Botz und ich spielten seit über einem Jahr zusammen in einer Band. Wir teilten uns eine Wohnung in Brooklyn. An diesem Tag kam Botz später als sonst nach Hause. »Was ist denn los?«, fragte ich ihn.
»Ich fühle mich schrecklich.« »Wieso denn?«»Heute ist mein 28. Geburtstag.« »Herzlichen Glückwunsch!« »Du verstehst nicht. Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, sie sind alle mit 27 Jahren gestorben.« »Na und?« »Überleg doch, was sie alles erreicht haben vor ihrem 27. Geburtstag. Ich bin 28 und lebe immer noch hier mit dir.«
Wir kamen zu dem Schluss, dass es Zeit war, etwas zu tun – zum Beispiel, unsere Musikerkarriere anzukurbeln. Zu diesem Zweck schlug Botz vor, wir sollten die Jamsession-Szene testen. Viele Klubs veranstalten Jamsessions als »Open Mic Nites«. Der Klub engagiert eine Hausband und lädt alle in der Nachbarschaft lebenden Talente zum Mitspielen ein. Eine gute Jamsession bietet den begabtesten Leuten in der Gegend eine Auftrittsmöglichkeit. Doch auch die miserabelsten Möchtegernmusiker der Welt wittern ihre Chance.
Wenn wir lange genug zu Jamsessions pilgerten, so hatte Botz es sich ausgemalt, würde uns endlich jemand entdecken und uns engagieren. »Es ist bloß eine Frage der Zeit, bis wir den Gig als Vorgruppe bei Bowie bekommen«, pflegte er zu sagen.
Vollpfosten Eine Jamsession fängt gewöhnlich gegen zehn Uhr abends an und geht ohne Unterbrechung bis vier Uhr morgens. Die besseren Musiker sind der Hausband oft schon bekannt. Sie werden aufgefordert, mitzuspielen, sobald der Bandleader sie hereinkommen sieht. Alle anderen Musiker, die sich im Klub zeigen, gelten erst einmal als Nichtskönner und müssen fast bis zum Ende warten, um eine Chance zum Spielen zu bekommen. Botz begriff das Prinzip schneller als ich. »Ich glaube, wir werden heute Abend wieder bei den Vollpfosten sitzen«, sagte er.
»Was soll das heißen?« »Sie werden uns erst gegen Ende erlauben, zu spielen. Sie schmeißen uns mit all diesen Idioten zusammen, die nicht spielen können.« Er hatte recht. Es war furchtbar. Wenn man mit einem lausigen Musiker spielt, hören sich alle genauso schlecht an wie er. Eine Band ist nur so gut wie ihr schwächstes Mitglied. Oft warteten wir stundenlang, nur um am Ende mit irgendeinem verklemmten Buchhaltertyp und Feierabend-Rock-’n’-Roller zu spielen. Zum zehnten Mal an diesem Abend kündigt er »Red House« an und versucht dann (ohne Erfolg), seine musikalische Virtuosität (die er nicht besitzt) vor seinen Freunden unter Beweis zu stellen.
Nach etwa drei Wochen hielt ich es nicht mehr aus. »Ich gebe auf, Botz, es ist nicht die Mühe wert. Es muss eine bessere Methode geben, um in der Musikindustrie Fuß zu fassen«, beschied ich ihn. »Okay, Mann, aber ich werde es weiter versuchen. Irgendwann muss es doch klappen.«
Nach endlosen quälenden Monaten bekam Botz seine Chance. Der reguläre Drummer hatte sich auf dem Klo eingesperrt und weigerte sich, herauszukommen und zurück auf die Bühne zu gehen. Botz wurde gebeten, mit der Hausband zu spielen. Es dauerte nicht lange, und sie begriffen, dass Botz einer der besten Drummer in New York war. Bald war er derjenige, der zum Mitspielen aufgefordert wurde, wenn die Top-Leute kamen. Er wurde für Gigs in der Nachbarschaft engagiert, später für kurze Tourneen nach New Jersey oder Connecticut. Er wurde der Hausdrummer. Er fing an, sich einen Namen zu machen.
Sackgasse Meine Karriere hingegen steckte immer noch in der Sackgasse. Ich hatte keine Arbeit. Ich unternahm nichts, um Bewegung in die Sache zu bringen. Eines Abends bat ich Botz, mit mir zusammen zu jammen. »Ich würde furchtbar gern, aber ich bin die ganze Woche ausgebucht«, sagte er. »Bobby Blue Blood braucht mich am Donnerstag. Sammy Two-Toes braucht mich über das Wochenende. Die ganze Woche danach spiele ich mit Sludge Factor. Vielleicht können wir in drei Wochen was zusammen machen.«
Ich fühlte mich furchtbar. Botz eilte von einem Engagement zum nächsten, während ich allein zu Hause saß und Wiederholungen von All in the Family glotzte. Ich suchte nach Erklärungen für Botz’ Erfolg: »Weil er Drummer ist. An guten Drummern herrscht Mangel. Wenn ich Schlagzeug spielen würde, hätte ich auch Arbeit.« Oder: »Er ist älter als ich. Es ist nur natürlich, dass ein Mensch seines Alters regelmäßig arbeitet.« Oder (nach einer besonders tiefsinnigen Betrachtung): »Vielleicht liegt es daran, dass er groß ist. Niemand will einen kleinen Mann wie mich engagieren.«
Botz fing an, mich zu nerven. »Seine Haare kleben in der Badewanne. Er wäscht nie ab. Das ganze Haus stinkt nach Knoblauch. Warum ist hier alles mit Olivenöl versaut?!« Einmal kam Botz spät von einem Auftritt nach Hause. Er öffnete die Tür, um in die Wohnung zu gelangen. Die Tür quietschte. »Du rücksichtsloser, egoistischer Arsch!«, schrie ich.»Es tut mir leid. Was habe ich gemacht? Bist du okay?« »Du denkst immer nur an dich! Warum denkst du nicht mal an jemand anderen? Wie kannst du es wagen, hier so hereinzutrampeln und mich aufzuwecken?!«
Botz ging verwirrt in sein Zimmer. Ich war außer mir. Es dauerte einige Tage, bis ich mich wieder beruhigt hatte. Botz schlich wie ein geprügelter Hund durch die Wohnung. Er wischte den Fußboden. Er taute den Kühlschrank ab. »Bist du immer noch sauer auf mich?«, fragte er mich. »Halt die Klappe!« »Kann ich irgendetwas tun?« »Ja, fahr zur Hölle!«
selbstmitleid Ich war neidisch, denn Botz war es gelungen, seine Karriere in Schwung zu bringen, und ich hasste ihn dafür. Weder war ich bereit gewesen, Lehrgeld zu bezahlen, noch hatte ich irgendetwas anderes angefangen. Stattdessen suhlte ich mich in Selbstmitleid. Statt die Situation so zu sehen, wie sie war, fand ich Ausreden und Rechtfertigungen. Ich ließ es zu, dass die negativen Gefühle sich in mir aufstauten, bis es zur Explosion kam. Es wurde Zeit, dass ich mich dem Problem stellte und erwachsen wurde. »Es tut mir leid, Botz«, sagte ich. »Ich habe mich wie ein Idiot benommen. Ich war einfach nur neidisch.«
»Mach dir deswegen keine Gedanken.« »Es hat ein bisschen gedauert, bis ich die Dinge objektiv sehen konnte. Es geht ja nicht, dass ich dich hasse, nur weil ich zu faul bin, mein Leben auf die Reihe zu kriegen.«
»Das ist okay. Weißt du, jetzt, wo ich in der Hausband bin, kann ich dich mit den echten Musikern auf die Bühne bringen. Du brauchst nicht mehr bei den Trotteln zu sitzen. Komm doch mal vorbei.« »Ja. Vielleicht.«
Wir waren wieder Freunde. Wir gingen auf ein Versöhnungsessen in ein »White Castle«-Restaurant. »Es gibt nichts Besseres als eine Magenverstimmung als Ersatz für schlechte Gefühle, stimmt’s?« Ich bestellte sechs Mini-Burger. Botz hatte Pommes mit Käse und eine Cola. Meine Eingeweide grummelten erwartungsvoll. Das Leben war wieder in seinen alten Bahnen.
Offenbarung Sieben Jahre später war ich in Jerusalem. Eine verrückte Verkettung von Ereignissen hatte dazu geführt, dass ich meine jüdischen Wurzeln wiederentdeckte. Der Heavy-Metal-Donner früherer Jahre war nur noch ein schwacher Nachhall. Ich blickte zurück auf meinen fehlgeschlagenen Versuch, meine Karriere in Gang zu bringen. »Was habe ich mir damals nur gedacht? Statt mich mit meinen Gefühlen und Defiziten auseinanderzusetzen, machte ich Botz zu meinem Prügelknaben.«
Ich fuhr fort mit meinen Überlegungen: »Ich hätte meinen Ausreden weiter Glauben schenken können, aber das wäre ziemlich lahm gewesen. Ich glaube, als ich die Dinge klarer sah, erkannte ich, dass ich selbst das Problem lösen muss. Nicht Botz war neidisch. Ich war es.« Ich war über ein fundamentales jüdisches Prinzip gestolpert: Ich bin derjenige, der sich mit den größten Fehlern meines Lebens auseinandersetzen muss – niemand sonst.
Ich schlenderte durch die Innenstadt von Jerusalem, um Bier und Falafel zu kaufen. »Sollte Botz irgendwann nach Israel kommen, werde ich ihn mit Schawarma bekannt machen«, überlegte ich. »Besser als im White Castle ist es allemal.« Ich fühlte mich stark. Ich hatte das Gefühl, jede Herausforderung, die das Leben für mich bereithielt, annehmen zu können. Ich hatte mein Leben in den Griff bekommen.
Übersetzung und Abdruck mit freundlicher Genehmigung von aish.com