Sukkot

Es geht um Verantwortung

Von Etrog bis Lulav: Das Laubhüttenfest kennt viele Bedeutungsebenen

von Rabbinerin Yael Deusel  29.09.2023 09:24 Uhr

Schütteln des Feststraußes aus Zweigen von Palme (Lulav), Myrte und Weide sowie dem Etrog Foto: Reuters

Von Etrog bis Lulav: Das Laubhüttenfest kennt viele Bedeutungsebenen

von Rabbinerin Yael Deusel  29.09.2023 09:24 Uhr

Rede zu den Kindern Israels und sprich zu ihnen: Die Feste des Ewigen, die ihr verkünden sollt als heilige Berufung, Meine Feste sind diese» (3. Buch Mose 23,2). So trägt der Ewige es Mosche auf. Daraufhin werden die biblischen Feiertage genannt, beginnend mit dem heiligen Schabbat als dem wöchentlichen Ruhetag, anschließend die großen Feste Pessach, Schawuot, Rosch Haschana, Jom Kippur und schließlich Sukkot.

Die Aufzählung folgt dem Jahreslauf, basierend auf der Einteilung der Monate, wie es in der Tora steht, und beginnt daher mit Pessach im Monat Nissan, den die Tora als den ersten Monat bezeichnet. Vor jedem einzelnen Fest heißt es erneut: «Und der Ewige redete zu Mosche» – einzige Ausnahme ist Schawuot, das unsere Weisen als Azeret zu Pessach betrachten, da die Gabe der Freiheit und die Gabe des Gesetzes zusammengehören.

freiheit So sah es auch der ehemalige britische Oberrabbiner Joseph Hertz (1872–1946), der einmal schrieb: «Denn Freiheit ohne Gesetz ist eine zweifelhafte Gnade, für Menschen sowohl wie für Völker.»

Warum also befindet sich der Schabbat an erster Stelle in der Liste dieser Feste? Zum einen wohl deshalb, weil an ihm jegliche Form von Arbeit untersagt ist. Denn das gilt ebenfalls für die Wallfahrtsfeste sowie die Hohen Feiertage. Zum anderen steht der Schabbat symbolisch für Heiligkeit und Vollendung. Am siebten Tag der Woche ruhte der Ewige nach Vollendung Seines Schöpfungswerks. Und in den siebten Monat des Jahres fallen sowohl die Jamim Noraim als auch Sukkot und Simchat Tora. So wie der siebte Tag der Woche heilig ist, so ist auch der siebte Monat des Jahres heilig.

Der Toraabschnitt, den wir am ersten Tag von Sukkot lesen, entspricht also dem jüdischen Feiertagskalender. Die Tora nennt hier die Namen und Daten der Feste, an denen ein Arbeitsverbot gilt, und wann sich die Gemeinde zu den G’ttesdiensten versammelt und welche Opfer einst dargebracht wurden.

In dieser knappen Übersicht sind die Ausführungen zu Sukkot, dem Fest der Laubhütten, wohl am ausführlichsten. So wird beispielsweise genau der Feststrauß beschrieben, der aus der Frucht vom Baum Hadar, aus Palmblättern sowie den Zweigen des Baumes Avot und Bachweiden besteht. Was die Zweige der Palmen und Bachweiden sind, kann man sich gut vorstellen. Aber was ist mit der prächtigen Baumfrucht, dem Pri Etz Hadar, und mit dem Zweig vom dicht belaubten Baum, dem Anaf Etz Avot, gemeint?

Pflanzen Traditionell gelten seit vielen Jahrhunderten der Etz Avot als Myrte und der Etrog als die Frucht des Hadar-Baums. So beschreibt es auch der jüdisch-hellenistische Historiker Flavius Josephus. In jedem Fall setzt sich der Feststrauß aus Pflanzen zusammen, die zu ihrem Gedeihen reichlich Wasser benötigen. Er ist damit ein Symbol für den segenbringenden Regen, unverzichtbar für die Landwirtschaft – schließlich ist Sukkot doch der Chag ha-Assif, das Fest des Einsammelns vom Ertrag des Landes.

Auch das Wohnen in Laubhütten, in Sukkot, wird als wesentlicher Bestandteil des Festes genannt. Sie sind sogar namensgebend für die ganze Festwoche. «In Hütten sollt ihr wohnen sieben Tage», und zwar alle «Einheimischen in Israel». Der Grund: Auch lange nach der Sesshaftwerdung sollen sie sich an die Wüstenwanderung ihrer Vorfahren erinnern, die auf den Auszug aus Mizrajim folgte.

Nebenbei bemerkt war Sukkot auch der Name des Ortes, an dem die Israeliten nach dem Verlassen Ägyptens die erste Rast einlegten (2. Buch Mose 12,37), nachdem sie von Ra’amses aus aufgebrochen waren. Nun waren es in der Wüste gewiss nicht Laubhütten, in denen sie auf ihrem langen Weg nach Kena’an wohnten, sondern wohl eher Zelte.

Elemente Beiden Behausungen gemeinsam ist das Provisorische, also ihre Funktion als fragiler Schutz vor Wind und Wetter, aber auch vor wilden Tieren und potenziellen menschlichen Angreifern. In einer späteren Zeit, im Land Israel, wird der Aspekt als Schutzhütten für die Ernte­arbeiter dazukommen. Die Hütte ist für sie ein provisorischer und sicherer Ruheplatz.

Chag ha-Assif und Chag ha-Sukkot, sie beide tragen Symbole für Bitachon (Sicherheit) in sich, für das Vertrauen in den Beistand des Ewigen – ein zentrales Thema des Festes, egal ob unterwegs in der Wüste oder sesshaft das Land bestellend. Gleichzeitig ist es ein Fest der Freude, verbunden mit dem Dank an den Ewigen für Seine Gaben, die Er uns zuteilwerden lässt.

Im Talmud wird Sukkot oft einfach nur «das Fest» genannt, wodurch das Feiern und Sich-Freuen in den Tagen des Laubhüttenfestes eine zusätzliche Betonung erfährt. So heißt es im Traktat Sukkot 51b denn auch, dass derjenige, der die Freude beim Wasserschöpffest an Sukkot im Tempel nicht erlebt hat, in seinem Leben noch keine richtige Freude erfahren konnte.

Kurz und prägnant enthält unser Toraabschnitt zu Sukkot zahlreiche Informationen zu den Feiertagen. Dabei schließt er mit dem Satz: «Und Mosche teilte die Feste des Ewigen den Kindern Israels mit.» Doch interessanterweise beginnt die Lesung nicht erst mit der Belehrung zu den Festen, sondern schon einige Verse früher, und zwar mit Aussagen zu den Opfer­tieren.

So soll das neugeborene Tier sieben Tage bei seiner Mutter bleiben, erst am achten Tag darf es als Opfer dargebracht werden. Und niemals soll das Muttertier zusammen mit dem Jungtier am selben Tag geschlachtet werden. Zwar steht im hebräischen Text das Wort «Schor», also Stier, und nicht «Para», was Kuh heißt, doch ist hier wohl eher das mütterliche Rind gemeint.

Ahnung Noch schlimmer als das Entfernen des Jungtiers von seiner Mutter wäre es, beide am selben Tag zu schlachten. Denn dann müsste das Muttertier miterleben, dass man sein Junges tötet, oder umgekehrt, das Jungtier wäre Zeuge, wie seine Mutter zuerst stirbt.

Wer jemals das verzweifelte, tagelange Brüllen der Kühe gehört hat, denen man ihre Kälber weggenommen hat, mag eine Ahnung davon haben, weshalb dieser Textabschnitt die Lesung zu Sukkot einleitet. Sehr wohl ist die Festtagsfreude zu Sukkot ein Gebot, doch dürfen wir unsere Freude nicht auf dem Leid anderer aufbauen. Auf diese Weise werden wir nachdrücklich an unsere Verantwortung gegenüber allen Geschöpfen, ja letztlich gegenüber der gesamten Schöpfung, erinnert – schließlich sind wir doch nur Verwalter der Erde und eben nicht ihre Herren.

Die Botschaft der Tora zum Laubhüttenfest steckt also voller Symbolik. Vertrauen in den Ewigen, Verantwortung und Dankbarkeit gehören ebenso dazu wie die Freude am Fest.

Die Autorin ist Rabbinerin der Liberalen Jüdischen Gemeinde Mischkan ha-Tfila Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

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