In unserem Wochenabschnitt werden die letzten drei der zehn Plagen aufgezählt. Vor der achten Plage, den Heuschrecken, stimmt Pharao kurzzeitig zu, Mosche und das jüdische Volk ziehen zu lassen. Seine Zustimmung muss jedoch etwas näher betrachtet werden.
»Zieht hin, dient dem Ewigen, eurem G’tt, wer und wer soll gehen?«, sagt Pharao zu Mosche. Und Mosche antwortet: »Mit unseren Jünglingen und unseren Alten wollen wir ausziehen, mit unseren Söhnen und Töchtern, mit unseren Schafen und Rindern wollen wir ausziehen, denn wir haben dem Ewigen ein Fest zu feiern.«
Was in dieser Textpassage sofort ins Auge fällt, ist die Wiederholung des Wortes »wer«. Pharao fragte: »Wer und wer soll gehen?« Kurz darauf antwortet Pharao: »Nicht so. Ihr Männer zieht hin und dient dem Ewigen, denn das wollt ihr ja.« Der Pharao stimmt also nur zu, die Männer gehen zu lassen, nicht jedoch die Frauen und Kinder, von den Tieren ganz abgesehen.
midrasch Der amerikanische Rabbiner Dovid Green wirft diese Frage unter Einbeziehung des Kommentars Kometz Mincha auf. Wir finden eine mögliche Erklärung dafür, warum Pharao zweimal das Wort »wer« benutzt, in einem Midrasch. Der Midrasch erklärt, dass ein Hinweis darauf in einem Psalm zu finden ist: »Wer kann den Berg G’ttes aufsteigen, und wer kann an seinem heiligen Ort verweilen?« (24,3).
Der Psalm setzt fort mit der Erklärung, wer es ist und wie außerordentlich diese Person sein muss, um an diesem heiligen Ort verweilen zu können. Mithilfe dieses Midraschs können wir verstehen, warum der Pharao davon ausging, dass nur die erwachsenen Männer hinausziehen würden.
In der jüdischen Tradition machen alle mit. Es gibt eine Aufgabe für jeden, und jeder ist sehr wichtig.
Rabbiner Dovid Green erklärt, dass der Gedankengang des Pharaos darauf ausgelegt war, dass dem Ewigen nur dienen kann, wer sich mit seiner ganzen Existenz dieser Aufgabe widmet. Aus diesem Grund ging der Pharao sogar davon aus, dass es sehr großzügig von ihm war, alle Männer ziehen zu lassen. Es war für ihn völlig undenkbar, dass Männer, Frauen und sogar Kinder an diesem Ereignis teilnehmen würden.
In der jüdischen Tradition machen alle mit. Es gibt eine Aufgabe für jeden, und jeder ist sehr wichtig. Jeder Einzelne hat die Gelegenheit und ist auch verpflichtet, dem Schöpfer zu dienen. Die Kinder begleiten die Erwachsenen, machen mit und lernen auch davon. Als Mosche zum Pharao sprach, erwähnte er die Kinder sogar vor den Erwachsenen, um damit auf ihre Bedeutung aufmerksam zu machen: »Mit unseren Jünglingen und unseren Alten ...«
reinheit Die Kindheit wird im Judentum als ein Zeitabschnitt der Reinheit, der Freude und des Schönen betrachtet. Sie ist ein Symbol der Schöpfung, eine Zeit, in der die Entwicklung des Menschen am entscheidendsten ist. Im Talmud wird gesagt: »Ihr Atem ist frei von Sünde« (Schabbat 119a).
In dem Buch Chovot HaLevavot schreibt der Autor Bachja ibn Pakuda: »Ein Kind ist kein Denker und nicht in der Lage, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden.« Aus diesem Grund haben die Eltern die Verantwortung, das Kind richtig zu leiten und zu führen.
Wie wichtig diese Erziehung ist, sehen wir auch an unseren Festtagen. Pessach, das Fest, das uns an den Auszug aus Ägypten erinnern soll, gibt dem Kind eine ganz besondere Rolle. Die ganze Familie versammelt sich um den Tisch, und der Vater beginnt, aus der Haggada zu lesen. Während des ganzen Sederabends werden alle Kinder und insbesondere die jüngsten dazu eingeladen, Fragen zu stellen.
Es war für ihn völlig undenkbar, dass Männer, Frauen und sogar Kinder an diesem Ereignis teilnehmen würden.
In der Haggada lesen wir von den vier Söhnen und ihren Fragen. Die Söhne werden eingeteilt in den weisen, den sündhaften, den einfachen Sohn und den Sohn, der nicht weiß, wie man fragt. Die Haggada geht auf ihre möglichen Fragen ein und lehrt uns, wie darauf zu antworten ist.
lehrer Der Talmud geht sogar noch einen Schritt weiter. Normalerweise muss, wenn ein Junge einen Vater hat, jener das Kind Tora lehren. Doch was ist, wenn er keinen Vater hatte? Unsere Weisen fanden eine Lösung: Sie stellten in Jerusalem Lehrer bereit, die diese Kinder unterrichteten.
Rabbiner Dovid Green hebt hervor, dass es diese Lehrer nur in Jerusalem gab und nicht in anderen Städten. Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass Bildung etwas sein sollte, das jedem überall zugänglich ist. Das mag soweit auch stimmen, doch im Judentum geht es nicht nur um den intellektuellen Aspekt.
Jerusalem war ein Ort voller Menschen, die ihre Aufgabe darin sahen, dem Ewigen bestmöglich zu dienen und kontinuierlich spirituell zu wachsen. Es ging um die ganze Atmosphäre, die dort herrschte. Ein junger Mensch war in der Lage, nicht nur seine Intelligenz zu schärfen, sondern er war die ganze Zeit über auch von guten Vorbildern umgeben, von denen er weitaus mehr lernen konnte als aus Büchern.
Armee Womöglich war es genau das, was der Pharao nicht verstehen konnte. Als König war er der oberste Befehlshaber einer riesigen Armee, und selbstverständlich hatten seine Offiziere nur Männer rekrutiert, die auch als Soldaten einzusetzen waren. In der Landwirtschaft arbeiteten Fachmänner, die sich auskannten, und die Finanzen übernahmen wiederum andere. Kinder hatten in keiner dieser Gruppen etwas zu suchen. Sie konnten dem Pharao nicht dienen. Sie waren nutzlos.
Es scheint, als ob der Pharao denselben Gedankengang auch auf Mosches Anliegen übertrug und nicht einmal auf die Idee kam, dass auch die Kinder mitgehen.
Was wir aus dem Dialog von Mosche und Pharao lernen, ist, dass das jüdische Volk, wo immer es auch sein mag und unter welchen Umständen es auch lebt, eine Einheit darstellt. Wir gehören immer zusammen. Unsere Verbindung zu G’tt und das Leben nach der Tora ist das, was uns zu dieser Einheit macht. All das besteht dort, wo es gute Beispiele und Vorbilder für unsere Kinder gibt und wo die jüdische Erziehung für alle zur Verfügung steht.
Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.
inhalt
Der Wochenabschnitt Bo schildert die letzten Plagen, mit denen G’tt die Ägypter heimsucht: Das sind zunächst Heuschrecken und Dunkelheit, dann kündigen Mosche und Aharon die Tötung aller ägyptischen Erstgeborenen an. Doch das Herz des Pharaos bleibt weiter hart. Die Tora schildert die Vorbereitungen für das Pessachfest und beschreibt dann die letzte Plage: Alle Erstgeborenen Ägyptens sterben, doch die Kinder Israels bleiben verschont. Nun endlich lässt der Pharao die Israeliten ziehen. Zum Abschluss schildert der Wochenabschnitt erneut die Vorschriften für Pessach und die Pflicht zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten.
2. Buch Mose 10,1 – 13,16