Die Weisen des Talmuds haben sich zum Thema Erbschaft auf sehr differenzierte Weise geäußert. Auf der einen Seite rieten sie den Menschen eindringlich, den Großteil ihres Vermögens der Familie zu vermachen, statt ihn an Fremde wegzugeben oder den Armen zu spenden. Aber dass jemand extra spart, um etwas zum Vererben zu haben, wird eher nicht empfohlen. Man solle den Kindern einen guten Start ins Leben ermöglichen; danach sollte es unsere Hauptsorge sein, was wir ihnen geistig mitgeben.
Zwei Geschichten aus dem Talmud scheinen das Sparen für erwachsene Kinder besonders zu missbilligen. »Schmuel sprach zu Rabbi Yehudah: Kluger, greif zu und iss, greif zu und trink; denn diese Welt, aus der wir scheiden müssen, ist wie ein Hochzeitsfest. Rav sprach zu Rabbi Hamnuna: Mein Sohn, genieße, was du besitzt; denn in jener Welt gibt es keinen Genuss, und der Tod wird nicht warten. Und wenn du sagst: Ich möchte, was ich habe, an meine Kinder weitergeben? Wer kann aus dem Jenseits garantieren, dass seine Kinder versorgt sind? Die Menschen sind wie die Pflanzen im Feld; diese gedeihen und jene verdorren.« Für die heutige Zeit könnte man das so interpretieren: Machen Sie Ihren Kindern klar, dass Sie von ihnen erwarten, dass sie finanziell auf eigenen Beinen stehen und sich nicht darauf verlassen, etwas von Ihnen zu bekommen.
Sicherheit In der Welt der Weisen des Talmuds lautet die Botschaft etwas anders: Es gibt keine hundertprozentige finanzielle Sicherheit; wir kommen unserer irdischen Verantwortung nach, unseren Lebensunterhalt zu verdienen und darauf zu vertrauen, dass Gott durch unsere Mühen für uns sorgen wird. Ebenso vertrauen wir darauf, dass Gott für unsere Kinder sorgen wird; was die Kinder betrifft, so ist uns keine Verantwortung auferlegt, uns für sie anzustrengen, wenn sie erwachsen sind; vielmehr liegt die Verantwortung bei ihnen, sich für sich selbst und ihre Familie anzustrengen.
Der Talmud sagt von dem großen Weisen Rabbi Shimon ben Lakish: »(Seine Art war es,) zu kommen und zu gehen, sich niederzusetzen und zu essen und zu trinken (was immer er verdiente) ... Als er starb, hinterließ er (seinen Kindern) einen Scheffel Safran. Auf diesen schrieb er den Vers (Psalmen 49,11): ›Sie müssen andern ihren Reichtum hinterlassen.‹«
Es gibt aber auch eine sehr bekannte Geschichte, die die gegenteilige Ansicht zu vertreten scheint: »Choni, der Kreismacher«, der in einer Dürrezeit Gott »drohte«, er werde seinen Kreis nicht verlassen, bis Er Regen schicken würde, hatte zu einem späteren Zeitpunkt folgendes Erlebnis: Eines Tages sah er auf einer Reise einen Mann, der einen Johannisbrotbaum pflanzte. Er fragte ihn, wie lange es dauern würde, bis der Baum Früchte trägt. Der Mann antwortete: An die 70 Jahre. Choni fragte: Bist du sicher, dass du 70 Jahre leben wirst? Der Mann sagte: Ich habe eine Welt mit Johannisbrotbäumen vorgefunden; so wie meine Väter für mich pflanzten, so pflanze ich für meine Kinder. Rabbi Shimon Golan erklärt, dass Choni, der so ungeduldig war, dass er unverschämterweise von Gott forderte, augenblicklich Regen zu senden, einer Erinnerung bedurfte, dass die Vorsehung Gottes langfristig plant und nicht immer im Hier und Jetzt.
Lebensunterhalt Die Geschichte scheint zu besagen, dass es besser ist, den Kindern die Mittel zur Verfügung zu stellen, die es ihnen ermöglichen, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen, als Reichtümer anzuhäufen, um sie ihnen zu vererben. Auch im Toragebot des Jubeljahres offenbart sich dieser Gedanke: Selbst wenn jemand ein Feld verkauft hat, wenn das Jubeljahr anbricht, muss das Feld ihm oder seinen Erben zurückgegeben werden, um ihnen einen minimalen Lebensunterhalt zu sichern. Die Hauptverantwortung aber, für die Kinder zu sorgen, ist gegeben, solange sie klein sind, um ihnen einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, wenn sie selbst eine Familie gründen. Es gilt als Mizwa, als Erfüllung eines göttlichen Gebotes, einem jungen Menschen in einem Handwerk auszubilden, sodass er später von seiner eigenen Hände Arbeit leben kann.
Auf jeden Fall aber gilt, dass jemand, der Vermögen hat, es bei seinem Tod den Erben vermachen sollte. Viele Gebote in der Tora beziehen sich auf Regelung von Nachlässen. Auch die folgende talmudische Geschichte ist lehrreich: »Als Mar Ukva starb, sagte er: Bringt mir die Aufstellung meiner Spenden für wohltätige Zwecke. Er stellt fest, dass es sich um sieben tausend Dinar handelte. Er sagte: Mein Proviant ist leicht, und der Weg ist lang; sofort schenkte er die Hälfte seines Besitzes für Wohltätigkeitszwecke weg.«
Prinzip Mar Ukva war zwar offensichtlich der Meinung, dass die Erhöhung der Spenden an die Armen absoluten Vorrang hatte, um beim Übergang in die Welt der Wahrheit seinen eigenen Wert zu erhöhen. Man muss aber auch beachten, dass er nicht seinen gesamten Besitz weggab. Das Vermächtnis an seine Kinder war ihm genau- so wichtig. In der Tat, schrieb Rabbi Moshe Isserless, eine Autorität des 16. Jahrhunderts, dass, wenn ein Mensch ein vages Testament hinterlässt, das lediglich festhält, sein Vermögen solle »bestmöglich« verteilt werden, der Besitz den Kinder überlassen werden soll. Denn das sei die bestmögliche Verteilung des Nachlasses.
Die chassidische Tradition kennt eine interessante Interpretation dieses Prinzips. Gott gibt jedem Menschen materielle Ressourcen, damit er seine einzigartige Mission im Leben erfüllt. Doch unsere Mission ist so gigantisch, dass ein Mensch sie innerhalb eines Lebens nicht vollbringen kann. Unsere Kinder sollen unsere geistige Mission in dieser Welt weiterführen. Deshalb ist es logisch, dass alles, was wir zum Zeitpunkt unseres Todes besitzen, ihnen gehören soll. Es ist der Stab, den wir im Staffellauf der Generationen an unsere Kinder weitergeben.
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung von Business Ethics Center of Jerusalem, www.besr.org