Nahezu konkurrenzlos zu sein, ist kein kleiner Vorteil auf einem Markt. Der Koren-Verlag hatte diesen Vorteil – nahezu. In Israel existiert natürlich eine ganze Reihe von kleineren und kleinsten Verlagen, die das Land mit jüdischen Texten versorgen. Nicht selten besonders bezogen auf eine spezielle religiöse Gruppierung. Anders bei Koren. Dort wird der Koren-Tanach verlegt. Die hebräische Bibelausgabe wird in israelischen Schulen verwendet oder auch an die Soldaten der Zahal verteilt, wenn sie ihren Wehrdienst beginnen.
Diese Marktposition war nicht die Folge glücklicher Umstände, sondern das Ergebnis beharrlicher Arbeit eines Mannes namens Elijahu Korngold, der 1933 von Nürnberg nach Palästina auswanderte. 1962 brachte er den Koren-Tanach auf den Markt. Es heißt, dieser Tanach sei der erste seit 500 Jahren, der von Juden bearbeitet und gedruckt wurde, und der erste, der vollständig im modernen Staat Israel entstand. 2012 wird der 50. Jahrestag der Veröffentlichung gar mit einer Briefmarke geehrt. Dabei war Elijahu Koren, wie er sich in der neuen Heimat nannte, nicht in erster Linie am Geschäft interessiert.
Esther Be’er, eine frühe Mitarbeiterin, die noch heute im Verlag tätig ist, erzählt: »Elijahu Koren war ein Perfektionist. Er ließ nichts in den Druck gehen, wenn er meinte, wir könnten es besser machen. Er mochte keine schnellen Lösungen, und es war ihm egal, ob ein Projekt lange Zeit in Anspruch nahm, solange er mit dem Ergebnis zufrieden war.« Verbissen erarbeitete er eine eigene Schrift für den Tanach und eine für einen Siddur, der 1981 erschien, und glich immer wieder alles mit halachischen Autoritäten ab.
Layout »Als deutscher Jude hatte Koren zugleich eine sehr moderne Sensibilität für Ästhetik«, fügt Esther Be’er hinzu. »Das Layout war vollkommen anders als das, was zu dieser Zeit verwendet wurde, da die Drucker zuvor die Ästhetik kaum berücksichtigten.«
Der Verlag wartete noch mit weiteren Neuerungen auf. Der neue Inhaber, Matthew Miller, konnte den britischen Oberrabbiner Sir Jonathan Sacks dafür gewinnen, den Siddur ins Englische zu übersetzen und ihn zu kommentieren. Viele modern-orthodoxe Gemeinden nahmen dies gerne auf.
Der hebräische Text wanderte auf der Doppelseite nach links, sodass er und die Übersetzung sich »in der Mitte« trafen, Quellenangaben standen jeweils auf dem Außenrand und zerschossen nicht den Lesefluss. Und der Kommentar von Rabbiner Sacks war intellektuell anspruchsvoll und schöpfte aus der gesamten Geistesgeschichte des Judentums.
Dabei sieht keine Seite aus wie die andere. Esther Be’er betont, dass das Layout bewusst uneinheitlich ist. »Dadurch soll jedem Gebet ein eigener grafischer Ausdruck verliehen werden, um die Struktur der Dichtung zu verdeutlichen und die tiefere Bedeutung.«
»Wir wollen qualitativ hochwertige Produkte anbieten, die bestehende Probleme auf neuen Wegen und auf hoffentlich bessere Art und Weise lösen«, meint Marketing-Leiterin Sheryl Abbey. Religiösen Widerstand gegen die grafische Neubearbeitung der Texte und die neue Herangehensweise gab es kaum oder gar nicht. Jedenfalls nicht offen. Abbey kennt vereinzelte Stimmen gegen die Aufnahme von Gebeten für den Staat Israel oder die Geburt einer Tochter, »das sind aber ideologische Vorbehalte«.
Reiseführer Kurz vor Rosch Haschana brachte der Verlag einen Machzor für das Neujahrsfest auf den Markt. Eine detaillierte Einleitung führt den Beter in die Gebete ein und erklärt Rosch Haschana aus vielen Blickwinkeln. Gerade für die ausführlicheren Gebete an den Hohen Feiertagen lohnt sich durchaus der genaue Blick auf die Texte oder die Übersetzung, die den Rhythmus des hebräischen Originals wiedergeben möchte und so zu mehr Konzentration führt.
Oder, um es mit dem Kommentar von Rabbiner Sacks zum Ende des Schma Jisrael zu sagen: »Man stelle sich vor, man beträte ein historisches Gebäude, ohne von seiner Geschichte zu wissen. Die Erfahrung, die man macht, wird nur sehr vage sein. Man wird wissen, dass hier eines Tages etwas geschah, aber nicht, wann und wie.« Sacks bietet sich als Reiseführer an und führt den Beter zurückhaltend und äußerst eloquent durch ein Gebäude, in dem er sich bestens auskennt.
Der Kommentar ist jeweils unaufdringlich im unteren Bereich der Seiten zu finden und stört den Lesefluss nicht. Im Anhang finden Beter auf etwa 70 Seiten Pijutim, die nicht von allen Gemeinden gesagt werden. Man erfährt also etwas über die Quellen der Gebete, etwa die Textangabe zu Zitaten aus dem Tanach oder Talmud, erhält einen ausführlichen Kommentar, ohne dass der eigentliche Gebetstext vollgepflastert wird mit Fußnotenmarkierungen oder Symbolen, die auf irgendetwas hinweisen.
Wer die Muße hat und sich auf einen Kommentar einlassen will, blickt auf den Fuß der Seite. Alle anderen lesen weiter. Abgerundet wird der Machzor durch einen Teil mit Halachot/Vorschriften für Rosch Haschana und die unmittelbare Zeit davor. Absolut neu dürfte sein, dass der Mustertext für den Prosbul nicht nur im Buch selbst steht, sondern auch auf ein Formular im Internet hingewiesen wird. Zeitgemäß ist also das Gesamtpaket aus Kommentar, Layout und Hinweisen.
Im »Jubiläumsjahr« 2012 wird dann auch der Machzor für Jom Kippur kommen, und später für die anderen Chagim.