Das achttägige Chanukkafest, das an diesem Freitag zu Ende geht, ist eine Feier des Lichtes und der Hoffnung. Dieses Fest lehrt uns, dass sogar, wenn man von bedrohlicher Finsternis umgeben ist, ein kleiner Lichtschein ausreicht, um die Finsternis zu verdrängen. Das jüdische Volk ist dieser Lichtschein, manchmal strahlend wie die Sonne, manchmal schwach wie eine Kerze, aber niemals erloschen. Der Schriftsteller Mark Twain wunderte sich über das jüdische Volk: »Alle Dinge sind sterblich außer dem Juden; alle anderen Kräfte vergehen, aber er bleibt. Was ist das Geheimnis seiner Unsterblichkeit?«
An Chanukka wird täglich aus der Tora der Abschnitt aus dem Wochenabschnitt Nasso vorgelesen, in dem die Einweihung des Mischkans in der Wüste durch die Opfergaben der Nesiʼim, den Vertretern der zwölf Stämme, beschrieben wird. Gleich danach erhält der Hohepriester Aharon zu Beginn des Wochenabschnitts Behaʼalotcha das Gebot, täglich die Menora, den siebenarmigen Leuchter im Tempel, anzuzünden. Der Midrasch beleuchtet den Zusammenhang zwischen den Opfern der Nesiʼim und dem Anzünden der Kerzen. Aharon war traurig darüber, dass nur die Nesiʼim opfern durften und er nicht. Gʼtt »tröstet« ihn damit, dass er die Kerzen der Menora anzünden darf, und versichert ihm, dass sein Anteil größer ist als derjenige der Nesiʼim.
Der mittelalterliche Kommentator Rabbi Mosche Ben Nachman (1194–1270) geht der Frage nach, wie Aharon durch das Anzünden der Kerzen getröstet wurde und warum dies den Opfern im Tempel vorgezogen wurde.
Der Hohepriester Aharon wurde durch das Zünden der Kerzen getröstet.
Er erklärt, dass Opfergaben ein wichtiger und sogar zentraler Aspekt des Dienstes im Tempel sind, weil dadurch die g’ttliche Präsenz im jüdischen Volk demonstriert wird, aber nur, solange der Tempel steht. Die Mizwa der Kerzen hingegen kann auch nach der Zerstörung des Tempels und im Exil durch die Chanukkakerzen erfüllt werden. Die Menora und die Chanukkia sind Symbole für den Beistand G’ttes im Exil und die Kontinuität und Beständigkeit des jüdischen Volkes. Das Licht appelliert an uns, die Hoffnung trotz aller Verfolgungen und Unterdrückungen niemals zu verlieren, denn wir haben einen Beschützer, der stets über uns wacht.
Wie so oft sind die Peiniger längst Vergangenheit, und wir, das jüdische Volk, sind noch gegenwärtig
Vielleicht haben die Römer gerade deshalb das Bild der Menora, wie sie nach der Zerstörung des Zweiten Tempels nach Rom gebracht wird, in den Titusbogen einmeißeln lassen, um zu symbolisieren, dass es ihnen endlich gelungen ist, das jüdische Volk zu bekämpfen und zu versklaven. Aber wie so oft sind die Peiniger längst Vergangenheit, und wir, das jüdische Volk, sind noch gegenwärtig.
Es wird erzählt über Rabbi Yosef Schlomo Kahaneman, den Gründer der Ponevez-Jeschiwa, dass er einst auf der Durchreise in Rom war. Er sagte zu seinem Begleiter, dass er den Titusbogen besuchen wolle. Dieser war sehr erstaunt, denn es war nicht die Gewohnheit des Rabbiners, Sehenswürdigkeiten zu besichtigen, und außerdem war es ziemlich weit von ihrem Hotel entfernt. Verwirrt begleitete er seinen Lehrer. Dort angekommen, bat der Rabbiner den Chauffeur, ein paar Minuten zu warten. Rabbi Kahaneman blickte zum Titusbogen hinauf und rief: »Titus, Titus! Wo bist du, wo sind wir!«
Er stieg ins Taxi, und sie fuhren zurück. Seine Botschaft war klar: Sehr oft in der leidvollen Geschichte des jüdischen Volkes standen wir einem scheinbar unbesiegbaren Gegner gegenüber, es schien ausweglos. Aber das jüdische Volk hat alle und alles überwunden. Ägypter, Griechen und Römer stehen längst nur noch in den Geschichtsbüchern, Kreuzritter, Kommunisten, Nazis und Hamas haben es auch nicht geschafft. Letztere haben uns unendliches Leid zugefügt, und die Wunde ist noch frisch, aber das jüdische Volk lebt weiter.
Ägypter, Griechen und Römer stehen längst nur noch in den Geschichtsbüchern, Kreuzritter, Kommunisten, Nazis und Hamas haben es auch nicht geschafft
Die Menora ist eine stumme Zeugin des schweren Exils, aber mit der klaren Botschaft, dass, egal wie hoffnungslos die Situation erscheint, wir niemals den Glauben an das Überleben des jüdischen Volkes aufgeben dürfen, und dass wir niemals allein in diesem dunklen Exil sind. Nicht umsonst wird die Hoffnung auf einen jüdischen Staat im Wappen von Israel durch eine Menora verkörpert.
Unsere Weisen lehren, dass es nach der Ankunft des Maschiach solche großen Wunder geben wird, dass frühere Erlösungen, wie der Auszug aus Ägypten, in den Schatten gestellt und nicht mehr gefeiert werden.
Chanukka und Purim jedoch werden bis in die Ewigkeit gefeiert. Die Geschichten von Chanukka und Purim zeigen, dass es immer Hoffnung gibt, auch wenn es auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist, und nur dadurch war das jüdische Volk imstande, die schweren Zeiten zu überstehen und nicht aufzugeben. Doch Hoffnung ist nicht nur die Sehnsucht nach besseren Zeiten. Rabbi Leo Dee, dessen Ehefrau und zwei Töchter im April 2023 bei einer Terrorattacke in Israel ermordet wurden, zitiert seinen Lehrer, Rabbi Lord Jonathan Sacks, dass der Unterschied zwischen Optimismus und Hoffnung darin liegt, dass Optimismus eine passive Einstellung ist, während die Hoffnung durch aktives Handeln bekräftigt wird.
Vor 2000 Jahren waren die Makkabäer der kleine Lichtschein, der der großen Finsternis den Kampf ansagte. Dieses Licht brennt bis heute. Voller Energie, Stolz und Wärme.
Der Autor ist Assistenz-Rabbiner der Gemeinde Kahal Adass Jisroel und Dozent am Rabbinerseminar zu Berlin.