Die Haftara erzählt uns von einem jüdischen Mädchen, das nach Aram entführt wurde, ein mächtiges Königreich nördlich von Israel auf dem Gebiet des heutigen Syrien. Dieses Mädchen wurde eine Magd im Haus von Naaman, dem Oberbefehlshaber des aramäischen Heeres. Naaman war an Aussatz (Tsara’at) erkrankt, und das Mädchen sagte, dass es in Israel einen Propheten gebe, Elischa, der Naaman vielleicht helfen könne, ihn von der Krankheit zu heilen.
Der König von Aram sandte eine Bitte an den König von Israel. Dieser erschrak zutiefst und sagte: »Bin ich denn Gʼtt, dass ich töten und lebendig machen kann?« Der Prophet Elischa hörte aber davon, beruhigte den König und sagte zu ihm: »Lass Naaman zu mir kommen, damit er innewerde, dass ein Prophet in Israel ist.«
Der Prophet Elischa sagt, Naaman solle im Jordan untertauchen. Der stolze Aramäer aber weigert sich. Was für eine Frechheit – der kleine Jordan soll besser sein als unsere großen Flüsse Amana und Parpar in Damaskus? Naaman empfand es als Demütigung. Erst nachdem seine Sklaven ihn gedrängt hatten, stimmte er zu, im Jordan unterzutauchen, und wurde so von seinem Aussatz geheilt.
Naaman dankte Elischa und wollte ihm Geschenke machen, doch der Prophet lehnte ab. Naaman beschloss sogar, keine Götzen mehr anzubeten, sondern nur noch den G’tt Israels anzuerkennen.
So erhielt Naaman eine ungewöhnliche Lektion in Bescheidenheit. Es war die entführte jüdische Magd, die die Lösung für seine Krankheit bot. Es war tatsächlich G’ttes Prophet Elischa und nicht Naamans Götze, der zu seiner Genesung beitrug. Und es war der kleine und unbedeutende Fluss Jordan, der Naamans Heilung bewirkte.
Der Priester führt den Reinigungsprozess durch
In unserem Wochenabschnitt lesen wir über Aussatz und von einem Prozess der Reinigung (Ta’hara) von der Krankheit. Dieser Prozess wird von einem Kohen (Priester) durchgeführt, der als eine Art spiritueller Arzt fungiert und den Übergangsprozess von der Unreinheit zur Reinheit begleitet. Am Ende findet ein Reinigungsritual statt, bei dem der Aussätzige mit Blut besprengt wird. Zu diesem Zweck bringt der Aussätzige zwei Vögel, eine Zeder, einen Karmesin und einen Ysop mit.
Die Kombination von Zeder und Ysop erscheint seltsam. Wer in den Meron-Bergen im nördlichen Israel unterwegs ist, wird auf Zedern stoßen. Sie gehören zu den höchsten und beeindruckendsten Bäumen im Land Israel. Im Vergleich dazu wirkt der Ysop klein und dürftig. Welchen Sinn hat es, sie im Prozess der Reinigung des Aussätzigen zusammenzubringen?
Die Antwort darauf lautet wieder: eine Lektion in Bescheidenheit. Der Aussätzige durchläuft einen schmerzhaften Prozess der Desillusionierung. Einen Moment lang war er ein entspannter, scheinbar sorgloser Mensch. Und im nächsten Moment bricht seine Welt zusammen. Sein Aussehen verschlechtert sich. Er gilt als unrein. In manchen Fällen führt ihn der Kohen aus der Gemeinschaft, und er muss einsam bleiben.
Aussatz lehrt den Menschen, dass er, selbst wenn er denkt, er sei eine große und robuste Zeder, sich wie dieser kleine und elende Ysop fühlen kann. Bescheidenheit bedeutet, die eigenen Grenzen zu erkennen, sich ein wenig zurückzuziehen und zu verstehen, dass man noch viel mehr wissen und lernen muss.
Wenn wir andere verleumden, erheben wir uns über sie
Aussatz kennen wir auch von Mosches Schwester Mirjam. Sie zog mit Aharon über Mosches Frau Zipora her und erkrankte kurz darauf sofort daran. Rabbi Hanina sagt dazu: »Aussatz kommt nur durch Verleumdung (Laschon Hara)« (Dewarim Raba 6,8). Rabbi Hanina erklärt den Zusammenhang zwischen Verleumdung und Aussatz nicht, aber angesichts des Verständnisses von Bescheidenheit bei Aussatz kann er vielleicht besser verstanden werden.
Wenn wir andere verleumden, erheben wir uns bewusst oder unbewusst ihnen gegenüber. Wenn ich über die schlechte Erziehung des Nachbarskindes spreche, dann erziehe ich mein Kind offenbar besser. Wenn ich über die schlechten Fähigkeiten des Kollegen spreche, dann bin ich anscheinend ein besserer Fachmann. Es mag durchaus sein, dass wir besser sind als andere, aber der äußere Ausdruck dieses Gedankens kann uns die Tatsache vergessen lassen, dass die Realität etwas komplexer ist: dass wir alle auf unterschiedliche Weise begrenzt sind und Schattenseiten haben.
Und wenn wir immer noch Verleumdungen aussprechen, lernen wir durch Aussatz, was Bescheidenheit ist. So, wie es Naaman beigebracht wurde. Gerade von denen, die er verachtete, kam seine Heilung: von dem entführten jüdischen Mädchen, vom kleinen Jordan und vom Propheten der Nachbarreligion.
Bescheidenheit kann das größte Geschenk sein, das man sich selbst macht
»Von allen, die mich lehrten, wurde ich klug« (Tehillim 119,99), sagt König David. Und wenn der größte König Israels das sagt, dann sollten wir diese Haltung übernehmen. Bescheidenheit kann das größte Geschenk sein, das wir uns selbst machen können: zweimal zu denken, bevor wir etwas sagen, zweimal zu überlegen, bevor wir urteilen, zu verweilen, bevor wir instinktiv reagieren. Bescheidenheit ermöglicht nicht nur angenehmere Beziehungen zwischen uns und unseren Mitmenschen, sondern ermöglicht uns auch, ständig zu lernen und uns persönlich weiterzuentwickeln.
Bald beginnt Pessach, das Fest der Mazzot, des »Brotes der Armut«. Es gibt zwei Möglichkeiten, das Konzept des Brotes der Armut zu verstehen. Die erste Option ist Brot für die Armen. Die zweite Option ist Brot, das einer gewissen Reduzierung unterzogen wurde. Die zweite Option hat eine viel größere Bedeutung. Wir beschließen, an Pessach etwas zurückzuhaltender und bescheidener zu sein. Wir reinigen uns von dem Schmutz, der uns umgibt. Sogar in uns selbst reinigen wir so viel wie möglich und begnügen uns mit dem Brot der Armut. Innerlich werden wir gereinigt – von irrelevanten Eigenschaften, von Stolz und unserem Ego. Auf eine Weise, die auf den ersten Blick vielleicht etwas schwer zu verstehen ist, hilft uns gerade diese bescheidene Haltung, uns mit der anderen Bedeutung von Pessach zu verbinden – mit Freiheit. Die Freiheit, einfach zu sein, wer wir sind, ohne unnötige Zusätze.
Der Autor ist Kantor der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg.
inhalt
Der Wochenabschnitt Tasria lehrt die Gesetze für die Wöchnerin und die Dauer der Unreinheit. Für ein männliches Kind wird zudem festgelegt, dass es am achten Tag nach der Geburt beschnitten werden soll. Außerdem übermittelt Tasria Regeln für Aussatz (Tsara’at) an Körper und Kleidung. Es wird detailliert geschildert, wie dieser Aussatz festgestellt werden kann und wie dagegen vorzugehen ist.
3. Buch Mose 12,1 – 13,59