Jedes Mal, wenn ich von Chanukka erzähle, und gerade dann, wenn sich unter meinen Zuhörern Kinder oder Jugendliche befinden, frage ich die Anwesenden: Was war das erste Chanukka-Wunder?
Für mich persönlich ist das erste Chanukka-Wunder die Auflehnung der Unterdrückten gegen die Tyrannei der Hellenisten. Dem Volk Israel war bewusst, dass die Griechen in der Überzahl waren, dass deren Krieger besser ausgestattet waren und dazu noch Kampferfahrung hatten. Und trotzdem hat das jüdische Volk unter den Makkabäern Mut gefasst und stand auf, um für Gerechtigkeit und Freiheit zu kämpfen.
WEISSRUSSLAND Gerade heute erlangt dieser Gedanke mehr Bedeutung denn je, etwa in Weißrussland, wo sich viele Menschen gegen eine scheinbar übermächtige Diktatur auflehnen.
Während der hellenistischen Epoche im damaligen Israel war die Gesellschaft gespalten. Einige lobten die Hellenisten für deren Kunst und Kultur, Philosophie, Sport und Lebenseinstellung. Die anderen – anfangs eine Minderheit – wehrten sich gegen das Verbot, wesentliche Gebote des Judentums praktizieren zu dürfen.
Chanukka ist ein Fest der Lichter, das in der dunkelsten Jahreszeit gefeiert wird. Im vergangenen Jahr hatten wir alle das Gefühl, dass uns mehr Dunkelheit umgibt als Licht. Fake News häufen sich und verleiten die Menschen zu schlimmen Gedanken – oder gar Handlungen. Deshalb gleicht es einem Wunder, sich in dieser Dunkelheit zurechtzufinden und sich für die richtige Seite zu entscheiden. Doch wie schafft man es, immer den Überblick zu behalten und seinen Verstand nicht der Dunkelheit zu überlassen?
TOHU WAWOHU Licht ist das einzige Mittel, das gegen die Dunkelheit wirkt. Als die Tora den Urzustand der Erde nach ihrer Erschaffung beschreibt, begnügt sie sich nicht nur mit dem Begriff »Tohu Wawohu«, sondern erwähnt noch die vorhandene Dunkelheit.
Der Ewige handelt umgehend, und auch der Ausspruch »Es werde Licht« im 1. Buch Mose 1,3 ist sehr kurz – was die Wichtigkeit des Lichts erahnen lässt. Der Ewige beurteilt Licht als gut und trennt zusätzlich zwischen Licht und Dunkelheit, was uns Menschen heute nicht immer gelingt.
Gerade mit der Häufung von Fake News seit Beginn der Corona-Pandemie ist es wichtig, das Wahre vom Falschen unterscheiden zu können. Da der Mensch von Natur aus dazu neigt, das Negative immer zuerst zu sehen, zieht er förmlich Fake News an, denn diese fördern und betonen das Negative.
SOZIALE MEDIEN Deshalb ist es ratsam zu versuchen, das Positive zuerst zu sehen. Des Weiteren sollte jeder von uns keine Scheu haben und Zeit aufwenden, um falsche Nachrichten gegenzuchecken und zu versuchen, die Wissenschaft und den Verstand dagegenzusetzen. Vielleicht aber hilft es auch, eine längere Zeit auf Präsenz in sozialen Medien zu verzichten und sich anderweitig weiterzuentwickeln.
Ich hörte einmal, wie jemand sagte, dass die sozialen Medien die Klugen klüger und die Dummen dümmer machen.
Deshalb frage ich gerade die jungen Leute nach dem ersten Chanukka-Wunder und bringe ihnen bei, dass es kein Wunder sein muss, sich auf die richtige Seite zu stellen, wenn der Verstand hell und klar bleibt.
Heute mehr denn je sind wir auf viel Licht angewiesen.
Das Licht ist nicht nur für das jüdische Volk wichtig, sondern für alle Menschen. Vielleicht deshalb zünden wir die Chanukka-Lichter zu Hause an, aber stellen dennoch die Chanukkia ins Fenster, um mit Licht die ganze Welt zu erleuchten. Chag Urim Sameach!
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Groß-Dortmund und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).