Unser Wochenabschnitt beginnt mit der wiederholten Forderung von Mosche und Aharon an den Pharao, das jüdische Volk ziehen zu lassen. Im Falle einer Weigerung warnen sie vor einer Heuschreckenplage (dies ist die achte von zehn ägyptischen Plagen). Der Pharao willigt ein, die Männer gehen zu lassen. Mosche antwortet, dass nicht nur die Frauen, sondern auch Kinder und die Älteren mit ihnen gehen werden, genauso wie all ihr Vieh. Der Pharao ist damit jedoch nicht einverstanden.
Nach der Heuschreckeninvasion bittet der Pharao Mosche, wie nach jeder Plage, zum Allmächtigen zu beten, damit die Plage aufhört. Er werde dann die Juden gehen lassen. Aber unmittelbar, nachdem der Allmächtige diese Plage beendet hat, ändert der Pharao seine Meinung.
Danach kommt die neunte Plage – drei Tage Dunkelheit. Und dann die zehnte und letzte Plage: der Tod der Erstgeborenen. Danach vertreibt der Pharao alle Juden aus Ägypten. Vorm Töten der Erstgeborenen befiehlt der Allmächtige den Juden, das Pessachopfer zu bringen, ein Opfer, das die Juden später bis zur Zerstörung des Zweiten Tempels immer in der ersten Nacht des Pessachfests bringen werden.
zeichen Der erste Vers unseres Kapitels lautet: »Und der Ewige sprach zu Mosche: ›Komm herein zum Pharao, denn Ich habe sein Herz und das Herz seiner Knechte verstockt, damit Ich diese meine Zeichen in seine Eingeweide setzen kann.‹« Der Allmächtige verhärtete also absichtlich sein Herz, um ihn später zu bestrafen.
Viele Toraweise fragen, wie der Ewige dem Pharao die Entscheidungsfreiheit nehmen und ihn dann dafür bestrafen kann. Schließlich sei die Wahlfreiheit doch eines der Grundprinzipien des Judentums. Handlungen und Entscheidungen sind das Ergebnis eines unabhängigen und freien Willens. Sie sind nicht vorherbestimmt und werden weder vom Schicksal noch von übernatürlichen Kräften diktiert. Der Mensch ist verantwortlich für seine Entscheidung, der Stimme des Ewigen zu gehorchen oder die Gebote zu brechen. Und der Ewige wird die Menschen nach diesen Entscheidungen richten, wie es heißt: »Und ich bot dir Leben und Tod an, Segen und Fluch, und du wählst das Leben« (5. Buch Mose 19,19).
Auch im Talmud heißt es: »Alles ist in den Händen des Himmels, außer der G’ttesfurcht« (Brachot 33b). Und: »Alles ist vorhersehbar, aber es ist einem Menschen auch erlaubt, nach seinem Willen zu handeln« (Avot 3).
Einer der größten Philosophen und Weisen, der Rambam, Maimonides (1138–1204), formulierte dieses Grundprinzip wie folgt: »Aber wir wissen ohne Zweifel, dass die Handlungen einer Person in den Händen einer Person liegen, und der Allmächtige zwingt oder befiehlt ihm nicht, was er tun soll. Und aus diesem Grund sagt die Prophezeiung, dass eine Person nach ihren Taten beurteilt wird, ob sie gut oder schlecht sind« (Mischne Tora, Reuegesetze, Kapitel 5).
STURHEIT Rav Shlomo Yosef Zevin (1888–1978) gibt in seinem Buch LaTora VelaMo’adim eine interessante Erklärung für den Ausspruch »Denn ich habe sein Herz schwer gemacht«. Der Herr gab dem Pharao Sturheit, aber er beraubte ihn nicht seiner Entscheidungsfreiheit, sondern der Pharao entscheidet selbst, wie er seinen Charakter nutzen will.
Eine Person hat die Wahl, wie sie die Qualitäten ihrer Seele zum Guten oder zum Bösen einsetzt: Weisheit, Mut, Geschicklichkeit – jede dieser Eigenschaften ist nicht gut oder schlecht per se, sondern sie wird entsprechend von der Person eingesetzt. Auch Sturheit kann positiv eingesetzt werden, zum Beispiel in Form moralischer Stärke und als Widerstand gegen Versuchungen. Aber auf der anderen Seite kann sie auch negativ verwendet werden – um den falschen Weg zu gehen, ohne auf die Stimme der Vernunft zu hören.
Der Allmächtige hat dem Pharao als Kontrast zu den Plagen die Eigenschaft von Stärke und Ausdauer ins Herz gelegt, aber die Wahl, wie man diese nutzt – zum Guten oder zum Bösen –, überließ er dem Pharao. Dieser zog es vor, über all die Plagen und Nöte, die sein Volk getroffen hatten, hinwegzuschauen, und bestand weiterhin darauf, den Hebräern nicht zu erlauben, Ägypten zu verlassen.
CHARAKTER Wir alle erhalten bei der Geburt eine Reihe von Eigenschaften der Seele und des Charakters, andere erwerben wir im Laufe des Lebens. Jeder von uns ist eine absolut einzigartige Person, und es gibt niemanden auf der ganzen Welt, der mit uns identisch ist. Das ist die Schönheit und Größe der Erschaffung des Menschen durch den Ewigen.
Wie der amerikanische Philosoph Elbert Green Hubbard (1856–1915) sagte, ist der Mensch die Krone der Schöpfung. Wir können und sollten nicht verstehen, warum uns der Allmächtige mit solchen Eigenschaften belohnt hat. Es gibt sogar Qualitäten, die ganzen Nationen innewohnen. Im Talmud (Jevamot 78) steht über das jüdische Volk: »Es gibt drei Zeichen in diesem Volk: schüchtern, gütig und barmherzig – und jeder, der diese Zeichen hat, sollte sich diesem Volk anschließen.«
Wir selbst treffen unsere Wahl zwischen Gut und Böse – der Allmächtige und die Veranlagung unseres Charakters nehmen uns nicht die Freiheit der Wahl. Im Talmud (Nidda 16) lesen wir: »Rabbi Chanina, der Sohn von Rav Papa, sagte: Der Engel, der für die Schwangerschaft verantwortlich ist, nimmt einen Samentropfen und erscheint vor dem Allmächtigen und fragt ihn: ›Herr der Welt, dieser Tropfen, was wird mit ihm geschehen, ein tapferer Mann oder ein Feigling, klug oder dumm, reich oder arm und nur ein Sünder oder ein rechtschaffener Mann?‹ Von hier aus sagte Rabbi Chanina: ›Alles ist in den Händen des Himmels außer der Furcht vor dem Himmel.‹ Und wie Mosche zum Volk Israel sagte (5. Buch Mose 10,12) und jetzt zu Israel, was verlangt dein Herr von dir? Nur Ehrfurcht vor Ihm.«
PRÜFUNGEN Wir alle werden im Laufe unseres Lebens immer wieder mit Schwierigkeiten und Prüfungen konfrontiert. Manchmal sind das kleine Herausforderungen im Alltag, zum Beispiel nicht wütend auf sein Kind zu sein, das Aufmerksamkeit möchte, wir jedoch nach der Arbeit zu müde sind. Manchmal sind dies große Prüfungen, und das Ergebnis unserer Entscheidung wird unser ganzes Leben beeinflussen. Aber eines müssen wir wissen: Der Allmächtige hat uns Eigenschaften und Fähigkeiten gegeben, damit wir uns für das Gute und nicht für das Böse entscheiden.
Über Rabbi Zushi wird erzählt, dass er vor seinem Tod sagte: »Wenn ich vor dem himmlischen Gericht stehe, wird mich niemand fragen: ›Zusya, warum warst du nicht Awraham Awinu oder Mosche Rabbeinu?‹ Ich habe Angst, dass sie mich fragen werden: ›Zusya, warum warst du nicht Zusya?‹«
Jeder von uns hat seinen eigenen Weg und seine eigenen Probleme und Prüfungen. Für jeden von uns hat der Ewige einen eigenen Weg vorgezeichnet, den nur wir gehen müssen. Vergleichen Sie sich nicht mit Bill Gates oder Steve Jobs. Die Welt versucht manchmal, uns zu verwirren. Es gibt viele Geschichten von Erfolg und noch mehr von Misserfolg.
Ich wünsche jedem, der mit Prüfungen konfrontiert ist, dass er seine Qualitäten oder Stärken einsetzt, um sich im Gegensatz zum Pharao für das Gute und nicht für das Böse zu entscheiden.
Der Autor studiert am Rabbinerseminar zu Berlin.
inhalt
Der Wochenabschnitt Bo schildert die letzten Plagen, mit denen G’tt die Ägypter heimsucht: Das sind zunächst Heuschrecken und Dunkelheit, dann kündigen Mosche und Aharon die Tötung aller ägyptischen Erstgeborenen an. Doch das Herz des Pharaos bleibt weiter hart. Die Tora schildert die Vorbereitungen für das Pessachfest und beschreibt dann die letzte Plage: Alle Erstgeborenen Ägyptens sterben, doch die Kinder Israels bleiben verschont. Nun endlich lässt der Pharao die Israeliten ziehen. Zum Abschluss schildert der Wochenabschnitt erneut die Vorschriften für Pessach und die Pflicht zur Erinnerung an den Auszug aus Ägypten.
2. Buch Mose 10,1 – 13,16