neulich beim kiddusch

Ein Kantor wie ein Rabe

Wer exzessives Synagogenhopping betreibt, ist auf gute Ratschläge angewiesen. Wo und wann gibt es einen Kiddusch zum Sattwerden? Was sollte man nicht verpassen? Doch die Qualität solcher Informationen steigt und fällt mit ihren Übermittlern.

Da wäre zum einen »der Blender«. Er schildert alles, was er erlebt hat, in den buntesten Farben und schönsten Bildern. Die Gemeinde, von der er erzählt, sei aktiv und freundlich, der Rabbiner ein allwissender, freundlich lächelnder, Güte ausstrahlender Mann. Der Kantor zu gut für die Oper, bewandert in allen Kniffen und Fallstricken des jüdischen Jahres und ein großartiger Toraleser. Der Kiddusch sei hervorragend und reichhaltig.

Den Blender trifft man eher selten, aber es gibt ihn. Er hofft, dass der Glanz der von ihm gepriesenen Gemeinde auch auf ihn ausstrahlt und die Zuhörer sich voller Neid in die Hände beißen.

durchblick Dann gibt es »den kritischen Beobachter«. Er ist sparsam mit Lobeshymnen, sagt nichts Positives und kratzt negative Töne stets nur an. »Der Kantor war eigentlich ganz gut, aber ich habe nicht verstanden, warum er diese oder jene Melodie gewählt hat, obwohl das doch überhaupt nicht passt.« Oder: »Die Idee mit dem Fisch zum Kiddusch wäre ganz gut gewesen, wenn er warm serviert worden wäre. Aber vielleicht isst man ihn ja dort kalt. Wer weiß?« Der kritische Beobachter spricht eigentlich nicht über den Kiddusch oder die Gemeinde, sondern über sich selbst. Er möchte durchblicken lassen, dass er alles besser weiß und deshalb den absoluten Durchblick hat. Informationsgewinn: null.

Typ drei ist »der Vergleicher«. Er ist mein Konkurrent beim Synagogenhopping und kann allerhand Vergleiche zuhilfe ziehen: »Der Kantor ist ganz gut, zwar nicht so gut wie der in meiner Gemeinde, aber besser als der in der Geburtsstadt meiner Frau.« Die Mazzeklöße seien von ähnlicher Konsistenz wie die in der Gemeinde seiner Nichte, aber dort gebe es kein Graubrot zur Suppe. Durch geschicktes Fragen kann man in mühsamer Kleinarbeit die ideale Synagoge ermitteln. Auf sein Wort ist Verlass.

Dann gibt es »den Negativen«. An seinen Qualitätsmaßstäben können sich keine Gemeinde und kein Kiddusch messen. »Nein, furchtbar«, schreit er, nur im Albtraum würde er noch einmal in diese Gemeinde zurückkehren. »Der Kantor singt schief, ein Rabe ist melodischer und versteht mehr von Nussach. Und der blasse Junge, der die Drascha hielt, war gar kein Barmizwa, sondern der Rabbiner! Und erst der Kiddusch! Ich wäre dankbar gewesen, wenn man mir etwas gegeben hätte, was man in anderen Gemeinden vom Boden kehrt!«

Tja, wer hat recht? Glauben Sie mir, alle vier Berichterstatter waren am selben Schabbat in derselben Synagoge.

Tezawe

Kleider, die die Seele formen

Was es mit den prächtigen Gewändern der Hohepriester auf sich hat

von Rabbiner Jaron Engelmayer  07.03.2025

Talmudisches

Heilen am Schabbat

Was unsere Weisen über Notfälle und Pikuach Nefesch lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  07.03.2025

Meinung

Übersehene Prophetinnen

Zum Weltfrauentag fordert die Rabbinatsstudentin Helene Braun mehr Sichtbarkeit für jüdische Vorreiterinnen

von Helene Braun  06.03.2025

Truma

Der tragbare Sinai

Warum das Stiftszelt kein heiliger, aber ein geheiligter Ort ist

von Chajm Guski  28.02.2025

Neuauflage

Ein antizionistischer Zionist

Das Denken des deutsch-jüdischen Religionsphilosophen Isaac Breuer lässt sich nun gründlicher erschließen

von Yizhak Ahren  28.02.2025

Talmudisches

Größe und Demut

Was unsere Weisen über einen wichtigen Zusammenhang lehren

von Yizhak Ahren  28.02.2025

Psychologie

Hatte Schaul eine bipolare Störung?

Schon die Tora berichtet davon, dass Menschen dunkle Gedanken haben können. Es ist eine Mizwa, sich um die eigene mentale Gesundheit zu kümmern

von Sophie Bigot Goldblum  28.02.2025

Mischpatim

Gleiches Recht für alle

Schon die Tora regelt, dass es vor dem Gesetz keinen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt

von Rabbiner Joel Berger  21.02.2025

Talmudisches

Krankheitserreger

Was unsere Weisen über Keime im Wasser lehrten

von Rabbinerin Yael Deusel  21.02.2025