Wer häufig zum Gottesdienst geht und regelmäßig betet, hat offenbar gute Aussichten auf ein längeres Leben, und Gläubige erkranken auch seltener an typischen Volksleiden. Wenn ich das als Rabbiner schreibe, entlockt das dem Leser wahrscheinlich nur ein mildes Lächeln. Aber diese Information stammt aus der renommierten »Ärzte Zeitung«! Die berichtete von einer Studie der Harvard School of Public Health in Boston.
Dort wurden Frauen in einem Zeitraum von 16 Jahren untersucht und dabei die Sterberate zur Häufigkeit von Gottesdienstbesuchen in Beziehung gesetzt. Die Forscher fanden die höchste Sterberate bei den Frauen, die nichts von Gottesdiensten hielten (1,8 Todesfälle auf 100 Personenjahre). Bei solchen, die einmal bis mehrfach wöchentlich zum Gebet gingen, war die Sterberate um 45 Prozent reduziert. »Den regelmäßigen Besuch von Gottesdiensten scheint der liebe Gott mit zusätzlichen Lebensjahren zu belohnen«, heißt es dazu in der Ärzte Zeitung.
gottesdienst Eine andere Untersuchung der University of Texas ergab 1999 Vergleichbares: Diejenigen Teilnehmer einer Versuchsgruppe, die öfter als einmal wöchentlich einen Gottesdienst aufsuchten, lebten im Durchschnitt 83 Jahre. Wer dem gemeinsamen Gebet fernblieb, hatte hingegen nur eine durchschnittliche Lebenserwartung von 75 Jahren.
Aktuelle und neuere wissenschaftliche Erkenntnisse? Eigentlich nicht. Denn was diese und andere Forscher jetzt herausfanden, wussten schon unsere Weisen. Im Talmud (Brachot 8a) wird von Rabbi Jochanan erzählt, dem berichtet wurde, dass Menschen in Babylon sehr alt werden konnten. »Als man ihm aber sagte, dass sie frühmorgens und spätabends im Bethause verweilen, sprach er: Das ist es, was ihnen dazu verhilft.« Und Rabbi Jehoschua ben Levi rät seinen Söhnen: »Geht ins Bethaus ... damit ihr lange lebet.«
Doch zahlreiche Skeptiker zweifeln dies an. Sie kritisieren auch die verschiedenen Gebetsstudien, weil wissenschaftliche Methoden nur bei natürlichen Phänomenen anwendbar seien; »Übernatürliches« könne damit nicht belegt werden.
alzheimer Wahrscheinlich wird sie wohl auch das nicht überzeugen: Eine 2012 vorgestellte israelisch-amerikanische Studie hat nachgewiesen, dass regelmäßiges Gebet das Risiko, an Alzheimer zu erkranken, um bis zu 50 Prozent senken kann. Die israelische Tageszeitung »Haaretz« zitiert die Leiterin der Studie, die Neurologin Rivka Inzelberg von der Universität Tel Aviv, mit den Worten: »Das Gebet ist eine Gewohnheit, in die Gedanken investiert werden. Diese geistige Tätigkeit, die über den Inhalt des Gebets hinausgeht, kann einen Schutzfaktor gegen Alzheimer darstellen.«
Dies erinnert an die talmudische Aussage (Eruvin 54a) von Rabbi Jehoschua ben Levi: »Wenn jemand Kopfschmerzen hat, beschäftige er sich mit den Worten der Tora.«
Und der US-Kardiologe Mitchell Krucoff hat festgestellt, dass sogar Gebete anderer bei Patienten Wirkungen zeigten. Den Erkrankten, für die Fürbitten gehalten wurden, ging es deutlich besser als jenen, für die nicht gebetet wurde. Schon in der Tora (4. Buch Mose 12,13) wird von Mosche erzählt, der um die Genesung seiner Schwester Mirjam fleht: »O Gott, heile sie doch!«
seele In dieser Tradition bitten wir auch am Schabbat in der Synagoge beim Segen »Mische Berach« um die Gesundheit erkrankter Freunde oder Verwandter: Da geht es um »Refuat Hanefesch« und »Refuat Haguf«, also die Gesundheit der Seele und des Körpers. Wir erwähnen hier aus gutem Grund die Seele zuerst: »Das Gebet ist für die Seele, was die Nahrung für den Körper ist«, heißt es bei Jehuda Halevi.
Doch wir wissen auch, dass wir Beten nicht mit Bitten verwechseln dürfen. Gebete bewirken etwas, zweifellos. Aber was, das liegt letztendlich in Gottes Hand. Wir können eigentlich nur bitten, dass das geschieht, was für uns am besten ist. Was Er für unser Bestes hält, können wir nicht wissen, nicht verstehen.
Die Tageszeitung »Die Welt« veröffentlichte am 2. Mai 2011 einen Artikel, in dem es darum ging, dass schon der bloße Glaube an Gott sich positiv auf die Gesundheit auswirkt und schließlich das Leben verlängern kann. Eine Reihe wissenschaftlicher Untersuchungen wird darin angeführt. Unter anderem ist von Harold Koenig zu lesen, der als Hausarzt in einer Kleinstadt in Illinois/USA beobachtete, dass seine gläubigen Patienten auch besser mit Krankheiten umgehen konnten als nichtgläubige Patienten. Der Glaube vermittle das Gefühl, einer Gemeinschaft anzugehören und durch Gott geschützt zu sein, so seine Erkenntnis.
Dem ist eigentlich nur noch eines hinzuzufügen: Wer sich mit dem Gebet selbst schwertut, kann sich auch auf das richtig gesprochene Amen verlassen. Ben Asai versichert uns im Talmud (Brachot 47a): »Wer aber das Amen richtig als Antwort [auf ein Gebet] spricht, dessen Tage und Jahre werden verlängert.«
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und Beiratsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.