Eine der interessantesten Betrachtungen der Tora in Bezug auf Pessach ist die Verbindung zwischen dem Fest und dem Zeitraum, in dem es gefeiert werden soll. »Halte den Monat Aviv, dass du Pessach haltest dem G’tt, deinem G’tt« (5. Buch Moses 16, 1). Die Tora stellt fest, dass Pessach kein Feiertag ist, der in der Hitze des Sommers gefeiert werden kann und auch nicht in der Kälte des Winters; er ist besonders für den Frühling geeignet. Was bedeutet diese Verbindung? Und was sind die Folgen für das ganze Jahr?
Die Pessach-Bedeutung hat eigentlich nichts mit dem Wetter zu tun. Es scheint nicht so zu sein, dass G’tt den Auszug aus Ägypten für den Frühling geplant hatte, nur weil das Wetter in der Wüste zu der Jahreszeit angenehmer ist als in der Sommerhitze. Es ist bekannt, dass der Weg von Ägypten nach Eretz Israel durch die Wüste etwas Zeit in Anpruch nimmt. Tatsächlich dauerte dieser Weg etwa 40 Jahre, mit allen Jahreszeiten. Der Frühling symbolisiert die Blütezeit. Nach dem Winter, der die Erde bewässert hat, kommt eine Jahreszeit, in der wir die Schönheit der Blüte sehen können.
Kalender Stellt sich die Frage: Wie kann Pessach immer in den Frühling fallen? Der jüdische Kalender richtet sich nach zwei Achsen. Einerseits ist er vom Sonnenkreislauf und andererseits vom Mondkreislauf abhängig. Bei der Sonne gibt es keine Än-
derungen.
Jeden Tag scheint sie genauso wie am vorherigen Tag. Die Sonne ist für den Tag- und Nachtkreislauf verantwortlich, die zwar entsprechend der Jahreszeiten kürzer oder länger sind, aber das hat keinerlei Einfluss auf die Sonne, die im Winter und Sommer gleich aussieht. Neben der Sonne gibt es den Mond. Auf Hebräisch bedeutet Mond Jareach, also Monat (Jerrach).
Der Mond ist die Grundlage für die Berechnung der Monate. Er erneuert sich jeden Monat. Das Sonnenjahr hat 365 Tage und sechs Stunden. Wenn wir aber zwölf Monate aufzählen werden, dann hat jeder Monat 29 Tage, zwölf Stunden und 793 Chalakim (Teile). Multipliziert man die Mondmonate mit zwölf, dann hat das Mondjahr 354 Tage, acht Stunden und 876 Chalakim. Das Mondjahr ist dann zehn Tage, 21 Stunden und 204 Chalakim kürzer als das Sonnenjahr. Daraus ergibt sich, dass nach Ablauf von drei Mondjahren ein ganzer Monat mit 30 Tagen fehlt und ausgeglichen werden muss, um das Mondjahr an das Sonnenjahr anzugleichen.
Übrigens, der muslimische Kalender, der allein auf dem Mondjahr basiert, wandert zwischen den Jahreszeiten. Ihre Feiertage fallen deshalb jedes Jahr in eine andere Jahreszeit. Um die Tora zu praktizieren und Pessach im Frühling zu feiern, haben die früheren Weisen angeordnet, alle paar Jahre das Jahr zu verlängern. Die Verlängerung des jüdischen Jahres hat drei Regeln.
Der Grund für die Verlängerung des Jahres ist, dass Pessach gerade im Frühling gefeiert wird. Deshalb legten die früheren Weisen fest, dass die Verlängerung gerade mit dem Monat Adar, dem Monat vor Pessach, erfolgen soll, um das Datum mit den Jahreszeiten zu koordinieren. Die Verlängerung erfolgt also, indem ein weiterer Monat mit 30 Tagen zu den Jahresmonaten hinzugefügt wird, sodass das verlängerte Jahr 13 Monate hat. (In einem Kreislauf von 19 Jahren wird siebenmal ein Jahr durch einen zusätzlichen Monat Adar verlängert, nämlich im 3., 6., 8., 11., 14., 17. und 19. Jahr.)
gebet Was verbindet das Volk Israel mit Mond und Frühling? Im Midrasch wird das Volk Israel mit dem Mond verglichen. Das Volk Israel lebt in einem besonderen Kreislauf in der Welt. In dem Kidusch-HaLevana-Gebet (dieses Gebet wird jeden Monat in der zweiten Woche des Monats gesprochen, am Schabbatausgang, während alle Beter unter freien Himmel gehen und G’tt für das Wiedererscheinen des Mondes danken).
Wir beten: »Dem Mond hieß ER, dass er sich erneuere, Kranz der Verherrlichung der von Geburt Belasteten, die bestimmt sind, ihm gleich sich zu erneuern …« Das Volk Israel und der Mond werden hier mit einer schwangeren Frau verglichen.
Die Wachstumszeit bei der Schwangerschaft und das Tief, das danach kommt. Das Volk Israel befindet sich immer zwischen Höhen und Tiefen. Seine Kraft, sich zu regenerieren, wird ihm von G’tt gegeben. Es handelt sich um ein Volk, das immer wieder die Kraft findet, sich zu erneuern und in der ganzen Welt aufzublühen, obwohl es unter dem harten Regime von anderen Völkern leidet.
Blüte Rabbiner Abraham Izchak Kuk verfasste für jeden Monat einen Satz, der die Bedeutung dieses Monats zusammenfasst. Für den Monat Nissan schrieb er: »Der Auszug aus Ägypten wird für immer der Frühling für die ganze Welt bleiben.« Der Frühling symbolisiert Blütezeit.
Nach dem Winter, wenn der Mensch zu Hause bleibt und wegen des Bewegungsmangels und der Kälte keine neuen Dinge entwickelt werden, kommt der Frühling und alle Ideen, die im Winter »ausgebrütet« wurden, können nun verwirklicht werden. Die Sklaverei in Ägypten war nichts Fremdes in der Welt. Völker, die von anderen Völkern versklavt wurden, sind leider nicht nur Geschichte. Aber der Auszug aus Ägypten war ein Wendepunkt. Die Fähigkeit eines Volks, sich von der Sklaverei zu retten und selbstständig zu leben, existierte damals nicht. Der Auszug aus Ägypten war und ist ein Symbol für die Befreiung von Sklaven für die ganze Welt.
Der Natziv aus Wolozin erklärt in seinem Kommentar »Haamek Davar«: Im Laufe des Jahres isst der Mensch das Obst, und die Kerne werden in den Müll geworfen. In der Frühlingszeit aber sind gerade die Obstkerne wichtig, denn aus ihnen kann ein neuer Baum wachsen. So ist es auch mit dem Volk Israel: Die Welt respektiert es nicht. Aber es werden Zeiten kommen, in der die Welt merken wird, dass gerade die Besonderheit dieses Volkes die Welt zusammenhält und ermöglicht, weiter zu blühen.
Das Pessachfest im Frühling zeigt die Verbindung zwischen der Natur und der Blüte des Volkes Israel während der Erlösung beim Auszug aus Ägypten. Der Auszug aus Ägypten konnte nicht in einer anderen Jahreszeit stattfinden, weil in dieser Zeit große Ideen verwirklicht werden und darüber wurde gesagt: »Im Nissan wurde das Volk Israel erlöst – beim Auszug aus Ägypten, und im Nissan werden sie erlöst – wenn unser Erlöser, der Messias, bald kommen wird.«
Der Autor ist Gemeinderabbiner in Dortmund und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.