Simchat Tora

Ein Gesetz für die Ewigkeit

»Sman Simchatenu«, die Zeit unserer Freude: Sefarden tanzen mit der Tora. Foto: Flash 90

Menschen mögen es, Spaß am Leben zu haben. Wenn es einen Anlass zum Feiern gibt, werden sie ihn mit viel Freude nutzen. Es tut ihnen gut, sich frei zu fühlen, zu genießen oder etwas nicht Alltägliches zu erleben. In gleichem Maße erleben wir Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Familienfeiern – sie machen uns froh.

Auch im Alltag erleben wir Dinge, die uns froh machen können. Jeder von uns fühlt Genugtuung, wenn er einen guten Tag beim Studium oder der Arbeit hatte. Der Mensch ist zufrieden, wenn es ihm gut geht. Aber es gibt einen großen Unterschied zum Feiern. Aufgaben sind zu erledigen, der Schreibtisch ist voll, es gibt noch offene Rechnungen und vieles mehr. Kurz gefasst: Der Mensch erreicht im Alltag nicht wirklich einen Zustand der Freude, sondern höchstens einen Zustand, in dem er nicht traurig ist und er seine Situation als »okay« bezeichnet.

Alltag Es ist immer interessant, Menschen zu fragen, wie es ihnen geht, und zu hören, dass sie mit »nicht schlecht« antworten. »Gut« oder »ausgezeichnet« sind in diesem Fall meist nicht Teil des Vokabulars. »Nicht schlecht« heißt es, anders formuliert: Es könnte viel schlimmer sein.

Tagtäglich können wir Debatten im Parlament verfolgen, ob im Bundestag oder der Knesset, bei denen Gesetze behandelt werden, die unseren Alltag betreffen. Dort wird über schicksalhafte Fragen debattiert, die unser Einkommensniveau beeinflussen, da geht es um Steuern, Verkehrsregeln oder die Gesundheitsreform. Ich habe noch nie gehört, dass Menschen auf der Straße getanzt haben, nachdem irgendein Gesetz eingeführt wurde. Es könnte höchstens sein, dass die Menschen »Bravo« riefen, mehr nicht. Eigentlich arbeitet der Gesetzgeber für die Bürger und hat sich zum Ziel gesetzt, uns zu helfen. Deshalb wird aber keine Feier mit Musik und freien Getränken organisiert, wenn irgendein Gesetz die Renten verbessert oder die Bildung unserer Kinder stärkt – so etwas gab es noch nie.

Feiertag Jedes Kind weiß, dass nach dem Sukkotfest Simchat Tora kommt. Wir gehen in die Synagoge, nehmen die Tora aus dem Aron Hakodesch und beginnen zu tanzen und zu singen. Aber warum?

Seit der Zeit der Propheten wurde eine Regel für das Volk Israel eingeführt, und zwar an jedem Schabbat eine Parascha zu lesen. Wir schließen so die ganze Tora von Anfang bis Ende in einem Jahr ab. Gerade zu Jahresbeginn, am Ende der Jamim Noraim, nach Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot, beenden wir das 5. Buch Moses und beginnen die Tora wieder von vorne mit dem 1. Buch Moses, und zwar mit dem ersten Wochenabschnitt, der Paraschat Bereschit, in der es um die Schöpfung der Welt geht.

Aber es scheint so zu sein, dass diese Feier, die durch das Tanzen und Singen mit Torarollen geprägt ist, eine weit tiefere Bedeutung hat als nur die Freude über den Anfang und den Neubeginn des Toralesens.

Anlass Zwei Dinge machen den Menschen wirklich fröhlich. Zum einen sind wir Menschen, und je persönlicher der Anlass ist, desto mehr freuen wir uns. Die Freude eines Menschen über seine Kinder ist nicht vergleichbar mit der Freude einer ihm fremden Person. Genauso unterscheiden wir zwischen leerer Freude, die an Hedonismus grenzt, und zwischen Freude aus tiefem Anlass, die aus ganzem Herzen kommt, und weil wir schätzen, wie wichtig der Anlass für uns ist. Simchat Tora setzt sich genau aus diesen zwei Elementen zusammen.

Wir definieren die Tora als »Torat Chaim« (Lebenslehre). Die Tora betrifft jeden Schritt im Leben des Menschen. In seinem Umgang zu Hause, unterwegs und in seiner Arbeit. Dazu kommen alle Lebensbereiche – Gesundheit, Gesellschaft, zwischenmenschliche Beziehungen, Nächstenliebe, Handel, Bedeutung des Lebens. Die Tora nimmt Bezug auf all diese Bereiche, und viele mehr. Die Tora hat eine große Bedeutung für uns, weil sie uns von G’tt gegeben wurde.

Der Mensch besitzt die große Fähigkeit, Aktionen zu analysieren, zu forschen und die Lebensordnung und die Weltführung zu verstehen. Und trotzdem sehen wir, dass jedes Gesetz, das vom Gesetzgeber beschlossen wurde, geändert werden kann, sobald sich daraus Probleme ergeben. Es gibt Gesetze, die nach einiger Zeit als schädlich betrachtet werden und als nicht mehr sinnvoll, oder Gesetze, die zwar für den einen gut sind, aber für den anderen schlecht.

Gesetzbuch In der Zeit, als das Volk Israel am Berg Sinai stand, hat es die Gebote von G’tt erhalten, und es hat sogar sehen können, was Moses prophezeit hatte. In dieser Zeit haben wir die Tora von G’tt erhalten und erkannt, dass die Tora wertvoller ist als jedes Gesetzbuch, das je von einem Menschen geschrieben wurde. Die Tora bekommt ihre Kraft dadurch, dass sie vom Schöpfer der Welt geschrieben wurde.

Als G’tt uns die Tora gegeben hat, wurden uns die Gesetze, die Gebote, gegeben. Sie weisen uns den Weg, wie wir in der Welt leben sollen. Sie wurden uns vom Schöpfer der Welt gegeben, der die Fähigkeit besitzt, ein harmonisches Regelwerk zu schaffen, das die Beziehung zwischen allen Teilen der Schöpfung herstellt. Das geschieht unter Berücksichtigung jedes einzelnen Geschöpfes und deshalb spüren wir Freude. Die Kraft der Tora ist in ihrer Aktualität für jeden Menschen sichtbar. Es handelt sich nicht um ein Gebots- und Sittenbuch, das zeitlich begrenzt ist und nur in der Steinzeit oder im Mittelalter Bedeutung hatte. Die Tora hat inhaltliche Bedeutung, weil sie das gesamte Dasein umfasst. Be-
reits im Midrasch steht: »G’tt hatte die Tora angeschaut und erschuf die Welt nach ihr«.

Die Tora hat es deshalb verdient, mindestens einmal im Jahr gefeiert zu werden und das an Simchat Tora. Wir freuen uns alle darüber, dass sie existiert und uns weiterhin als Lehre dient.

Menschen mögen es, Spaß am Leben zu haben. Wenn es ei-
nen Anlass zum Feiern gibt, werden sie ihn mit viel Freude nutzen. Es tut ihnen gut, sich frei zu fühlen, zu genießen oder etwas nicht Alltägliches zu erleben. In gleichem Maße erleben wir Geburtstagsfeiern, Hochzeiten und Familienfeiern – sie machen uns froh.

Auch im Alltag erleben wir Dinge, die uns froh machen können. Jeder von uns fühlt Genugtuung, wenn er einen guten Tag beim Studium oder der Arbeit hatte. Der Mensch ist zufrieden, wenn es ihm gut geht. Aber es gibt einen großen Unterschied zum Feiern. Aufgaben sind zu erledigen, der Schreibtisch ist voll, es gibt noch offene Rechnungen und vieles mehr. Kurz gefasst: Der Mensch erreicht im Alltag nicht wirklich einen Zustand der Freude, sondern höchstens einen Zustand, in dem er nicht traurig ist und er seine Situation als »okay« bezeichnet.

Alltag Es ist immer interessant, Menschen zu fragen, wie es ihnen geht, und zu hören, dass sie mit »nicht schlecht« antworten. »Gut« oder »ausgezeichnet« sind in diesem Fall meist nicht Teil des Vokabulars. »Nicht schlecht« heißt es, anders formuliert: Es könnte viel schlimmer sein.

Tagtäglich können wir Debatten im Parlament verfolgen, ob im Bundestag oder der Knesset, bei denen Gesetze behandelt werden, die unseren Alltag betreffen. Dort wird über schicksalhafte Fragen debattiert, die unser Einkommensniveau beeinflussen, da geht es um Steuern, Verkehrsregeln oder die Gesundheitsreform. Ich habe noch nie gehört, dass Menschen auf der Straße getanzt haben, nachdem irgendein Gesetz eingeführt wurde. Es könnte höchstens sein, dass die Menschen »Bravo« riefen, mehr nicht. Eigentlich arbeitet der Gesetzgeber für die Bürger und hat sich zum Ziel gesetzt, uns zu helfen. Deshalb wird aber keine Feier mit Musik und freien Getränken organisiert, wenn irgendein Gesetz die Renten verbessert oder die Bildung unserer Kinder stärkt – so etwas gab es noch nie.

Feiertag Jedes Kind weiß, dass nach dem Sukkotfest Simchat Tora kommt. Wir gehen in die Synagoge, nehmen die Tora aus dem Aron Hakodesch und beginnen zu tanzen und zu singen. Aber warum?

Seit der Zeit der Propheten wurde eine Regel für das Volk Israel eingeführt, und zwar an jedem Schabbat eine Parascha zu lesen. Wir schließen so die ganze Tora von Anfang bis Ende in einem Jahr ab. Gerade zu Jahresbeginn, am Ende der Jamim Noraim, nach Rosch Haschana, Jom Kippur und Sukkot, beenden wir das 5. Buch Moses und beginnen die Tora wieder von vorne mit dem 1. Buch Moses, und zwar mit dem ersten Wochenabschnitt, der Paraschat Bereschit, in der es um die Schöpfung der Welt geht.
Aber es scheint so zu sein, dass diese Feier, die durch das Tanzen und Singen mit Torarollen geprägt ist, eine weit tiefere Bedeutung hat als nur die Freude über den Anfang und den Neubeginn des Toralesens.
Anlass Zwei Dinge machen den Menschen wirklich fröhlich. Zum einen sind wir Menschen, und je persönlicher der Anlass ist, desto mehr freuen wir uns. Die Freude eines Menschen über seine Kinder ist nicht vergleichbar mit der Freude einer ihm fremden Person. Genauso unterscheiden wir zwischen leerer Freude, die an Hedonismus grenzt, und zwischen Freude aus tiefem Anlass, die aus ganzem Herzen kommt, und weil wir schätzen, wie wichtig der Anlass für uns ist. Simchat Tora setzt sich genau aus diesen zwei Elementen zusammen.

Wir definieren die Tora als »Torat Chaim« (Lebenslehre). Die Tora betrifft jeden Schritt im Leben des Menschen. In seinem Umgang zu Hause, unterwegs und in seiner Arbeit. Dazu kommen alle Lebensbereiche – Gesundheit, Gesellschaft, zwischenmenschliche Beziehungen, Nächstenliebe, Handel, Bedeutung des Lebens. Die Tora nimmt Bezug auf all diese Bereiche, und viele mehr. Die Tora hat eine große Bedeutung für uns, weil sie uns von G’tt gegeben wurde.

Der Mensch besitzt die große Fähigkeit, Aktionen zu analysieren, zu forschen und die Lebensordnung und die Weltführung zu verstehen. Und trotzdem sehen wir, dass jedes Gesetz, das vom Gesetzgeber beschlossen wurde, geändert werden kann, sobald sich daraus Probleme ergeben. Es gibt Gesetze, die nach einiger Zeit als schädlich betrachtet werden und als nicht mehr sinnvoll, oder Gesetze, die zwar für den einen gut sind, aber für den anderen schlecht.

Gesetzbuch In der Zeit, als das Volk Israel am Berg Sinai stand, hat es die Gebote von G’tt erhalten, und es hat sogar sehen können, was Moses prophezeit hatte. In dieser Zeit haben wir die Tora von G’tt erhalten und erkannt, dass die Tora wertvoller ist als jedes Gesetzbuch, das je von einem Menschen geschrieben wurde. Die Tora bekommt ihre Kraft dadurch, dass sie vom Schöpfer der Welt geschrieben wurde.

Als G’tt uns die Tora gegeben hat, wurden uns die Gesetze, die Gebote, gegeben. Sie weisen uns den Weg, wie wir in der Welt leben sollen. Sie wurden uns vom Schöpfer der Welt gegeben, der die Fähigkeit besitzt, ein harmonisches Regelwerk zu schaffen, das die Beziehung zwischen allen Teilen der Schöpfung herstellt. Das geschieht unter Berücksichtigung jedes einzelnen Geschöpfes und deshalb spüren wir Freude. Die Kraft der Tora ist in ihrer Aktualität für jeden Menschen sichtbar. Es handelt sich nicht um ein Gebots- und Sittenbuch, das zeitlich begrenzt ist und nur in der Steinzeit oder im Mittelalter Bedeutung hatte. Die Tora hat inhaltliche Bedeutung, weil sie das gesamte Dasein umfasst. Bereits im Midrasch steht: »G’tt hatte die Tora angeschaut und erschuf die Welt nach ihr«.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Dortmund und Vorstandsmitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.

Ki Tawo

Von Lego lernen

Die Geschichte des Spielwarenherstellers lehrt uns etwas

von Rabbiner Bryan Weisz  20.09.2024

Talmudisches

Metatron

Was unsere Weisen über den »Minister der Welt«, den Engel des Universums, lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  20.09.2024

Versöhnung

Mehr als nur ein paar Worte

Im Elul sollen wir uns bei unseren Mitmenschen entschuldigen. Aber wie geht das richtig?

von Rabbiner David Kraus  20.09.2024

Rabbiner Yehoyada Amir

»Wir werden geduldig sein«

Der Leiter des neuen Regina Jonas Seminars über die liberale Rabbinerausbildung

von Ayala Goldmann  19.09.2024

Hochschule

»Herausragender Moment für das jüdische Leben in Deutschland«

Unter dem Dach der neuen Nathan Peter Levinson-Stiftung werden künftig liberale und konservative Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet. Bei der Ausbildung jüdischer Geistlicher wird die Uni Potsdam eng mit der Stiftung zusammenarbeiten

von Imanuel Marcus  17.09.2024

Talmudisches

Lügen aus Gefälligkeit

Die Weisen der Antike diskutierten darüber, wann man von der Wahrheit abweichen darf

von Rabbiner Netanel Olhoeft  13.09.2024

Zedaka

Geben, was uns gegeben wurde

Warum man sich im Monat Elul Gedanken über die Motive der eigenen Wohltätigkeit machen sollte

von Rabbiner Raphael Evers  13.09.2024

Ki Teze

»Hüte dich vor allem Bösen«

Was die Tora über ethisch korrektes Verhalten bei Militäreinsätzen lehrt

von Yonatan Amrani  12.09.2024

Berlin

»Ein bewegender Moment«

Am Donnerstag fand in Berlin die feierliche Ordination von zwei Rabbinerinnen sowie sechs Kantorinnen und Kantoren statt. Doch auch der monatelange Streit um die liberale Rabbinatsausbildung in Deutschland lag in der Luft

von Ralf Balke  09.09.2024 Aktualisiert