Der 15. Tag des jüdischen Monats Schwat – der in diesem Jahr auf den 11. Februar fällt – wurde in der jüdischen Tradition als Neujahr der Bäume festgelegt. Doch die Festlegung dieses Termins war zwischen den großen Rabbinern des ersten Jahrhunderts n.d.Z., Schammai und Hillel, umstritten.
Schammai war der Meinung: So wie Rosch Chodesch und Rosch Haschana immer am ersten Tag des Monats begangen werden, so sollte man es auch mit dem Neujahr der Bäume halten. Hillel hielt dagegen, dass zu Beginn des Monats Schwat weder die Regenzeit noch der Säftekreislauf der Bäume in Gang gekommen sei. Deshalb solle man diesen Tag erst am 15. des Monats begehen. Zudem sei am 15. Schwat mit Vollmond zu rechnen, wie auch Pessach am 15. Nissan und Sukkot am 15. Tischri in seinem Schein gefeiert werden. Letztlich entschied Rabbi Hai Gaon aus Babylon (933–1038) über die Datierung von Tu Bischwat, indem er der Argumentation Hillels folgte.
Mischna Obwohl wir in der Bibel keinen Hinweis auf die Feier dieses Festes finden, hat es im Laufe der Jahrhunderte den Rang eines solchen mit entsprechender Atmosphäre eingenommen, an dem Früchte des Landes Israel verzehrt werden. Selbst die Mischna erwähnt Tu Bischwat nur einmal. Sie nennt es in Verbindung mit den Beiträgen (terumot), mit der Abgabe des Zehnten. Von einem Fest oder einem ausdrücklichen Gebot zum Verzehr der Baumfrüchte ist aber nirgends die Rede.
In der Diaspora kann man sich im Monat Schwat, der mitten in den Winter fällt, nur schwerlich ein Wiedererwachen der Natur und das Grün der Bäume vorstellen. Diese stehen vielmehr kahl unter einem grauen Himmel, der Erdboden ist aufgeweicht. Wer glaubt in dieser Jahreszeit schon an den Frühling?
Grün Unsere Weisen allerdings erklären, dass es gerade der Monat Schwat ist, in dem sich die entscheidende Wende im Innern der Bäume vollzieht – dem menschlichen Auge noch entzogen: Ihr Säftehaushalt kommt wieder in Gang und lässt die Bäume dann im Monat Nissan erneut grünen und blühen.
Die hebräische Bezeichnung »saraf« (Harz) erinnert auch an die in der Bibel genannten Engel, die unsichtbar, aber doch höchst wirksam zugunsten des Lebens am Werk sind – wie der im Baum aufsteigende Saft. So kann uns Tu Bischwat als ein ausgesprochenes Fest der Hoffnung gelten. Es lehrt uns, nach dem Ersterben der Natur an Gottes verborgenes Wirken zum Leben in seiner Schöpfung zu glauben.
Rabbiner Kook sagte, es sei eine Mizwa, die Früchte des Landes mit allen Sinnen zu genießen, denn sie spiegeln den Glanz der Heiligung von Eretz Israel wider. Es ist unser Auftrag, der ganzen Welt bekannt zu machen: »Die Blumen sind aufgegangen im Lande, der Frühling ist herbeigekommen, und die Turteltaube lässt sich hören in unserem Lande« (Schir Haschirim 2,12).
Seder Begründer und Förderer des Tu-Bischwat-Festes waren die Kabbalisten von Safed, Rabbi Luria Aschkenasi und sein Schüler Rabbi Chaim Vital. Lurianische Mystiker haben den Tu-Bischwat-Seder eingeführt, der – dem Pessachabend ähnlich – mit vier Gläsern Wein gefeiert wird. Diese Ordnung sieht auch vor, möglichst viele Früchte, bis zu 30 Sorten, zu verzehren. Auch von der aschkenasischen Tradition wurde dieser Brauch übernommen.
Die Früchte sind in zehn Sorten kategorisiert, die man ganz isst, wie Trauben, Feigen oder Birnen; in zehn Sorten, deren Kern nicht mitgegessen wird, wie Datteln, Oliven oder Pflaumen, und in weitere zehn Früchte, die man ohne Schale verzehrt, wie Bananen, Nüsse und Granatapfel.
weinBecher Das Trinken der vier Gläser Wein vollzieht sich nach einem bestimmten Ritus. Zuerst trinkt man einen Becher Weißwein. Er gilt als der »Winterminister«. Seine fahlgelbe Farbe symbolisiert die »schlafende Natur« des vergangenen Winters. Dieses erste Weißweinglas trinken wir zum Wohle des Baumes und des Menschen, in dessen Adern sein Blut fließt, das vom roten Wein symbolisiert wird, dem »Frühlingsminister«.
Er kommt beim Genuss des zweiten Glases zum Zuge, indem er in geringer Menge dem Weißwein beigemischt wird und für den Kampf zwischen Winter und Frühling steht. Der dritte Becher ist zu gleichen Teilen mit beiden Weinen gefüllt und bringt so die Hoffnung zum Ausdruck, dass der Frühling über den Winter siegen wird.
Das vierte Glas ist bis auf ein wenig Weißwein ganz mit Rotwein gefüllt. Es kündet vom Sieg des Frühlings. Seine rötliche Farbe repräsentiert die Wärme des Sommers und die Fülle der Farben, die die Natur in dieser Jahreszeit annimmt. In der Diaspora bürgerte sich – der Not gehorchend – der Brauch ein, die Früchte des Landes Israel als Trockenfrüchte zu sich zu nehmen.
Tikkun In Zusammenhang mit Tu Bischwat liegt es nahe, an Adam als den ersten Menschen zu denken, der am 1. Tischri eine Frucht vom Baum der Erkenntnis aß. Angesichts dieses ersten Früchteessens knüpft Rabbi Akiva bewusst eine Verbindung zum Verzehr der Früchte zu Tu Bischwat als Tikkun.
Nach dem 1. Buch Mose 2,16 handelt es sich um eine positive Mizwa: »Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten.« Im 1. Buch Mose 2,15 steht geschrieben: »Und Gott der Herr nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.«
Mit dem »leovda« – »betätigen, bebauen« – verbinden wir die positive Mizwa, dass der Mensch Früchte essen soll. Mit dem »uweschomra« – »bewahren« – verbinden wir die negative Mizwa. Wir sollen verstehen, dass dem Menschen befohlen ist, Früchte zu essen und kein Fleisch. Denn durch Früchte ist es viel leichter, Heiligung zu erlangen, als durch den Genuss von Fleisch, das eine besondere Behandlung erfahren muss, bis es das Stadium erreicht, in dem es dem Menschen zur Heiligung dienen kann. Gerade zu Tu Bischwat kann uns die Erfüllung der positiven Mizwot in Bezug auf das Früchteessen wieder bedeutsam werden.
Durch den Verzehr der Früchte im Rahmen des Festes bleibt zum Beispiel ein Apfel nicht mehr der botanischen Welt verhaftet. Er steigt auf aus dem Bereich der materiellen Welt und wird in die geistige Welt integriert. Indem sie im Sinn der Tora zur Heiligung des Menschen gegessen wird, nimmt auch die Frucht eine geistige Größe an.
Der Autor ist Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz und war bis 2011 Landesrabbiner von Sachsen.