Stellen Sie sich vor, Sie seien zu einer Kreuzfahrt eingeladen. Für eine Kreuzfahrt ist die Reise eher kurz: sie dauert ungefähr einen Tag. Praktischerweise brechen Sie von zu Hause aus auf. Es gibt ein paar Regeln: Nicht später als 16 Uhr müssen Sie auf dem Schiff sein – es wird gleich danach ablegen. Und Sie müssen alles selbst mitbringen. Während Ihrer Zeit an Bord wird nicht gekocht oder saubergemacht. Keine Hausarbeit, gleich welcher Art. Kein Fegen. Nichts davon. Es sind einige Annehmlichkeiten vorhanden, doch Ihren BlackBerry, Ihr Smartphone oder Ihren Minicomputer dürfen Sie nicht mitbringen – es gibt keinen Internetzugang, keinen Handyempfang, und elektronische Geräte funktionieren nicht.
Es ist ein Tag, nur um zu sein. Das Schiff fährt zu keinem bestimmten Ziel, es treibt vor sich hin. Und am nächsten Tag, wenn die Sonne am Himmel untergeht, kehrt es in den Hafen zurück. Wollen Sie es einmal versuchen?
Tora Die Tora enthält dafür eine ganz bestimmte Anweisung, den Text, den wir »W’Schamru« nennen (2. Buch Moses; 31,16). Es ist jener Abschnitt, den wir am Schabbatmorgen vor dem Kiddusch rezitieren. Es ist der Tora-Abschnitt, in dem Moses dem jüdischen Volk auferlegt, den Schabbat einzuhalten. Es ist der Text, der die Juden auf ewig verpflichtet, den Schabbat einzuhalten (l’dorotam, brit olam). Und der Zusammenhang, in dem der Text steht, ist entscheidend für das Gewicht, das ihm zukommt. Scheinbar taucht er aus dem Nirgendwo auf. Mitten in den Anweisungen über den Bau der Stiftshütte heißt es in der Tora plötzlich: »Haltet den Schabbat!« Die Botschaft ist eindeutig: Wir müssen daran denken, den Schabbat einzuhalten, ihn zu feiern, auch wenn wir gerade mit etwas ganz anderem beschäftigt sind, auch wenn es etwas ist, was wir für sehr, sehr wichtig halten. Der Text scheint nahezulegen, dass nichts, was wir tun, wichtiger ist, als den Schabbat zu feiern.
Es ist interessant: noch vor einigen Generationen lebten Juden in religiösen Gemeinden. Jeder wusste, wann Schabbat war. Eine Aura des Schabbats senkte sich auf die Gemeinde nieder und blieb, bis der Tag zu Ende war. Seit Langem ist das nicht mehr so. Wir leben heute in einer Welt, in der die Befolgung des Schabbat eher die Ausnahme als die Regel darstellt.
Idee Letzte Woche diskutierte ich in unserem Ikkarim-Kurs über den Schabbat. Einige meinten, die Idee des Schabbat klinge großartig, aber: »Ich schaffe es einfach nicht. Ich schaffe es nicht, jedesmal eine besondere Mahlzeit auf den Tisch zu bringen. Ich schaffe es nicht, das Haus von oben bis unten zu putzen und dafür zu sorgen, dass sich alle schön anziehen und gut aussehen. Das klappt bei uns zu Hause einfach nicht.« Am besten und ehrlichsten drückte es ein Teilnehmer aus, der sagte: »Ich bin einfach zu beschäftigt. Ich bin zu beschäftigt, den Schabbat einzuhalten.«
Das ist verständlich. Die meisten von uns wuchsen nicht in Familien auf, in denen sich die Eltern die ganze Woche auf den Schabbat vorbereiten – und das muss man tun, um den Schabbat richtig feiern zu können. Doch selbst, wenn wir in einem solchen Zuhause aufwuchsen, sind wir oft zu beschäftigt. Wir sind überzeugt, wir selbst sind dazu nicht in der Lage.
Geschenk Ich finde das sehr schade. Der Schabbat ist ein solch außerordentliches Geschenk. Eine solche außerordentliche Mahnung, nicht nur über praktische, sondern auch über geistige Dinge nachzudenken. Ein Tag, an dem man die Brieftasche zur Seite legt. An dem wir uns nicht um Geld, um Kaufen und Verkaufen bekümmern; an dem wir uns nicht auf den ökonomischen Wert der Dinge konzentrieren, sondern nur auf ihre Schönheit, ihren geistigen Wert. Der Schabbat ist für uns eine wunderbare Gelegenheit, eine wunderbare Art und Weise, all das, wofür wir stehen, zum Ausdruck zu bringen.
Man sollte glauben, jeder würde gern auf eine solche Kreuzfahrt mitkommen. Leider aber leben wir in einer Gesellschaft, die den Wert des Schabbat nicht erkennt. Und wenn wir uns nicht hundertprozentig verpflichten, den Schabbat einzuhalten, erleben wir jede Woche aufs Neue den Kampf mit uns selbst, mit der Familie, mit dem Arbeitgeber, mit Kunden und Freunden. Statt zu sagen: »Das hat Priorität. Erneuerung ist wichtig. Ich glaube daran«, bleiben wir stehen und sehen zu, wie das Schiff nach Sonnenuntergang ohne uns ablegt.
Aktion In der Stadt Needham in Massachusetts/USA gibt es die jährliche Aktion »Needham Unplugged«. Es ist ein Tag – eigentlich nur ein Abend –, an dem die Kinder und Eltern von Needham den Stecker ihres Fernsehers herausziehen, BlackBerrys, Smartphones anderer Hersteller und weitere elektronischen Geräte, die sonst immer laufen, ausschalten und schlicht und einfach mit der Familie und Freunden Zeit verbringen.
Ob Sie mir glauben oder nicht, das ist eine großartige Sache. Leicht ist es nicht. Doch die Belohnung ist enorm. Deshalb steht der Tag immer wieder im Kalender. Wie wäre es, wenn wir einmal in der Woche einen solchen Tag hätten?
Stress Eine Frau in unserem Ikkarim-Kurs war aus einer anderen Stadt hierher gezogen. Nachdem sie und ihr Mann den Entschluss gefasst hatten, umzuziehen, listeten sie ihr Haus bei einem Immobilienmakler. Es war eine schwierige Zeit, eine verrückte Zeit. Zu jeder Stunde, bis weit in den Abend hinein, konnte ein Telefonanruf kommen und sie auffordern, das Haus zu putzen, die Kinder in den Wagen zu verfrachten und zu verschwinden, damit ein potenzieller Käufer das Haus besichtigen konnte. Es war eine aufreibende Zeit.
Ein Aspekt aber versöhnte die Familie mit dieser stressvollen Erfahrung. Der Makler, der ihr Haus verkaufen sollte, war gläubiger Jude. Daher wussten sie, dass sie vom Sonnenuntergang am Freitag bis zum Sonnenuntergang am Sonnabend keine Telefonanrufe bekommen würden. Es gab keine Hausbesichtigungen. Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Die Frau und ihr Ehemann – und die Kinder – stellten fest, dass diese Schabbatot die süßesten waren, die sie jemals erlebt hatten. An diesen Tagen und nur an diesen Tagen konnten sie wirklich Ruhe finden.
Problem Trotzdem sind viele von uns davon überzeugt, dazu nicht in der Lage zu sein. Warum ist das so? Sind wir Sklaven? Ist es so, dass wir nicht glücklich sein können, indem wir einfach da sind – mit uns selbst und jenen, mit denen wir zusammenleben, die wir lieben, mit denen zusammen wir den Schabbat verbringen sollen? Ich glaube nicht. Ich glaube das Problem liegt darin, dass jemand uns zeigen muss, wie wir den Schabbat feiern sollen – wenn wir nicht damit groß geworden sind. Eine Mutter in unserem Ikkarim-Kurs stellte die Frage: »Könnten wir das Ganze nicht vereinfachen?« Ja. Der Schabbat braucht einen nicht zu überwältigen. Er darf einen nicht überwältigen. Ich sage den Leuten: Fangt langsam an. Wenn Sie zurzeit den Schabbat nicht halten, suchen Sie sich einen Schabbat im Monat aus, an dem Sie wirklich innehalten. Fangt langsam an.
Vielleicht ist es ein Anfang, den Freitagabend als Familienzeit festzulegen. Echte Familienzeit, keine künstliche Familienzeit. Und als zweiten Schritt kann man damit beginnen, am Schabbatmorgen zur Synagoge zu gehen und mit Familie und Freunden beim Kiddusch die Challa zu brechen. Nach und nach werden Sie vielleicht verstehen, was für ein Vergnügen und welche Gnade es ist, an einem Schabbatnachmittag spazieren zu gehen oder ein Nickerchen zu machen, den Geist des Schabbat allmählich weiterzutragen, von Freitagabend bis zum Samstagmorgen und bis zum Sonnenuntergang am Samstagabend. Es lässt sich machen. Es bedarf ein wenig der Planung. Man muss ein wenig vorausdenken. Man muss kleine Opfer bringen. Aber es lässt sich machen.
Heiligtum Was kann, im Sinne der Religion, wichtiger sein, als das Tabernakel zu bauen? Nichtsdestoweniger unterbricht die Tora die Geschichte vom Bau der Stiftshütte und mahnt die Israeliten und uns, an die Einhaltung des Schabbat zu denken. Die besten Tabernakel sind nicht körperlich. Die besten Kathedralen sind, wie es der brillante jüdische Denker Abraham Joshua Heschel ausdrückte, Kathedralen in der Zeit, nicht im Raum.
Meiner Meinung nach bergen diese Zeilen die zentrale begriffliche Verbindung zwischen der Erzählung vom Bau des Heiligtums und der Erzählung vom Goldenen Kalb, denn es ist der Schabbat selbst, der uns davon abhält, das, was wir bauen, zu einem Götzenbild zu machen. Beim Schabbat geht es darum, mit dem Bauen aufzuhören, damit wir uns auf das Sein konzentrieren können. Es geht um Geduld, Ruhe, Reflexion, Gemeinschaft, um Beten, Lesen und Beziehungen: Beziehungen zueinander, zur Erde und zur Quelle unseres Daseins. Schabbat heißt, all die Ablenkungen aus dem Weg zu räumen, um die umfassende Einheit des Lebens wahrnehmen zu können, was uns wiederum in die Lage versetzt, die Arbeit der zurückliegenden sechs Tage zu reflektieren.
Mein Kollege Rabbi Neal Loevinger sagt es so: »Der Schabbat erinnert uns daran, dass nichts, was wir bauen, so wichtig ist wie Demut und Freude; das heißt, das Wichtigste wird nicht durch die Hand, sondern durch das Herz gebaut. Wahrer Gottesdienst in einem Heiligtum ist nicht durch das Silber oder Gold definiert, mit dem es geschmückt ist, sondern durch die Herzen derjenigen, die im Heiligtum Gott nahekommen.«
Was am Schabbat so erstaunlich ist – und das unterscheidet ihn von einer tatsächlichen Kreuzfahrt –, ist die Tatsache, dass man auch nur einen Teil der Reise mitmachen kann. Das ist schließlich das, was die meisten von uns tun. Aber seien Sie gewarnt: Nur mal vorbeizuschauen bei einer Schabbat-Kreuzfahrt kann dazu führen, dass in einem der Wunsch wächst, die ganze Strecke mitzufahren. Schabbat schalom!
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