»Wem der große Wurf gelungen, eines Freundes Freund zu sein, … mische seinen Jubel ein!« So heißt es in der »Ode an die Freude« des von der deutschen Neo-Orthodoxie des 19. Jahrhunderts bewunderten Dichters Friedrich Schiller.
Man möchte mit unseren talmudischen Weisen ergänzen: Die Freundschaft ist nicht nur ein »großer Wurf«, sondern weit mehr. Der babylonische Gelehrte Rawa führt diesbezüglich ein im vierten Jahrhundert n.d.Z. übliches, recht radikales Sprichwort an: »Entweder hat man einen Freund wie die Freunde Hiobs, oder man hat eben den Tod« (Bava Batra 16b).
Wer waren die Freunde des geplagten Aramäers Hiob? Was machte ihre Freundschaft aus, und was hat das mit dem Tod zu tun?
Haut Wie der Tanach uns berichtet, hatte Hiob kurz zuvor seine Kinder, seinen materiellen Besitz sowie seine Gesundheit verloren. Schmutzig und befallen von Ausschlag saß er nun auf der Erde, kratzte sich mit einer Tonscherbe die Haut und versuchte, seinen Schmerz zu lindern.
»Dies hörten die drei Freunde Hiobs …, und sie reisten an, jeder aus seinem Ort (aus fernen Ländern), … sie stimmten sich ab, zu Hiob zu kommen, um ihr Mitleid zu bezeugen und ihn zu trösten.«
Diese Tat der Fürsorge war es, die unsere Weisen als einen Höhepunkt biblischer Freundschaft verstanden. Nun, da Hiob nichts mehr besaß, das seinem Leben Halt geben konnte – und er auch dem physischen Tod nahe war –, sprangen seine Freunde in die Bresche.
Sorge Zunächst ohne Hintergedanken traten sie eine lange Reise an, um ihrem leidenden Freund beizustehen und ihm ein Ohr zu leihen. »Rabbi Assi sagt: Hat man eine Sorge im Herzen, so erzähle man sie anderen« (Joma 75a).
In diesem Sinne heißt es auch anderswo in der rabbinischen Literatur: »Was für einen Freund beschaffe man sich? … Einen, dem man alle seine Geheimnisse erzählen kann« (Avot de-Rabbi Natan 8,3).
Doch nicht nur der physische Tod kann einen in Abwesenheit der Freundschaft ereilen. Manchmal ist es auch ein sozialer oder geistiger. Aus diesem Grund erging bereits bei der Schöpfung das Diktum: »Es ist nicht gut, dass der Mensch allein ist«, woraufhin der Mensch als Mann und Frau geschaffen und anschließend in eine eheliche Verbindung geführt wird.
Tora Doch für unsere Weisen, für die das Studium der Tora als Inbegriff eines guten Lebens im Vordergrund stand, hatte die Freundschaft, aramäisch: »Chewruta«, neben der persönlichen Ebene auch noch eine andere Bedeutung: »Rabbi Jossi bar Chanina sagte: Ein Schwert komme über diejenigen Gelehrten, die die Tora allein studieren (und nicht in Lerngruppen), denn nicht nur, dass sie verdummen, sondern sie sündigen auch« (Ta’anit 7a).
Das gemeinschaftliche Studium galt in talmudischer und der späteren jüdischen Tradition als die Idealform des Lernens. Wer allein lernt, übersieht womöglich einiges, merkt sich weniger, hört keine Kritik, mit der er sich auseinandersetzen könnte. Auch beim Lernen ist also Freundschaft geboten.
Freundschaft »So wie ein Eisenstück ein anderes schärft, so schärfen auch zwei Toraschüler einander in ihrem Verständnis der Halacha« (Ta’anit 7a). Ohne Diskurs kein tiefes Lernen. Daher stammt die halachische Anweisung, nicht allein, sondern in »Chewruta«, in »Freundschaft«, zu lernen. Die Freundschaft wehrt dem geistigen Verfall.
Doch neben diesen Bedeutungen verkörpert die Freundschaft auch noch ein tiefergehendes mystisches Prinzip: Wenn zwei Menschen sich liebevoll oder kameradschaftlich zusammenschließen, so bildet diese Einheit nichts Geringeres als die Einheit der Menschheit mit G’tt und dessen Ewigkeit ab.
So wird also auch der Tod sinnbildlich zurückgedrängt: »Wenn jemand das Angesicht seines Freundes empfängt, dann ist das, als würde er das Antlitz G’ttes empfangen« (Eruvin 31a).