Vergangene Woche erhielt ich einen Brief von einem guten Freund, Max Kraft aus Herzlia: »Trotz der sehr ernsten Lage gibt es auch eine erfreuliche Nachricht: Im israelischen Fernsehen wird ständig darüber berichtet, dass sehr viele Charedim – ultraorthodoxe Juden – nun in unsere Armee eingetreten sind. Sie werden unverzüglich aufgenommen, erhalten ein Notfalltraining und werden auf alle möglichen Armeestandorte verteilt. Sie leisten einen wichtigen Beitrag, um die Opfer zu identifizieren. Das ist eine große Herausforderung. Denn von manchen ist nur noch ein Fingernagel oder ein Zahn übrig geblieben.
Das war auch mein Job damals in der Armee. Es ist eine schreckliche Arbeit. Zaka und andere ultraorthodoxe Einrichtungen arbeiten rund um die Uhr, sogar am Schabbat. Das Fernsehen berichtet sehr respektvoll darüber.«
Die Identifizierung kann heute mithilfe von DNA-Profilen sehr exakt durchgeführt werden.
Zaka ist eine Organisation, die sich um die Identifizierung und Beerdigung von Menschen kümmert, die Opfer von Terroranschlägen, Kriegshandlungen oder Katastrophen und Unfällen wurden. Ich selbst werde regelmäßig von dieser israelischen Organisation informiert und um Spenden gebeten, da diese psychisch schwer belastende Arbeit fast ausschließlich von Freiwilligen geleistet wird.
Dabei gelten folgende Regeln: Bevor ein Terroropfer beerdigt werden kann, muss es identifiziert werden. Dieser erste Schritt ist aus vielerlei Gründen zwingend. Für die Familie ist es wichtig zu wissen, dass es sich um ihren Angehörigen handelt, der gefunden wurde. Das gilt ebenfalls für den Partner oder die Partnerin der Opfer – auch sie brauchen Gewissheit, ob sie nun Witwe oder Witwer geworden sind.
Dabei geht es nicht nur um die Möglichkeit zum Trauern, sondern ebenfalls um rein technische Fragen, beispielsweise die Regelung der Erbschaft oder die Wahl des Bestattungsortes. Die Identifizierung kann heute mithilfe von DNA-Profilen sehr exakt durchgeführt werden.
Nacht Das Judentum befürwortet eine schnelle Bestattung. Diese Haltung basiert auf dem Verbot, einen Verstorbenen über Nacht unbestattet zu lassen. In der Tora lesen wir dazu: »Wenn jemand eine Sünde begeht, die mit dem Tod bestraft wird, und du hängst ihn an einen Pfahl, so soll sein Leichnam nicht über Nacht am Pfahl bleiben, sondern du sollst ihn noch am selben Tag begraben; denn ein Fluch Gʼttes ist aufgehängt, und du sollst das Land nicht verunreinigen, das der Ewige, dein Gʼtt, dir als Erbe geben wird« (5. Buch Mose 21, 22–23).
Dieses Verbot gilt für alle Verstorbenen. Der Text in der Tora enthält sogar noch ein weiteres Bestattungsgebot: »Du sollst ihn aber noch am selben Tag begraben.« Bei vielen Terroropfern ist das jedoch nicht möglich, weil eine Identifizierung manchmal Zeit in Anspruch nehmen kann. Zudem haben die Hinterbliebenen das Recht und die Pflicht, der Person, für die sie zu Lebzeiten so viel Zuneigung empfunden haben, wahre Liebe zu erweisen – so wird die Bestattung im Judentum genannt.
Der Körper, der die Seele einst beherbergt hat, besitzt, auch nachdem diese ihn verlassen hat, noch eine gewisse Keduscha (Heiligkeit), weshalb die sterblichen Überreste ebenfalls mit viel Ehrfurcht und Respekt behandelt werden sollten. Die Mitwirkung an der Pflege und Beerdigung von Toten gilt in unserem Glauben daher als eine der größten Mizwot. Darüber hinaus darf der soziale Status und die Herkunft einer Person bei den Vorbereitungen eines Leichnams auf seine letzte Ruhestätte keinerlei Rolle spielen. Alle werden gleich behandelt.
TAHARA Es ist ein alter Brauch, die Toten nach ihrem Ableben zu waschen und zu reinigen. In dieser Tahara (Reinigung) steckt viel Symbolik. Manche sehen darin eine Art Übergang in Anlehnung an den Vers 5,15 in Kohelet (Prediger): »Ganz so, wie er gekommen ist, so geht er auch«, sagen die Chachamim, unsere Weisen. »Als er geboren wurde, wurde er gewaschen; so wird er auch bei seinem Tod gewaschen.« Geburt und Tod sind beides Übergänge zu nachfolgenden Lebensabschnitten.
Auch wird der Verstorbene in ein weißes Totengewand aus Leinen gekleidet. Erde wird über die Augen gestreut, woraufhin ein Schleier über den Kopf gelegt wird, der bis zur Brust reicht. Darüber wird das Sowew – das Leinentuch – gewickelt. Männern legt man noch den Tallit (Gebetsschal) an.
Meistens sind Opfer von Terror oder Pogromen stark blutverschmiert. Als allgemeine Regel gilt in solchen Fällen, dass Verstorbene nicht dem üblichen Tahara-Verfahren unterzogen werden, wenn zum Zeitpunkt ihres Todes Blut aus ihnen ausgetreten ist.
Der soziale Status spielt bei den Vorbereitungen eines Leichnams auf sein Grab keinerlei Rolle.
Alle mit Blut befleckte Kleidung muss mit dem Verstorbenen begraben werden, da diese Blut (dam hanefesch), von dem das Leben abhängt, enthalten kann. Alles, was in diesem Zusammenhang dem Opfer gehört, muss zusammen mit ihm beerdigt werden.
Auch wenn man Blut beispielsweise an seiner Kleidung und seinen Schuhen findet, wird keine Tahara an dem Verstorbenen durchgeführt. Kleidung und Schuhe werden nicht entfernt. Die Person wird in ein weißes Leinentuch gewickelt und vollständig bekleidet begraben. Aus der Mystik heraus wird argumentiert, dass die Tahara auch deshalb nicht vollzogen wird, um so den Zorn Gʼttes über diesen Mord hervorzurufen.
Wenn man in der Erde um den Tatort Blut findet, so soll es mit dem Verstorbenen in seinem Grab beigesetzt werden. Das Blut wird von den Kissen und Laken, auf die das Opfer gelegt wurde, abgewaschen. Färbt sich das Waschwasser rot, wird es ebenfalls auf das Grab geschüttet. Die Laken und Kissenbezüge selbst müssen nicht mit dem Leichnam begraben werden. Anders dagegen die Kleidung des Toten, sie wird mit seinen sterblichen Überresten begraben.
Weitere Details über das Prodezere sollen hier nicht ausgeführt werden – sie sind zu grausam. Mögen die Seelen der Ermordeten im Bündel des Lebens »ad biat goʼel tsedek« eingebunden sein, bis der Maschiach alle unsere Toten wiederbelebt.
Der Autor ist Rabbiner und lebt in Israel.