In den Küchen des Berliner Hotels InterContinental begann der Gemeindetag schon eine halbe Woche vor dem Ereignis. Bereits am vergangenen Sonntagnachmittag rückte Rabbiner Shlomo Afanasev mit Studenten des Rabbinerseminars an und machte sich an Herd und Töpfen zu schaffen. »Wir haben tonnenweise Besteck gekaschert und am Donnerstag auch alle Spülmaschinen gereinigt«, sagt Afanasev.
Der orthodoxe Rabbiner führt die Koscher-Aufsicht beim Gemeindetag und sorgt mit seinen Mitarbeitern dafür, dass nichts Milchiges in die Nähe von Fleischigem kommt – und umgekehrt. Die Männer haben Kellen, Schöpflöffel und die Henkel von Töpfen und Pfannen mit farbigen Aufklebern markiert, Merkzettel mit Bildern des unterschiedlichen Bestecks an den Wänden aufgehängt, damit das Personal nichts verwechselt. Und wenn die Speisen zubereitet und angerichtet werden, steht in jedem Küchenraum ein Maschgiach, der den Köchen, Bäckern, Pâtissiers oder Küchenhilfen streng, aber durchaus freundlich über die Schultern schaut.
Das Essen ist sehr wichtig beim Gemeindetag – und beherrscht so manches Pausengespräch. Doch das ist natürlich nicht alles. Neben einem umfangreichen Programm mit Podien zu politischen Fragen und Autorenlesungen hat der Gemeindetag auch viel Religiöses zu bieten. Nach Angaben des Zentralrats ist das religiöse Programm in diesem Jahr so umfangreich wie nie zuvor.
bedarf »Wir haben das Angebot ausgeweitet und es dem Bedarf und den Interessen der Teilnehmer angepasst«, sagt Zentralratsgeschäftsführer Daniel Botmann. Gemeinsam mit den beiden Rabbinerkonferenzen, der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) und der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK), entwarf der Zentralrat ein Programm, das für jeden, egal, welcher religiösen Strömung er angehört, etwas bereithielt.
Neben traditionellen und liberalen Gottesdiensten gab es am Schabbat auch ein breites Angebot an Schiurim.
Neben traditionellen und liberalen Gottesdiensten gab es am Schabbat auch ein breites Angebot an Schiurim. So sprachen die Frankfurter Rabbiner Avichai Apel und Julian-Chaim Soussan über Kriegsethik sowie über jüdische Piraten, ihre Kollegin Elisa Klapheck las die Tora politisch, der Schweizer Rabbiner David Bollag referierte über Homosexualität aus Sicht der modernen Orthodoxie, und der Berliner Rabbiner Yehuda Teichtal gab Tipps, wie man wieder Schwung in die Ehe bringt.
Der Münchner Rabbiner Tom Kucera beschäftigte sich in seinem Schiur mit dem Wochenabschnitt Wajeschew. Dabei ging er der Frage nach, was der Talmud und die moderne Hirnforschung über Träume sagen. Denn in der Parascha geht es um Josef, der in Ägypten die Träume des königlichen Mundschenks und Bäckers und später gar die Träume des Pharaos deutete.
»Hirnforscher haben herausgefunden, dass man im Schlaf nicht nur Erlerntes festigt, sondern tatsächlich auch Neues lernt«, sagte Kucera, der nicht nur Rabbiner, sondern auch promovierter Biochemiker ist. Ein israelisches Forscherteam vom Weizmann-Institut in Rechovot habe herausgefunden, dass man während der Nachtruhe Düfte lernen könne. Die Wissenschaftler ließen ihre Probanden im Schlaf etwas riechen und fanden heraus, dass sie dabei lernten. »Dies schafft einen schönen Bezug zur Hawdala, bei der wir an guten Gewürzen riechen, die wir mit dem Schabbat assoziieren«, sagte Kucera in seinem Schiur und fasste zusammen: »Wenn man Düfte im Schlaf lernen kann, dann lernen wir vielleicht am Gemeindetag etwas, das wir auch danach abrufen können, das uns also etwas Neues gibt für die Zeit danach.«
lernen Ein völliges Novum in diesem Jahr war das Beit Midrasch, das das Berliner Rabbinerseminar vorbereitet hatte. »Wir wollten zeigen, wie bei uns gelernt wird«, sagt Sarah Serebrinski, die Geschäftsführerin des Rabbinerseminars. »Also haben wir unsere Lehrer, Studenten und Absolventen sowie die Frauen unseres Eishet-Chayil-Programms gebeten, Themen vorzuschlagen, zu denen sie im Beit Midrasch auf dem Gemeindetag mit Teilnehmern lernen wollen.« Sie sollten wahlweise etwas mit dem aktuellen Wochenabschnitt oder mit Chanukka zu tun haben, es sollten Fragen sein, mit denen sie sich gerade beschäftigen, oder Bereiche, in denen sie sich gut auskennen.
Normalerweise wird im Beit Midrasch zu zweit gelernt, also in Chawruta. »Doch wir dachten, es wäre schade, wenn nur jeweils zwei lernen könnten«, sagt Serebrinski. Deshalb habe man die Teilnehmerzahl auf vier erhöht, in zwei Fällen sogar auf zehn.
Ein bewegender Moment war die Hawdala. In so großer Runde wird sie selten erlebt.
Die Themenvielfalt war ausgesprochen breit: Von verschiedenen Gebetsstilen und Chanukka, der Sinnlichkeit im traditionellen Judentum über Charakterarbeit und die Frage, ob die Tora von Gott ist, verschiedene Aspekte des Elternseins über die Stellung der Frau und Intimität in der Ehe, Freude, Belohnung, Harmonie war für fast jeden etwas dabei. Damit die Teilnehmer auch in rabbinischen Quellen nachschlagen konnten, hatte das Rabbinerseminar dafür gesorgt, dass entsprechende Bücher in den Räumen auslagen. Sarah Serebrinski ist zufrieden. »Wir haben die Lernatmosphäre eines Beit Midrasch ins Hotel gebracht«, freut sie sich. »Das war die Idee.«
Ein bewegender Moment war die Hawdala. In so großer Runde wird sie selten erlebt. Hunderte Männer, Frauen und Kinder kamen zum Abschluss des Schabbats im Wintergarten des Hotels zusammen. Sie sprachen den Segen über Wein, Licht und Besamim.