Talmudisches

Ein Korb voller Fische

Warum Rabbi Anan nicht mehr von Elijahu besucht wurde

von Noemi Berger  23.08.2019 09:31 Uhr

»Ich kann dein Geschenk, den Fischkorb, nicht annehmen«, sagte der Rabbi, »das würde mich dir gegenüber parteiisch machen.« Foto: Getty Images / iStock

Warum Rabbi Anan nicht mehr von Elijahu besucht wurde

von Noemi Berger  23.08.2019 09:31 Uhr

Der Talmud (Ketubot 105b–106a) erzählt davon, wie einst ein Fremder zu Rabbi Anan kam, einem Weisen, dessen Ruhm sich über ganz Babylon verbreitet hatte. »Ich habe eine Meinungsverschiedenheit mit jemandem, und wir können sie nicht lösen«, sagte der Mann, der einen Korb mit kleinen Fischen als Geschenk für den Rabbi bei sich trug. »Das Einzige, worüber wir übereingekommen sind, ist unsere beiderseitige Zustimmung, euer weises Urteil anzunehmen, wie immer es auch ausfallen mag, verehrter Rabbi!«

Urteil »Ich kann dein Geschenk, den Fischkorb, nicht annehmen«, sagte der Rabbi, der genauso prinzipientreu und charakterfest wie weise war. »Das würde mich dir gegenüber parteiisch machen. Ich werde dich auch nicht richten, da mein Urteil bereits zu deinen Gunsten beeinflusst ist.«

Diese Reihe von unglücklichen Ereignissen verursachte im Himmel einen großen Aufruhr.

»Aber Rabbi«, flehte der Mann, »wenn du mich nicht richtest, dann kannst du doch das Geschenk annehmen. Schließlich sagen die Weisen, dass das Beschenken eines Toragelehrten dem Darbringen von Erstlingsfrüchten zum Heiligen Tempel in Jerusalem gleichkommt.«

Rabbi Anan sagte: »Ursprünglich wollte ich deine Gaben nicht annehmen, aber jetzt, nach deiner Erklärung, werde ich den Korb doch annehmen. Aber was dein Urteil betrifft, so leite ich die Angelegenheit an Rabbi Nachman weiter und verweise dich an ihn.«

Rabbi Anan schrieb auf ein kleines Stück Pergament: »Lass den Meister diesen Mann richten, denn ich, Anan, bin nicht in der Lage, über ihn ein Urteil zu fällen«, und wies den Mann an, es Rabbi Nachman zu geben.

Als Rabbi Nachman den Brief las, dachte er, der Mann müsse ein Verwandter von Rabbi Anan sein. Warum sollte sich der weise Anan sonst vom Richten abhalten lassen?

Zu diesem Zeitpunkt hatte Rabbi Nachman gerade in einem Fall Recht zu sprechen, in den einige Waisenkinder verwickelt waren. Waisenkinder zu betreuen, ist genauso eine Mizwa, wie einen Toragelehrten und seine Verwandten zu ehren.

Prioritäten Rabbi Nachman kam zu dem Schluss, dass die Ehrung der Tora Vorrang hat, und legte den Fall der Waisenkinder beiseite. Er führte also nun den Vorsitz im Fall des Mannes, von dem er dachte, er sei ein Verwandter von Rabbi Anan, und hörte beide Seiten an.

Die andere Streitpartei sah, dass sich Rabbi Nachman äußerst ehrerbietig gegenüber dem Mann verhielt, den er für Rabbi Anans Verwandten hielt. Dies ließ ihn zunehmend aufgewühlt und verstört werden und hinderte ihn daran, seine Argumente gut darzulegen. Er war nicht in der Lage, seinen Standpunkt richtig zu artikulieren, und der Fall wurde zugunsten des Mannes entschieden, der Rabbi Anan den Korb mit den Fischen geschenkt hatte.

Diese Reihe von unglücklichen Ereignissen verursachte im Himmel einen großen Aufruhr. Denn Rabbi Anans Brief hatte dazu geführt, dass ein ungerechtes Urteil gefällt wurde.

Geheimnisse Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Raw Anan das Privileg, von Elijahu, dem Propheten, besucht zu werden, der ihn in die mystischen Geheimnisse der Tora einführte. Doch nach diesem Vorfall besuchte der Prophet Rabbi Anan nie wieder.

Rabbi Anan hatte begriffen, dass etwas nicht stimmte. Er fastete und betete, damit G’tt ihm vergebe und Elijahu ihm die Texte wieder offenbare. Und siehe da, die Besuche wurden fortgesetzt, aber Rabbi Anan fürchtete sich so sehr vor Elijahu, dass er, um ihn nicht sehen zu müssen, einen Kasten anfertigte und sich hineinsetzte, bis die Rezitation vorüber war.

Aus diesem Grund wurden die Lehren, die Anan von Elijahu erhielt, in zwei Abschnitte unterteilt: Seder Elijahu Rabba (die Große Ordnung von Elija mit 31 Kapiteln) – so heißt das Werk vor diesem Vorfall – und Seder Elijahu Sutta (die Kleine Ordnung von Elija mit 15 Kapiteln) – so heißen die Lehren danach.

Essay

Die gestohlene Zeit

Der Krieg zerstört nicht nur Leben, sondern auch die Möglichkeit, die Zukunft zu planen, schreibt der Autor Benjamin Balint aus Jerusalem anlässlich des Feiertags Simchat Tora

von Benjamin Balint  23.10.2024

Bereschit

Höhen und Tiefen

Sowohl Gut als auch Böse wohnen der Schöpfung inne und lehren uns, verantwortlich zu handeln

von Rabbinerin Yael Deusel  23.10.2024

Simchat Tora

Untrennbar verwoben

Können wir den Feiertag, an dem das Massaker begann, freudig begehen? Wir sollten sogar, meint der Autor

von Alfred Bodenheimer  23.10.2024

Deutschland

Sukkot in der Fußgängerzone

Wer am Sonntag durch die Bonner Fußgängerzone lief, sah auf einem zentralen Platz eine Laubhütte. Juden feiern derzeit Sukkot auch erstmals öffentlich in der Stadt - unter Polizeischutz

von Leticia Witte  20.10.2024

Laubhüte

Im Schatten Seiner Flügel

Für die jüdischen Mystiker ist die Sukka der ideale Ort, um das Urvertrauen in Gʼtt zu stärken

von Vyacheslav Dobrovych  16.10.2024

Freude

Provisorische Behausung

Drei Wände und ein Dach aus Zweigen – selbst eng gedrängt in einer zugigen Laubhütte kommt an Sukkot feierliche Stimmung auf

von Daniel Neumann  16.10.2024

Chol Hamoed

Körperlich herausfordernd

Warum das Buch so gut zu Sukkot und seinen Mizwot passt

von Rabbiner Joel Berger  16.10.2024

Talmudisches

Gericht und Reue

Was unsere Weisen über das Fasten an Jom Kippur und die Sünden zwischen den Menschen lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  15.10.2024

Berlin

Zu Besuch in Deutschlands einzigem koscheren Hotel

Ilan Oraizers King David Garden Hotel ist ein Unikum in der Bundesrepublik

von Nina Schmedding  13.10.2024