Wie werde ich glücklich? Diese Frage stellen sich die meisten Menschen, wenn auch in unterschiedlichen Variationen. Manche fragen sich »wie«, bei den anderen »was«, viele wollen wissen, »wer« sie glücklich machen kann. Doch jeder von uns möchte eines zweifelsohne: glücklich sein. Und heute gibt es vieles, dass nur dafür entworfen wurde, um uns glück-lich zu machen, wie Fernsehen, Computer, Spiele, Shows, Musicals und alle möglichen anderen Unterhaltungen.
Trotzdem sind die meisten Menschen nicht glücklich. Mehr noch, sie scheinen paradoxerweise noch unglücklicher zu sein, als sie es früher gewesen sind. Also haben alle Unterhaltungsmedien das Gegenteil erreicht. Woran liegt es? Und was sagt das Judentum dazu? Wie und wo kann ein Mensch sein Glück finden? Was müssen wir tun, um glücklich zu werden?
Sprüche der Väter Die Antwort auf unsere Frage ist ganz einfach, und man braucht kein spezielles Coaching zum Glücklichwerden und auch keine teuren Psychologenbesuche. Die Antwort auf unsere Frage wurde ausdrücklich von unseren Weisen niedergeschrieben und verewigt, und zwar in Pirkei Awot, den Sprüchen der Väter. Dort wird gefragt: »Wer ist reich?«. Und die Antwort darauf heißt erstaunlicherweise nicht: »Der, der viel Geld, viel Besitz, viele Frauen und viel Weisheit hat«, wie wir es vielleicht erwarten würden, sondern, »der, der mit seinem Anteil zufrieden ist«.
Genau in diesem lakonischen Satz verbirgt sich die unbeschreibliche Weisheit und Menschenkenntnis unserer Gelehrten. Unsere Weisen sagen, das, wenn ein Mensch 100 hat, möchte er automatisch 200 haben. Doch wenn er diese hat, will er bestimmt 400. Doch um welchen Menschen handelt es sich? Um einen Menschen, der nur auf das Geld anderer schaut. Denn egal, wie viel du hast, es wird immer jemanden geben, der mehr hat.
Auto Solange man nur darauf schaut, wird man nie mit dem zufrieden sein, was man hat. Das gilt auch für den Besitz. Es wird immer jemanden geben, der ein besseres Auto, ein schönes Haus oder eine größere Jacht haben wird. Solange wir uns darauf konzentrieren, werden wir nicht in der Lage sein, uns an unseren Besitz zu erfreuen.
Das ist übrigens auch einer der Gründe für die wahnsinnig hohe Scheidungsrate, die wir in unserer Gesellschaft haben. Es wird immer jemanden geben, der hübscher, klüger, erfolgreicher zu sein scheint. Und solange wir nur auf die Vorzüge der anderen schauen, werden wir nie in der Lage sein, mit unserem Partner glücklich zu werden. Und so wird man sich das erste Mal trennen, weil es noch jemand Besseren gibt.
Das zweite Mal, weil man mit jemand anderen besser zusammenpassen könnte. Das dritte Mal, weil es jemanden gibt, der erfolgreicher ist als der jetzige Partner, und langsam wird es Zeit, über die Zukunft nachzudenken. Und das vierte Mal, weil der erste Partner in Wirklichkeit besser gewesen ist als alle anderen, doch man hat es zu spät gemerkt. Am Ende bleibt man alleine und ist mehr als nur unglücklich.
werbung Es gibt viele solcher Geschichten. Und der Grund dafür ist, dass wir es gewohnt sind, auf andere Menschen zu schauen und dabei übersehen oder vergessen, welchen Reichtum wir selbst darstellen. Diese Einstellung wird leider sehr stark von unserer Gesellschaft gefordert. Wenn wir Werbung anschauen, kann man sie eigentlich in einem Satz zusammenfassen: »Dir fehlt dieses Produkt, um glücklich oder erfüllt zu werden.«
Und es ist vollkommen irrelevant, ob es ein Auto, eine Versicherung, ein Kaugummi oder Markenunterwäsche ist. Die Losung lautet: Du musst es haben, denn ohne wirst du nicht glücklich, mit anderen Worten, das Glück kann nur von außen kommen.
Diese Einstellung wird den Menschen von Kindheit an vermittelt. Das ist auch der Grund dafür, dass so viele Menschen einer Kaufsucht verfallen. Sie hoffen verzweifelt, dass sie durch ihre Käufe glücklichere Menschen werden. Und mit jedem »Fehlkauf« lassen sie sich von der Werbung überreden, dass das andere Produkt ihnen zum wahren Glück verhelfen wird.
Kleidung Manche versuchen es mit Gegenständen, die anderen mit Kleidung, die dritten mit Beziehungen, doch alle sind auf der Suche nach ihrem Glück außerhalb von sich selbst. Das Judentum sagt, dass das falsch ist. Das Glück muss von innen kommen, dann wird auch jeder weitere Erwerb dich zu einem noch glücklicheren Menschen machen, doch auf keinen Fall umgekehrt.
Eine Geschichte über Rabbiner Shimon Schwab kann diesen Gedanken vielleicht noch besser verdeutlichen. Schwab war Rabbiner einer Gemeinde in New York, deren Mitglieder hauptsächlich aus Deutschland stammten. Entweder sie selbst oder ihre Eltern waren von dort unter Zurücklassen ihres Besitzes geflohen.
Raw Schwab war keine Ausnahme. Als er älter wurde, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand, ihm musste sogar ein Bein amputiert werden. Doch trotzdem hat man Rabbiner Schwab nie klagen gehört, mehr noch, er war immer glücklich, und man hat ihn nie ohne ein Lächeln gesehen.
Gebrechen Eines Tages fragte ihn einer seiner Schüler, wie der Rabbiner es schafft, trotz seiner Gebrechen immer so lebensfroh zu bleiben. Der Rabbiner antwortete: »Stell dir vor, jemand hätte dir für eine gewisse Zeit 100.000 geliehen, damit du mit dem Geld Geschäfte machen kannst. Nach einiger Zeit will er plötzlich 30.000 davon zurückhaben. Aber du bleibst doch mit 70.000 zurück, die du weiter investieren kannst. Ist es kein Grund, glücklich zu sein? Genauso hat G’tt mir für 120 Jahre meinen Körper gegeben. Nach 70 Jahren hat Er entschieden, ein Bein zurückzunehmen. Aber ich bleibe noch mit zwei Händen, zwei Augen, zwei Nieren und viel, viel mehr zurück. Ist es denn kein Grund, glücklich zu sein?« Rabbiner Shimon Schwab hat darauf geschaut, was er hat, und nicht darauf, was er nicht hat. Das hat ihn zu einem glücklichen Menschen gemacht.
Doch leider sind die meisten Menschen ganz weit von diesem Niveau entfernt. Und man kann ganz leicht herausfinden, zu welcher Gruppe man gehört. Man muss sich nur vorstellen, dass man von jemanden 100.000 Euro geschenkt bekommt. Natürlich wird jeder von uns darüber glücklich sein. Doch was wäre, wenn alle unsere Bekannten von derselben Person eine Million Euro bekommen hätten, wären wir dann noch immer glücklich über unser Geschenk?
In der Beantwortung liegt auch die Antwort auf die Frage, ob wir darauf schauen, was wir haben oder was nicht, beziehungsweise was die anderen haben. Denn um glücklich zu sein, muss man seine Einstellung ändern und mit seinem Anteil zufrieden sein.
Der Autor ist Rabbiner in Freiburg.