Paraschat Chaje Sara handelt von Awrahams Frau Sara, ihrem Leben im fortgeschrittenen Alter und ihrem Tod. Es finden sich in diesem Wochenabschnitt einige grundsätzliche, tiefgreifende Lektionen zum Thema Liebe.
Die Liebe ist ein Gefühl, das in der menschlichen Erfahrung eine entscheidende Rolle spielt. In Chaje Sara sehen wir, wie verschiedene Formen der Liebe in den Vordergrund treten und das Handeln der Figuren leiten. Im Folgenden möchte ich einige Arten der Liebe beschreiben, die in dieser Parascha vorkommen.
Eine große Rolle spielt die Liebe, die Awraham für seinen Sohn Jizchak empfindet. Awraham unternimmt große Anstrengungen, um die passende Frau für Jizchak zu finden. Obwohl Sara gerade erst gestorben ist, wartet Awraham nicht lange, mit der Suche nach einer Frau für Jizchak zu beginnen.
Er beauftragt seinen Diener Elieser damit, noch innerhalb des Trauerjahres eine Frau für Jizchak zu finden. Elieser bekommt genaue Anweisungen, von welchem Volk die Frau sein soll. Als Elieser dann auf Riwka, Jizchaks zukünftige Ehefrau trifft, unterzieht er sie einer Art Prüfung, um sicherzustellen, dass sie den Anforderungen des Hauses Awraham gerecht wird. Die Kraft der elterlichen Liebe führt dazu, dass Eltern alles tun, um das Glück und den Erfolg ihrer Kinder zu fördern.
GRAB Auch nach Saras Tod ist Awrahams Liebe für Sara aus seinen Taten ersichtlich. Die Tora beschreibt sehr genau, welchen Aufwand Awraham auf sich nahm, um Sara zu beerdigen und sicherzustellen, dass ihr Grab für alle Ewigkeit erhalten bleibt. Awraham sorgt dafür, dass es dort auch einen Platz für ihn geben wird. Es stand für ihn außer Frage, dass er bei seiner Ehefrau begraben wird.
Er kauft den Hetitern die Höhle Machpela ab, eine besondere Transaktion, denn die Hetiter wollten ihm die Höhle aus Anerkennung offenbar sogar schenken, Awraham aber bestand darauf, die angemessene Summe Geld dafür zu zahlen. Dies ist in der Tora so detailliert beschrieben, dass viele Halachot für Begräbnisse aus dieser Stelle abgeleitet werden.
Riwkas und Jizchaks Beziehung zeigt die romantische Liebe in ihrer reinsten Form. Als sich die beiden das erste Mal begegnen, fühlen sie eine starke Anziehung und werden füreinander bestimmt. Es wird interpretiert, dass Riwka von ihrem Kamel fiel, als sie Jizchak das erste Mal sah, und Jizchak sie von Anfang an liebte. Diese romantische Liebe ist die Grundlage für eine liebevolle Ehe.
GASTFREUNDSCHAFT Die Szene, in der Riwka Wasser für Eliesers Kamele schöpft, ist ein Beispiel für Nächstenliebe und Mitgefühl. Riwka zeigt uneigennützige Liebe und Dienstbereitschaft gegenüber einem Fremden, indem sie ihm zu trinken gibt und alle seine Kamele tränkt. Dies geht nicht nur über das übliche Maß an Gastfreundschaft hinaus, sondern benötigt auch ziemlich viel Zeit und Kraft. Sie zeigt sich Elieser gegenüber sehr großzügig, was von diesem als gutes Zeichen gewertet wird, da das Haus seines Herrn ein Haus von Chessed, Großzügigkeit, ist. Riwka zeigt also schon von Anfang an die Eigenschaften, die von Awraham und Elieser gesucht werden. Dies erinnert uns daran, dass die Liebe nicht auf enge Beziehungen beschränkt ist, sondern sich auf Mitmenschen und Fremde erstrecken kann.
Die Bedeutung dieser verschiedenen Formen der Liebe wird durch das Leben und das Erbe von Sara sowie durch Awrahams Bemühungen bei der Suche nach einer Frau für Jizchak unterstrichen. Sie zeichnen ein Bild von einer Welt, die auf Liebe, Vertrauen und zwischenmenschliche Beziehungen aufgebaut ist.
Die amerikanische Psychologin Barbara Fredrickson, die sich auf das Thema Positivpsychologie spezialisiert hat, betont die Wichtigkeit von Liebe und zwischenmenschlichen Beziehungen in der menschlichen Existenz. »Liebe ist ein kurzzeitiges Aufwallen von drei eng miteinander verknüpften Ereignissen: erstens dem Teilen von einer oder mehreren positiven Emotionen zwischen dir und einer anderen Person; zweitens der Übereinstimmung zwischen deiner Biochemie und deinem Verhalten mit dem der anderen Person; und drittens dem reflektierten Motiv, in das Wohlbefinden des anderen zu investieren, was gegenseitige Fürsorge mit sich bringt.«
Zu lieben gehört also zu unseren Instinkten, es braucht allerdings manchmal einen positiven Funken, um die natürlichen Reaktionen eines jeden Menschen auszulösen.
KONFLIKTE In der Tat sind in einer Welt, die oft von Konflikten, Unstimmigkeiten und Unterschieden geprägt ist, Liebe und Vertrauen die Schlüssel zur Überwindung von Hindernissen und zur Schaffung einer besseren Gesellschaft. Chaje Sara erinnert uns daran, dass wir die verschiedenen Formen der Liebe erkennen und in unserem eigenen Leben praktizieren sollten. Unsere Vorfahren haben uns mit ihren Taten gezeigt, was es bedeutet, zu lieben und Beziehungen voller Vertrauen sowohl zueinander als auch zu Gʼtt aufzubauen und zu pflegen.
Auch wenn es, gerade in der aktuellen schweren Krise des jüdischen Volkes, nicht selbstverständlich erscheint, Vertrauen zu zeigen, so lernen wir aus dieser Parascha und den Charakteren, dass es uns gerade in schwierigen Zeiten hilft, wenn wir Liebe und Vertrauen finden können.
Letztendlich liegt in der Liebe und im Vertrauen die Kraft, unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen, in dem wir uns um unsere Mitmenschen kümmern und harmonisch miteinander existieren können.
Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.