In der vergangenen Woche erklärte eine Gruppe von evangelikalen Forschern aus Hong Kong und der Türkei, sie hätten die Arche von Noach entdeckt. Sie gehören einer Gemeinde an, die sich bezeichnenderweise »Noah’s Ark Ministries« nennt. Ein 15-köpfiges Team hatte sich auf den Weg zum Berg Ararat in Ostanatolien gemacht. Der liegt nahe der Grenze zu Armenien und dem Iran und dominiert den Anblick der armenischen Hauptstadt Eriwan. Seit 2003 waren Mitglieder der Noah’s Ark Ministries immer wieder auf den Ararat gestiegen, um die Arche zu finden und so die Geschichte von Noach zu beweisen.
Die Suche nach der »Arche« von Noach ist kein neues Phänomen. Bereits der babylonische Priester Berossos berichtete um 209 v. d. Z. in seinem griechischen Geschichtswerk, es gäbe Armenier, die meinten, die Stelle zu kennen, an der die Arche zu finden sei. Daran änderte sich in den folgenden Jahrhunderten nichts. 1955 behauptete der Franzose Fernand Navarra, ein etwa 5.000 Jahre altes Stück Holz, welches er vom Ararat mitbrachte, stamme von der Arche. Später stellte sich heraus, dass sein Holzstück bestenfalls aus dem Mittelalter stammen könnte und vermutlich von Bewohnern eines Klosters am Fuße des Berges auf eben diesen gebracht wurde. 2006 vermeldete eine Gruppe von Entdeckern, die Arche im iranischen Elburs-Gebirge gefunden zu haben.
Expedition Nun also ein erneuter Vorstoß der Gruppe von Noah’s Ark Ministries, deren »Beweise« einer vorherigen Ex-
pedition durch Randall Price pulverisiert wurden. Der Direktor des Center for Judaic Studies an der Univerisität Lynchburg war 2008 Mitglied der Gruppe und berichtete anschließend, dass die Expedition kurdische Arbeiter dafür bezahlt habe, alte Balken aus der Nähe des Schwarzen Meeres zu einer Höhle zu bringen, welche die Expedition später untersuchen wollte. Man wollte wohl der Glaubwürdigkeit ein wenig nachhelfen.
In einschlägiger Literatur zu dem Thema und auf entsprechenden Internetseiten von selbsternannten Arche-Forschern kursieren entsprechende »Beweisfotos«. Sehr häufig sind Gesteinsformationen zu sehen, die einen Schiffsrumpf zeigen könnten oder die Form eines Bootes haben. So gibt es mittlerweile feststehende Begriffe, wie etwa die »Ararat-Anomalie«. Ein Foto dieser Anomalie zeigt nichts weiter als einen dunklen Fleck im Schnee.
Tora Einigkeit scheint aber über die Schiffsform zu herrschen, und genau dies widerspricht jedoch der Schilderung der Arche in der Tora. Dort, im 6. Kapitel des 1. Buches Moses, wird nämlich nichts davon berichtet, dass Noach ein Schiff bauen sollte, sondern etwas, was dort als »Tewah« (Kasten) bezeichnet wird. Auch das Körbchen, in dem Mosche ins Wasser gelassen wurde, wird in der Tora Tewah genant. Und Arche leitet sich vom lateinischen Wort »arca« ab – was ebenfalls Kasten bedeutet.
Noach baute also, laut der Tora, einen großen, schwimmenden Kasten, der etwa 157 Meter lang gewesen sein soll, 23 Meter breit und etwa 14 Meter hoch, wenn man die Einheit Ammah so versteht, dass eine Elle gemeint ist, dies wären etwa 45 Zentimeter. Die Tora ist recht genau in der Beschreibung der Arche. Wir erfahren zudem, dass die Arche in drei Ebenen unterteilt war und über eine Öffnung im Dach mit Licht versorgt wurde.
Was jedoch vollständig zu fehlen scheint in der Schilderung des Aufbaus, sind schiffstypische Einrichtungen wie Segel, Ruder oder ein Steuer. Das lässt sich ganz einfach damit erklären, dass diese Einrichtungen vollkommen überflüssig gewesen sein müssten. Wenn man davon ausgeht, dass ohnehin die gesamte Erde mit Wasser bedeckt sein würde, hätte es also ohnehin keinen Ort gegeben, zu dem Noach hätte zielgerichtet fahren können.
Die Tora nennt allerdings den Ort, an dem die Arche wieder auf dem Trockenen stand. Es wird der Berg Ararat genannt, allerdings ist nicht geklärt, ob es sich dabei um denjenigen Berg handelt, der heute unter diesem Namen bekannt ist. Es kann als viel sicherer angenommen werden, dass es sich um eine Gegend handelt, die im Akkadischen Urartu genannt wurde. Heute ist das die Region um den Vansee in Anatolien.
Suche Vom Altertum bis in die heutige Zeit ist die Liste der Suchenden enorm lang. In erster Linie haben sich reiche Hobbyarchäologen der Suche verschrieben. Eines fällt jedoch auf: Juden sind kaum darunter. Juden haben die Geschichte von Noach und seiner Arche in erster Linie als Geschichte verstanden und sich darum gekümmert, was man aus ihr lernen kann. Sie stellen Noach ins Zentrum des Denkens und nicht seine Arche, die nur ein Werkzeug war. Die Aufmerksamkeit gebührt der Figur Noach, die in ihrer Zeit ein gerechter Mensch war. Umgeben von Schlechtigkeit und einer vollkommen gesetzlosen Gesellschaft, war er wohl ein Mann, der da herausstach. Vielleicht aber, gemessen mit späteren Generationen, auch kein vollkommen perfekter »Gerechter«.
Rabbiner Elijahu Kitov (1912–1976) schreibt in seinem Sefer haParschijot, dass wir von Noach lernen, dass jede Generation nach der Zeit und den Umständen beurteilt werden solle, in der sie lebte. Diese Aussage macht die Geschichte zu einem kraftvollen Schlüsseltext und nicht die historischen Verweise.
geschichte Weil dies dem Judentum schon immer klar war – es mag Ausnahmen gegeben haben und Strömungen geben, die auch die Schöpfungsgeschichte wörtlich nehmen –, wirbelte auch eine ähnliche babylonische Geschichte nicht sonderlich viel Staub auf. In dieser beschließen die babylonischen Götter, eine Flut auf die Erde zu schicken. Einer der Götter jedoch verrät das Vorhaben seinem Lieblingsmenschen Utnapischtim und gebietet ihm, ein Schiff zu bauen. Nach Abschluss der Arbeiten bringt Utnapischtim seine Familie, seine Habe und seine Tiere hinein. Dann beginnt ein furchtbarer Sturm und eine Flut, welche die ganze Menschheit vernichtet. Nach sieben Tagen sendet er eine Taube aus, dann einen Raben und nachdem er sicher ist, dass die Flut vorüber ist, öffnet er das Schiff und entsteigt ihm. Anschließend opfert er seinen Göttern.
Die Ähnlichkeiten sind frappierend, aber nicht schockierend für das Judentum. Vielmehr konzentriere man sich auf die Unterschiede zwischen den Geschichten. Auf der einen Seite stehen eine Schar von Göttern die aus einer Laune heraus beschließt, die Menschheit zu vernichten, und Utnapischtim, der gewissermaßen Glück hatte. Auf der anderen Seite steht ein G’tt, der möchte, dass zwischen den Menschen Gerechtigkeit herrscht und denjenigen errettet, der diese Gerechtigkeit begründen kann. Käme übrigens jemand auf die Idee, das Boot von Utnapischtim zu suchen?
Etwas anderes – erschreckend Aktuelles – teilt die Geschichte uns mit: Der Mensch kann die Erde zerstören! Zwar handelt hier G’tt, aber die Schuld ist allein bei den Menschen zu suchen. Sie haben die Gesellschaft an einen Punkt gebracht, der die Zerstörung unabwendbar machte. Wie wir gesehen haben, sagt die Geschichte aber auch, dass man nicht über besondere moralische Kapazitäten verfügen muss, um in seiner Generation Gutes tun zu können. Wir müssen die Arche nicht berühren können, um diese Nachricht zu verstehen. Es würde den »Wahrheitsgehalt« der Tora nicht schmälern. Es ändert praktisch nichts an unserer Wahrnehmung der Tora.
Motivation Gruppen, die nach der Arche suchen, wollen ihren Anhängern zeigen, dass sie im Recht sind und die Bibel so zu lesen ist, wie sie es tun. »Ich kenne keine Expedition, die jemals aufbrach, um die Arche zu finden und sie nicht gefunden hat«, sagt Paul Zimansky, Archäologe an der Stony-Brook-Universität und Experte für den Nahen Osten der amerikanischen Ausgabe des National-Geographic-Magazins. Die Absicht und die Emsigkeit, mit der ausgerechnet nach der Arche gesucht wird, zeigt, dass das Bedürfnis nach einem Beweis für die wörtliche Auslegung der Bibel groß ist. Die Suchenden meinen damit beweisen zu können, dass ihre Ablehnung der aktuellen geologischen und biologischen Kenntnisse damit untermauert werden könnte, und investieren daher auch erhebliche finanzielle Mittel in diese Expeditionen. Geld, dass man vermutlich gut brauchen könnte bei dem, was die Tora und damit auch eine Schrift die ihnen heilig ist, von uns allen fordert: den Aufbau einer gerechten Gesellschaft.