Spenden

Geben, was andere brauchen

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Geben, was andere brauchen

Großzügigkeit ist eine wichtige Tugend – doch auch sie kennt Grenzen

von Rabbiner Avichai Apel  05.10.2023 21:59 Uhr

Wie großzügig soll man sein? Diese Frage wird bemerkenswert oft von Menschen gestellt, die eigentlich überhaupt nicht großzügig sind. Um ihr schlechtes Gewissen zu beruhigen, suchen sie dann nach den Grenzen der Großzügigkeit, um sich für ihre ganz eigene Art der Generosität zu rechtfertigen.

Unabhängig davon, ob sie Gastgeber oder Spender sind, sie loten alle Optionen aus, ob und wie weit sie ihr Haus für andere öffnen sollen oder worauf sich verzichten lässt, damit es anderen besser geht.
Aber ist das alles korrekt? Gibt es tatsächlich Grenzen fürs Geben? Auch stellen manche die Frage, warum man überhaupt geben soll. Warum überhaupt soll ich das von mir hart erarbeitete Geld oder Essen anderen geben und es mit ihnen teilen?

TEMPELBAU Ein Beispiel aus unserer Geschichte: Am Ende seiner Regierungszeit ruft König David das Volk auf, für den Bau des Tempels zu spenden. Er erkennt die Fähigkeit der Menschen, sich Gʼtt zu weihen, und wendet sich deshalb direkt an sie. Das Volk steht nun vor einem riesigen Bauprojekt, dessen Bedeutung allen bekannt ist: Wir bauen das Haus, von dem wir bereits mehrere Hundert Jahre geträumt haben.

Und wie kann dieses Projekt unter der Herrschaft von Schlomo gebaut werden, der damals erst zwölf Jahre alt war? »Mein Sohn Schlomo, den Gʼtt einzig erwählt hat, jung und zart ist er, und das Werk ist groß, denn nicht für einen Menschen ist die Pfalz, sondern für Ihn, Gʼtt!« (1. Chronik 29,1). Die Kräfte der Menschen sind begrenzt, nur der Ewige kann sie erweitern und stärken.

Die gleiche Denkweise über die Grenzen der menschlichen Kräfte manifestiert sich auch auf der finanziellen Ebene. Entweder kommt die Frage auf, ob sich genügend Geld finden lässt, um dieses Bauprojekt zu realisieren, oder aber man wird sich sicher sein und denken: Wir haben Gʼtt geholfen und Ihm mit unseren Mitteln ein Haus gebaut! »Wer bin ich denn, und wer mein Volk, dass wir die Kraft hegen, solches zu willigen! Von Dir ja ist alles, aus Deiner Hand haben wir Dir gegeben!«

verhältnis Mit diesen Worten erklärt David den Menschen ihr Verhältnis zu Spenden. Es ist wahr, dass der Mensch gibt. Aber woher stammt das, was er gibt? Oft wird gedacht, dass alles, was man selbst verdient hat, einem auch selbst gehört. David formuliert es aber recht deutlich: »Aus Deiner Hand haben wir Dir gegeben.« Konkret bedeutet das: Was ich habe, ist zwar meins – bekommen habe ich es allerdings von Ihm.

Gehört mein Geld nicht mir? Rabbi Eleazar ben Jehuda aus Bartota sagt: »Gib Ihm von deinem, denn du und deines sind Seinem« (Awot 3,7). Hier ist die Aussage noch deutlicher: Du und Deines! Der Mensch muss zu der Erkenntnis kommen, dass seine Existenz nicht nur von ihm allein abhängt.

Der Ewige gibt uns, damit auch wir weitergeben. Die Vorteile, die sich aus dieser Art von Kaution ergeben, bestehen darin, dass es jedem selbst obliegt, wie er oder sie mit ihren Ressourcen haushalten. So können wir uns alles nehmen, was wir für unser Leben brauchen. Aber wir sollten dabei nie die anderen vergessen (Rabbeinu Jona, Awot).

Wallfahrtsfeste An Sukkot sowie allen anderen Wallfahrtsfesten haben wir die Mizwa, zum Tempel nach Jerusalem zu pilgern. Dort hat jeder die Möglichkeit, spirituelle Erfahrungen zu machen. Da üben die Kohanim ihren Dienst aus, und das Sanhedrin, das große Gericht, das aus 71 Rabbinern bestand, traf dort seine Entscheidungen.

Viele Gelehrte und sehr gläubige Menschen waren und sind in Jerusalem präsent – das alles vermittelt Erlebnisse, die jedem bis zu den nächsten Feiertagen oder der nächsten Pilgerfahrt viel Kraft schenken. »Nicht soll man sich spendenleer vor Seinem Antlitz sehen lassen: jeder nach der Gabe seiner Hand, nach dem Segen, den Er, dein Gʼtt, dir gab« (5. Buch Mose 16, 16–17).

Es ist also Zeit zu spenden! An den Feiertagen werden zwei Opfergaben extra dargebracht. Die Chagiga sind Opfergaben, die zum Teil auf den Altar kommen, zum Teil aber von den Menschen, die nach Jerusalem pilgern, feierlich gegessen und großzügig mit anderen Menschen geteilt werden. Reija dagegen sind Opfergaben, die ganz auf den Altar kommen.
In der Regel gibt uns die Halacha das Maß für jede Mizwa an, doch bei diesen beiden Opfergaben sagt uns die Tora: »Jeder nach der Gabe seiner Hand.« Hier hat es der Mensch in der Hand, zu entscheiden, wie großzügig er sein mag oder auch nicht.

Rabbiner Owadja Sforno (1475–1549) schreibt dazu: »Jeder nach seiner Hand.« Das heißt nicht, dass man alles gibt, was man hat und nachher selbst auf die Hilfe anderer angewiesen ist. Das sind die Gedanken von Dummen. Die Weisen haben geschrieben: »Wer gibt, darf nicht mehr als 20 Prozent geben.« In den alten Machsorim kann man noch Mi ScheBerach unter dem Namen Matan Jad finden, der »Gabe seiner Hand«. So wurde an den Feiertagen jeder gesegnet, der etwas gespendet hat. Jischar Koach für alle Spender!

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt/Main und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).

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