Ist es nicht immer wieder beeindruckend, wie ich an meinem Arbeitsplatz hinterm Computer sitze und durch angestrengtes Dauerstirnrunzeln einen ungemein arbeitsamen Eindruck hervorrufe? Dabei swinge ich schon seit einer halben Stunde auf diversen Facebook-Seiten herum. Ich betreibe wichtige Foto-Recherchen über meine Schwägerin Sharon.
Gewichtskurve Wir haben uns seit Ewigkeiten nicht gesehen, denn sie hat vor rund zwei Jahren Alija gemacht und wohnt jetzt in Rishon Lezion. Dort hat sie auch ihren Verlobten Schlomzi kennengelernt. In zwei Monaten kommen die beiden uns besuchen, damit wir unseren künftigen Verwandten begutachten können. Der große Stressfaktor für die nächsten Wochen und der Grund, warum ich wie besessen Sharons Fotos checke, ist ihre Gewichtskurve, die unangenehmerweise entgegengesetzt zu meiner eigenen verläuft – für alle Welt sichtbar auf Facebook.
Als Sharon und ich uns kennenlernten, war sie derart moppelig, dass ich neben ihr geradezu schlank wirkte. Doch nun, sieben Jahre später, hat sie zehn Kilo weniger auf den Hüften, während ich ... Reden wir lieber nicht darüber.
Ich bin sowieso schon ein Nervenwrack, wenn ich mir das Szenario in einigen Wochen ausmale: Wird sie dünn wie ein Strich hereinspazieren und mich abschätzig mustern? Wird sie, wenn wir Shwarma essen gehen, nur einen Salat bestellen, und – Schreck! – muss ich dasselbe tun? Und am schlimmsten: Werden bald überlebensgroße Fotos dieser unangenehmen Begegnung auf Facebook kursieren und von aller Welt hämisch kommentiert werden?
Ich habe mich deshalb hilfesuchend an meinen Göttergatten Alain gewandt. Der meinte tröstend: »Nur keine Sorge. Alle Frauen, die nach Israel auswandern, kommen total verfettet zurück.« Stimmt eigentlich. Oder? Ich öffne noch mal das neueste Facebook-Fotoalbum meiner Schwägerin. Schwer zu sagen, ob sie jetzt wieder zur Moppel-Liga gehört oder nicht, denn – cleverer Schachzug – sie steht stets in der Mitte ihrer pausbäckigen Moppelfreundinnen und macht darum eine relativ gute Figur. Den Trick sollte ich mir abschauen. Aber leider sind meine Freundinnen allesamt magere Hungerhaken, und der Mopppel in der Mitte bin immer nur ich.
Nulldiät Wahrscheinlich sitzt Sharon in Rishon auch gerade am Computer, checkt meine Facebook-Moppel-Fotos und lacht sich ins Fäustchen. Bei dem Gedanken zucke ich zusammen. Ich beschließe, sofort auf Nulldiät zu gehen und meine Facebook-Policy radikal zu ändern. Keine peinlichen Fotos mehr. Alles wird genauestens gescannt und Moppelfotos gnadenlos zensiert. Ab jetzt gibt es auf meiner eigenen Facebook-Seite nur Fotos bis knapp unter Halshöhe zu sehen, oder ich posiere hinter diversen Kinderwagen, oder ich stapele meine Kinder kunstvoll vor meinem Körper auf.
Und so werden die nächsten Wochen zu einer Foto-Hatz, bei der ich versuche, peinliche Facebook-Porträts von mir zu verhindern. Das heißt, wegducken, sobald eine Kamera blitzt, sich beim Kiddusch oder auf Partys bevorzugt in der Nähe großer sperriger Objekte aufhalten (Marmorsäulen, übergewichtige Ehemänner), hinter die ich hechten kann, wenn der Auslöser klickt. Und ja nie mit einem gefüllten Tellerchen vorm Büffet abgelichtet werden, das sieht verfressen aus. Am besten gar nicht mehr in der Öffentlichkeit essen.
Dass ich durch diesen Facebook-Survival-Extremsport total abmagern würde, war abzusehen. Meine Klamotten schlottern an mir, mein Gesicht wirkt eingefallen, die Augen liegen tief in den Höhlen und beginnen unkontrolliert zu blinzeln, sobald jemand mit einer Kamera in Sichtweite ist. Meine Familie macht sich Sorgen.
Sharon spricht nicht mehr mit mir, seitdem bei ihrem Kurzbesuch die teure Spiegelreflexkamera ihres Verlobten daran glauben musste. Anscheinend habe ich sie zertrümmert und die Einzelteile unter meinen Fußsohlen zermalmt. Kann mich aber an nichts mehr erinnern. Mein Psychiater spricht von einer typischen Facebook-Psychose. Auf ärztliches Anraten hin musste ich meinen Computer der WIZO spenden. Wie es mir inzwischen geht? Danke der Nachfrage, so lala. Nähere Details entnehmen Sie bitte meiner Facebook-Seite.