Jehuda dabei erfolgreich. Jakow selbst reagiert erst verärgert und wütend, willigt letztendlich jedoch ein. In diesem Kontext wird der Name Jakow aber plötzlich nicht mehr verwendet, sondern Israel, sein anderer Name, den er nach seinem legendä­ren Kampf mit dem Engel empfangen hat.

»Israel sprach: Warum habt ihr so übel an mir getan, dass ihr dem Mann sagtet, dass ihr noch einen Bruder habt? (…) Wenn es denn so ist, wohlan, so tut’s und nehmt von den besten Früchten des Landes in eure Säcke und bringt dem Mann Geschenke hinab, ein wenig Balsam und Honig, Harz und Myrrhe, Pistazien und Mandeln. Nehmt auch doppelt so viel Geld mit euch. Das Geld, das ihr obenauf in euren Säcken wiederbekommen habt, bringt wieder hin. Vielleicht ist da ein Irrtum geschehen« (1. Buch Mose 43, 11–12).

Die Antworten Jakows fallen sehr unterschiedlich aus

Es ist schon sehr auffällig, wie unterschiedlich die Antworten Jakows ausfallen. Noch mehr springt allerdings ins Auge, dass die Tora seinen anderen Namen benutzt, um ihn als Sprecher der neuen Antwort zu markieren.

Jakow scheint eher der vorsichtige Typ zu sein. Schnell macht er sich Gedanken über mögliche negative Konsequenzen, kurzum, er hat Angst. Israel dagegen zeigt Wut statt Trauer, ist aber schnell wieder gelassen. Er gibt strukturierte Anweisungen und schließt auch ein Missverständnis nicht aus. Anders als die Antwort von Jakow beinhaltet die von Israel kein Katastrophenszenario. Man könnte ihn sogar durchaus als einen Realisten mit Hang zum Optimismus charakterisieren.

Aber Jakow und Israel sind ein und derselbe Mensch. Wieso fallen die Antworten dann so unterschiedlich aus? Um diese Frage beantworten zu können, müssen wir uns zunächst die Geschichte von Jakow/Israel einmal näher ansehen. Weil sich Jakow bei der Geburt genau an die Ferse, auf Hebräisch »Ekev«, seines Zwillingsbruders klammert, wird er in Anlehnung an dieses Wort Jakow genannt (25,26). Sein Name – in der Tora ist dieser immer ein Ausdruck des Wesens einer Person – wird also in Anlehnung an das physisch niedrigste Körperteil des Menschen gebildet. Zudem wird er als eine Person beschrieben, die lieber im heimischen Zelt bleibt und nicht wie sein Bruder Esaw auf die Jagd geht. Ohnehin verlässt er ungern seinen Wohnplatz, viel lieber verbringt er die Zeit mit Studieren.

Das Wort, mit dem Jakow in diesem Kontext gern beschrieben wird, lautet »Tam« (25,27). Es drückt eine gewisse Naivität aus, eine kindliche Reinheit sowie eine Aufrichtigkeit, die nicht einmal Notlügen zulässt. So kann Riwka ihn dazu überreden, sich sein Recht als Erstgeborener mit einer List einzufordern. Jakow hat aber Bedenken. »Wenn mich nun mein Vater betastet, merkt er den Betrug, und statt mich zu segnen, verflucht er mich« (27,12). Seine Mutter kann ihn aber beruhigen, weshalb er sich auf sie verlässt und die List nicht hinterfragt.

Auch Jakows Schwiegervater Lawan nutzt diese Charakterzüge über Jahre hinweg aus. Jakow begehrt Rachel und arbeitet – nur um die Heiratserlaubnis zu bekommen – ganze sieben Jahre lang, die, weil »er sie so sehr liebte, wie wenige Tage vorkamen« (29,20). Trotzdem wird er von Lawan betrogen, der ihm mitteilt: »Es ist bei uns nicht Sitte (…), die Jüngere vor der Älteren wegzugeben. Halte jetzt mit Lea (Rachels Schwester) die Hochzeitswoche, dann geben wir dir Rachel noch dazu. Du wirst dann um sie noch einmal sieben Jahre arbeiten« (29, 26–27).

An dieser Stelle sollte noch einmal betont werden, dass diese Textabschnitte keine Kritik am Vorvater der jüdischen Nation darstellen. Denn laut den Worten der Weisen waren unsere Vorväter und -mütter Heilige von kosmischem Ausmaß, und zwar Menschen von bis dahin unbekannter spiritueller Größe. Die Namen der drei Vorväter und der vier -mütter unserer Nation haben im Hebräischen insgesamt 26 Buchstaben. Diese Zahl steht zugleich für den Gʼttesnamen. Symbolisch steht das dafür, dass Awraham, Jizchak und Jakow, Sara, Riwka, Rachel und Lea mit ihren Taten den Weg für die gʼttliche Präsenz öffneten. Nicht nur von der jüdischen Nation werden sie als Heilige und Propheten anerkannt und verehrt, sondern ebenfalls im Christentum und im Islam, also der Mehrheit der Menschheit.

Eine Sprache, die fast alle verstehen

Wenn nun die Tora die vermeintlichen Fehler unser Vorväter und -mütter beschreibt, so geschieht dies in einer Sprache, die fast alle verstehen. Der Text in der Tora vermittelt den Eindruck, als wäre Jakow stark harmoniebedürftig gewesen, der in Stresssituationen wie ein verängstigter Romantiker agiert. Doch eines Tages wird er angegriffen (1. Buch Mose 32). Und dem Todesengel sprichwörtlich in die Augen schauend, mutiert der harmoniebedürftige Romantiker zum Kämpfer, siegt und erhält deshalb den zusätzlichen Namen Israel.

Über den Namen Israel lässt sich viel sagen, aber ich nenne nur einen Aspekt. Der Name enthält den Buchstaben »Rosch«, das »Haupt«. Der neue Name ist der genaue Gegensatz zum alten, und mit ihm kommt auch eine völlig andere Persönlichkeit zum Vorschein. Israel ist ein Stratege, ein Kämpfer und ein Optimist. Doch Jakow verschwindet nicht, als Israel die Bühne betritt. Beide existieren im selben Menschen weiter. Die in unserem Wochenabschnitt dargestellten Antworten Jakows/Israels sind ein Beweis dafür.

Die Geschichte dieser zwei Seiten in einer Person lehrt uns, dass Gʼtt uns genau die Charakterzüge gibt, die wir für unsere Mission brauchen, und wenn es nötig wird, können es auch völlig neue sein, um sich für die Kämpfe in der Zukunft zu wappnen.

Der Autor ist Religionslehrer und Sozialarbeiter der Jüdischen Gemeinde Osnabrück.

INHALT
Der Wochenabschnitt Paraschat Mikez erzählt von den Träumen des Pharaos, die niemand an seinem Hof deuten kann außer Josef. Er sagt voraus, dass nach sieben üppigen Jahren sieben Jahre der Dürre kommen werden, und empfiehlt dem Pharao, Vorräte anzulegen. Der Herrscher betraut ihn mit dieser Aufgabe. Dann heiratet Josef: Er nimmt Asnat, die Tochter des ägyptischen Oberpriesters, zur Frau. Sie bringt die gemeinsamen Söhne Efraim und Menasche zur Welt. Dann kommen wegen der Dürre in Kanaan Josefs Brüder nach Ägypten, um dort Getreide zu kaufen.
1. Buch Mose 41,1 – 44,17

Studium

»Was wir von den Rabbinern erwarten, ist enorm«

Seit 15 Jahren werden in Deutschland wieder orthodoxe Rabbiner ausgebildet. Ein Gespräch mit dem Gründungsdirektor des Rabbinerseminars zu Berlin, Josh Spinner, und Zentralratspräsident Josef Schuster

von Mascha Malburg  21.11.2024

Europäische Rabbinerkonferenz

Rabbiner beunruhigt über Papst-Worte zu Völkermord-Untersuchung

Sie sprechen von »heimlicher Propaganda«, um Verantwortung auf die Opfer zu verlagern: Die Europäische Rabbinerkonferenz kritisiert Völkermord-Vorwürfe gegen Israel scharf. Und blickt auch auf jüngste Papst-Äußerungen

von Leticia Witte  19.11.2024

Engagement

Im Kleinen die Welt verbessern

Mitzvah Day: Wie der Tag der guten Taten positiven Einfluss auf die Welt nehmen will

von Paula Konersmann  17.11.2024

Wajera

Offene Türen

Am Beispiel Awrahams lehrt uns die Tora, gastfreundlich zu sein

von David Gavriel Ilishaev  15.11.2024

Talmudisches

Hiob und die Kundschafter

Was unsere Weisen über die Ankunft der Spione schreiben

von Vyacheslav Dobrovych  15.11.2024

Gebote

Himmlische Belohnung

Ein Leben nach Gʼttes Regeln wird honoriert – so steht es in der Tora. Aber wie soll das funktionieren?

von Daniel Neumann  14.11.2024

New York

Sotheby’s will 1500 Jahre alte Steintafel mit den Zehn Geboten versteigern

Mit welcher Summe rechnet das Auktionshaus?

 14.11.2024

Lech Lecha

»Und du sollst ein Segen sein«

Die Tora verpflichtet jeden Einzelnen von uns, in der Gesellschaft zu Wachstum und Wohlstand beizutragen

von Yonatan Amrani  08.11.2024

Talmudisches

Planeten

Die Sterne und die Himmelskörper haben Funktionen – das wussten schon unsere Weisen

von Chajm Guski  08.11.2024