Gott gibt. Und Gott lehrt uns, wie man gibt. Die Menschen der Bibel glaubten das. Denke nur an die Geschichte der israelitischen Sklaven, die, aus Ägypten befreit, 40 Jahre in der Wüste umherwanderten. Die Nahrungsmittel, die sie aus Ägypten mitgebracht hatten, waren zur Neige gegangen. Was sollten sie nun essen?
»Und der Ewige redete zu Mosche und sprach: ›Ich habe das Murren der Kinder Jisrael gehört; rede zu ihnen und sprich: Gegen Abend werdet ihr Fleisch essen und am Morgen euch an Brot sättigen, und ihr sollt erkennen, dass ich, der Ewige, euer Gott bin.‹ Und es war nun am Abend, da kamen die Wachteln herauf und bedeckten das Lager; am Morgen aber lag die Taufeuchte rings um das Lager; als aber die Taufeuchte aufgestiegen war, sieh: Da lag etwas auf der Oberfläche der Wüste, fein, körnig, so fein wie der Reif auf der Erde.
Als die Kinder Jisrael es sahen, sprach einer zum andern: ›Man hu – was ist das?‹ Denn sie wussten nicht, was es war. Da sprach Mosche zu ihnen: ›Das ist das Brot, das der Ewige euch zu essen gegeben.‹ ... Und das Haus Jisrael nannte es ... Manna« (2. Buch Moses 16,11-15,31).
Hunger Die Erinnerung an diesen Akt des Gebens zieht sich durch die gesamte Bibel. In einer bemerkenswerten Anweisung, die mit Gottes Wort am Sinai empfangen wird, wird dem Volk geboten, stets eine mit Feldfrüchten bebaute Ackerecke für die Armen der Gemeinde stehen zu lassen (3. Buch Moses 19,9-10). »Wie Gott euch in der Wüste Manna gegeben hat, so sollt ihr den Bedürftigen Nahrung geben ...«
Es ist eine zerbrochene Welt, wenn Kinder hungrig zu Bett gehen, wenn die Obdachlosen an den Straßenecken stehen und Essen erbetteln, wenn in den Ländern der sogenannten Dritten Welt Millionen an Unterernährung und Hunger sterben.
Gott hat der Menschheit eine Welt unschätzbarer Schätze anvertraut. Die Vereinigten Staaten alleine produzieren genügend Nahrungsmittel, um die gesamte Welt zu ernähren. Warum herrscht dann immer noch Hungersnot?
Es gibt keinen Grund, warum auch nur ein Mensch auf der Welt Hunger leiden sollte; und doch gehen jeden Abend Millionen Kinder und Erwachsene mit leerem Magen ins Bett.
Das kann nicht sein. Du musst Gottes Sachwalter auf Erden sein und dafür sorgen, dass niemand Hunger leidet.
Judy und Beryl gingen in der »Cheesecake Factory« essen, ein Lokal, das für seine großen Portionen bekannt war. Am Ende des Essens bestellte Judy plötzlich noch eine Vorspeise. Beryl glaubte, sie wolle sie für jemanden zu Hause mitbringen. In gewisser Weise war das auch so. Direkt vor dem Eingang des Lokals saß ein Obdachloser und bat um Hilfe. Judy überreichte ihm die Tasche mit dem Essen. Der Mann war ihr aufgefallen, als sie ins Restaurant gekommen waren. Jetzt lächelte er, schaute zu ihr auf und sagte: »Gott segne Sie.«
Pfirsich Don Greenberg schenkt seinen Freunden und seiner Familie Pfirsiche. Seit er sich vor 18 Jahren aus seinem Lebensmittelgroßhandel zurückzog, hat Don einen Vertrag mit einem ausgezeichnet sortierten Pfirsich-Lieferanten. Er baut eine seltene Variante der Sorte O’Henry an, die die Größe eines Softballs, also circa zehn Zentimeter Durchmesser, erreicht.
Im vollreifen Zustand gibt der riesige Pfirsich einen süßen, außerordentlich aromatischen Saft ab. In Dons Heimatstadt gelten alle als Glückspilz, die auf seiner etwa 200 Namen umfassenden Liste stehen und eine halbe Kiste oder mehr von dieser Delikatesse bekommen. Normalerweise liefert Don seine Pfirsiche an die Menschen auf seiner Liste selbst aus und lädt dazu 88 Kisten in seinen Wagen.
Vergangenen Sommer hatte Don eine größere Operation und war daher körperlich eingeschränkt. Deshalb schickte er den Menschen auf seiner Liste eine E-Mail, in der er ankündigte, wann die Pfirsiche bei ihm ankommen würden und abgeholt werden könnten. Es ging zu wie bei einer Art Halloween für Erwachsene: Wagen um Wagen seiner Freunde machte sich auf den Weg, um »Papa Don’s Pfirsiche« abzuholen.
Sie konnten es kaum erwarten, ihr Geschenk zu erhalten, ein Moment, auf den sie sich schon das ganze Jahr gefreut hatten. Warum macht Don das? Er sagt: »Diese Pfirsiche gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Ich möchte, dass die Leute etwas Ungewöhnliches erleben. Außerdem macht es mir Spaß, sie den Menschen auf meiner Liste zu schenken, und obendrein weiß ich, dass sie wiederum einen Teil der Pfirsiche an ihre Freunde und ihre Familien weitergeben.« So wird die Gabe immer größer.
Challe Der folgende Text ist eine meiner Lieblingsgeschichten. Sie geht auf eine klassische jüdische Erzählung zurück und wird hier wunderschön von Rabbi Ed Feinstein nacherzählt: Einst, vor vielen Jahren, lebten in einem kleinen Dorf zwei Juden. Reb Chaim war der reichste Mann am Ort und Reb Jankel der ärmste.
Jeden Freitagabend kam Reb Chaim in seinem feinen Schabbat-Mantel und seinem exklusiven Pelzhut in die Synagoge. Wenn der Gottesdienst zu Ende war, stolzierte er den Hügel hinauf in sein prachtvolles Haus. Sein Diener erwartete ihn an der Tür und führte ihn in den fürstlichen Speisesaal, wo ihn eine Tafel erwartete, die eines Königs würdig gewesen wäre. Ihm wurde ein höchst bemerkenswertes Schabbat-Mahl gereicht, begleitet vom köstlichsten, himmlischsten Challa. Aber nichts davon machte Reb Chaim Freude; denn er war allein. Reb Chaim hatte keine Familie.
Plötzlich erkannte Reb Chaim, was er brauchte – er musste sein Schabbat-Festmahl mit jemandem teilen. Aber mit wem? »Wer ist es wert, an meinem Schabbat-Festmahl teilzunehmen?«, fragte er sich. »Nur Gott!«, beschloss er. »Möge Gott mein wunderbares Schabbat-Festmahl mit mir teilen.« Seinen Bäcker wies er an: »Backe mir nächste Woche zwei Challas mehr.«
freude Am nächsten Schabbat betrat Reb Chaim die Synagoge vor allen anderen und schritt zur Heiligen Lade. Er stand davor und sprach ein kurzes Gebet: »Herr des Alls, jede Woche genieße ich ein prachtvolles Schabbat-Festmahl. Diese Woche möchte ich, dass du, Gott, an meinem Festmahl teilnimmst. Deshalb habe ich dir Challas mitgebracht. Selbst du, Gott, hast noch nie so gute Challas gekostet!«
Mit diesen Worten öffnete Reb Chaim die Lade und steckte die Challas hinter die Tora-Rollen. Auch Reb Jankel ging am Freitagabend in die Synagoge, aber er kam spät und saß stets ganz hinten. Es war eine schlechte Woche gewesen, ein schlechter Monat, eine schlechte Saison. Woche um Woche hatte Jankels Familie weniger zu essen; und heute Abend brachte er es nicht über sich, seinen Kindern an einem leeren Schabbat-Tisch gegenüberzusitzen. Deshalb verweilte er in der Synagoge, als alle anderen gingen.
Als er allein war, ging er zur Heiligen Lade, stand dort ein paar Minuten und betete: »Herr der Welt, wie kannst du zulassen, dass ich nach Hause gehe und sehe, dass meine Kinder hungern? Ich verlasse diese Synagoge erst, wenn du mir hilfst, Gott!« Mit diesen Worten schlug er seine Hände an die Türen der Heiligen Lade. Die Lade öffnete sich, und heraus rollten zwei wunderschöne goldene Challas.
»Ein Wunder!«, schrie Reb Jankel. »Danke, lieber Gott, danke!« Er lief nach Hause und legte die beiden Challas auf den Tisch der Familie. »Woher hast du solche üppigen Challas?«, fragte seine Frau. »Sie sind ein Geschenk. Ein Wunder Gottes, die Erhörung meiner Gebete. Jetzt lasst uns essen und fröhlich sein!« Es lässt sich wohl kaum ermessen, wo an jenem Freitagabend die Freude größer war – in dem winzigen, armseligen Haus von Reb Jankel, dessen Kinder noch nie so köstliches Challa gegessen hatten, oder in dem herrschaftlichen Anwesen von Reb Chaim, der mit neuem Geist aß und trank und seine Gebete sang.
Auch in der folgenden Woche gab Reb Chaim bei seinem Bäcker zwei zusätzliche Challas in Auftrag und wieder legte er sie in die Heilige Lade und sprach: »Lieber Gott, danke, dass du meine Geschenke annimmst.« Am Ende des Gottesdienstes, als die Synagoge leer war, näherte sich Reb Jankel erneut bescheiden der Heiligen Lade. »Herr der Welt, ich bin gekommen, um dir für die Freude zu danken, die du meiner Familie letzte Woche erwiesen hast.
Dürfte ich vielleicht um ein weiteres Wunder bitten?« Mit diesen Worten öffnete er furchtsam die Lade, und wieder rollten zwei goldene Challas heraus! So ging es einen ganzen Monat lang. Und noch einen. Und noch einen. Bis ein ganzes Jahr voller Challas vorüber war. Jede Woche füllte Reb Chaim die Lade mit seinen Gaben für Gott; und jede Woche nahm Reb Jankel Gottes Wunder an. Für beide Männer war es das schönste Jahr ihres Lebens.
wunder Als das Jahr sich neigte, geschah etwas Schreckliches. Der Synagogen-Diener, der die Synagoge sauber machte, sah, wie Reb Chaim, der reichste Mann am Ort, mit zwei Challas auf die Heilige Lade zuging und sie vor dem Gottesdienst hineinlegte. Und er sah, wie Reb Jankel, der ärmste Mann am Ort, die Challas nach dem Gottesdienst aus der Lade nahm. Er lief beiden Männern nach und brachte sie wieder in die Synagoge.
»Ihr Narren«, verspottete er sie. »Du, Reb Chaim, glaubst du wirklich, dass Gott jede Woche deine Challas isst? Dieser Bettler hier nimmt sie dir weg! Und du Reb Jankel, glaubst du wirklich, dass Gott deine Gebete erhört und deiner Familie zu essen gibt?! Es ist dieser Geizkragen!« Da waren sowohl Reb Chaim als auch Reb Jankel zutiefst verzagt, als sie erkennen mussten, dass es gar kein Wunder gab.
Schließlich kam dem Rabbi zu Ohren, was geschehen war, und er rief alle drei Männer in sein Studierzimmer. Der Rabbi saß an seinem Schreibtisch, den Blick starr auf ein heiliges Buch gerichtet. Er schüttelte den Kopf und seufzte traurig: »Wisst ihr, dass dieses Wunder seit der Erschaffung der Welt vorgesehen war? Es war Gottes besondere Freude, es Woche für Woche aufs Neue zu erleben. Eure Hände waren Gottes Hände. Wie kann das Wunder wiederhergestellt werden?«
Da sahen Reb Chaim und Reb Jankel einander zum ersten Mal an und wussten sofort, was der Rabbi meinte. Am darauffolgenden Freitagabend öffnete Reb Chaim nicht die Türen der Heiligen Lade, sondern die seines Hauses für Reb Jankels Familie, und sie wiederum erfüllten sein Haus mit Liedern und einem fröhlichen Geist.
Dann wandte der Rabbi seinen mächtigen Blick dem Synagogendiener zu: »Du bist ein grausamer und böser Mann. Nun höre deine Strafe. Noch heute Abend wirst du diese Stadt verlassen, in der Welt umherziehen, und jedem, dem du begegnest, wirst du die Geschichte vom Wunder von Reb Chaim und Reb Jankel erzählen. Wenn du stirbst, werden deine Kinder die Geschichte erzählen; und wenn sie sterben, werden ihre Kinder die Geschichte erzählen. Bis jeder Mensch in jedem Winkel der Erde die Geschichte gehört hat. Auf diese Weise wirst auch du das Wunder wiederherstellen.«
See Im Land Israel gibt es zwei große Gewässer. Im Norden liegt ein riesiger See, der als das Galiläische Meer oder der See Genezareth bezeichnet wird.
Er ist ausgesprochen fischreich, und die Menschen genießen die angenehme Brise, die dort weht. Der Jordan speist ihn von Norden und setzt im Süden seine Reise weiter fort. In der Wüste im Süden liegt ein zweites Gewässer. Darin gibt es keinerlei Leben; es riecht nach Schwefel, und niemand wohnt in seiner Umgebung. Der Jordan fließt hinein, aber nicht wieder heraus.
Was ist der Unterschied zwischen diesen beiden Gewässern? Das Galiläische Meer gibt und lebt. Das andere Meer gibt nichts. Man nennt es das Tote Meer.
Genau wie diese zwei Meere in Israel gibt es auch zwei Arten von Menschen auf der Welt. Sir Winston Churchill sagte: »Wir verdienen unseren Lebensunterhalt mit dem, was wir bekommen, aber wir gestalten unser Leben mit dem, was wir geben.«
Nachdruck aus »Der Himmel sucht Mitarbeiter – Gottes Aufgaben-Liste für seine irdischen Helfer«, Crotona, Amerang 2011, 175 S., 15,95 €
Ron Wolfson stammt aus Omaha/Nebraska und ist eine der bekanntesten jüdischen Stimmen der USA. Er lehrt als Professor für Pädagogik an der American Jewish University Los Angeles. Wolfson ist Bestsellerautor zahlreicher Bücher zu verschiedenen Themen des jüdischen Lebens (»The Shabbat Seder« u.a.). Der Crotona Verlag hat zwei davon (»Der Himmel sucht Mitarbeiter« und »Sieben Fragen, die die auch im Himmel gestellt werden«) in deutscher Übersetzung veröffentlicht.