Ein Kind großzuziehen, kann in meinem Augen damit verglichen werden, einen Baum zu pflanzen. Wir haben von Gott eine kostbare Saat bekommen, um zu sehen, wie sie sich entwickelt und wächst. Wir haben die Art der Saat nicht ausgewählt, und wir können ihr Wachstum nicht kontrollieren. Wir versuchen nur, unser Bestes zu geben, damit sie wächst und gedeiht, und wir lehnen uns zurück und warten. Vielleicht deswegen lautet das hebräische Wort für Nachkommen »zerah« – das bedeutet »Samen« oder »Saatkorn«.
Manche von uns haben Saatgut bekommen, das wenig Aufmerksamkeit braucht, während andere Saatkörner von etwas komplizierterer Art sind. Wir dürfen deswegen nicht frustriert sein, weil der Ewige uns gerade dieses Saatkorn gegeben hat, sondern unsere spezielle Mission annehmen. Das Saatkorn jedoch anzuschreien: »Was soll das? Kannst du nicht endlich wachsen?«, wird seine Entwicklung definitiv verzögern.
Unser Ziel ist es, unseren Kindern so viel angedeihen zu lassen wie möglich. Wir lieben sie dafür, wer sie sind. Wir zeigen ihnen, wie wunderbar die Tora ist. Wir »gießen« sie, wir sorgen für Sonnenschein. Nur weil wir das Wachstum nicht sofort bemerken, heißt das nicht, dass es nicht stattfindet.
Wachstum Wenn eine Pflanze aus dem Boden hervorbricht, hat ihr Wachstum bereits Monate zuvor begonnen – unsichtbar für unsere Augen. Seit Jahren sehe ich, wie Schüler der 12. Klasse gute Lernfortschritte machen, während sie in der 11. Klasse schlechte Schüler waren. Manchmal dauert es einfach seine Zeit, bis sich inneres Wachstum auch in äußere Handlungen umsetzt.
Rabbiner Samson Raphael Hirsch erklärt, dass darin die Bedeutung des Feiertages Tu Bischwat liegt. In seinem poetischen Stil schrieb er: »Obwohl wir uns noch in der düsteren Umklammerung des Winters befinden, hat das sanfte Murmeln des erwachenden Frühlings bereits seine verborgene Arbeit begonnen. Im Kern und in dem aderartigen Netzwerk der Bäume, still und sanft, jenseits des zufälligen Blickes, fließt das neue Lebensmark und kündet vom Kommen des Frühlings.«
Wären wir stärker in Kontakt mit dem realen Wachstumsprozess unserer Kinder und Menschen im Allgemeinen, dann würden wir den wahren inneren Zustand unseres Kindes besser verstehen. Ein Elternteil hat mir einmal erzählt, er sehe keine bedeutende Veränderung; allerdings sei das Kind zu Hause jetzt etwas höflicher. Ich sagte: »Das ist doch toll. Hier findet wirklich inneres Wachstum statt. Mit Gottes Hilfe wird es weitergehen.«
Sonnenstrahl Als Eltern und Erzieher sollten wir den Schwerpunkt nicht darauf legen, Früchte zu erzeugen, sondern darauf, die Saat wachsen zu lassen. Wenn man einen Baum auf ungesunde Art und Weise manipuliert, um die Frucht schneller reifen zu lassen, dann wird die Produktion langfristig und häufig sogar kurzfristig darunter leiden.
Wir müssen uns darauf konzentrieren, der Frucht große Mengen an Wasser und Sonnenschein zur Verfügung zu stellen, und es jedem Kind erlauben, in seiner Weise und in seinem Tempo zu wachsen und zu blühen. Jedes Anzeichen von Liebe ist ein weiterer Sonnenstrahl. Jedes positive Wort ist ein weiterer Wassertropfen. Jede positive Erfahrung trägt dazu bei, dass sich das Potenzial des Saatgutes verwirklichen kann. Umgekehrt richtet jede negative Erfahrung Schaden an.
Wir leben in turbulenten Zeiten. Die Stürme um uns herum werden immer stärker. Und während wir unser Bestes geben, um diese Stürme abzuwehren, liegt die einzige Lösung darin, einen Baum mit stärkeren und tieferen Wurzeln hervorzubringen. Wir müssen unser Bestes tun, um jedem Kind einen großen Teil an Selbstbewusstsein und Liebe für die Tora einzupflanzen. Wenn nicht, besteht das Risiko, dass das Kind von den Stürmen hinweggefegt wird.
Möglicherweise haben wir nach einem langen Winter noch keinen Durchbruch einer Pflanze an die Oberfläche gesehen. Dennoch müssen Eltern und Erzieher sich klarmachen, dass ihre Anstrengungen nicht umsonst sind. Es sind oft die kostbarsten Früchte, deren Reife am Längsten dauert.
Übersetzung und Abdruck mit freundliche Genehmigung von www.aish.com