Ohne viel Aufsehen wurde die deutsche Ausgabe des Koren-Siddurs mit Kommentar und Übersetzung von Rabbi Lord Jonathan Sacks sel. A. (1948–2020) in den deutschsprachigen Markt eingeführt. Das wirkt bescheiden, wird aber der Bedeutsamkeit des Vorhabens nicht gerecht. Die Veröffentlichung knüpft an die Geschichte des Koren-Verlags und des Siddurs aus ebenjenem Haus an.
Werfen wir einen Blick in die Geschichte beider: 1907 wurde in Nürnberg Elijahu Korngold geboren, dort besuchte er die Kunstschule und wanderte 1933 nach Haifa aus. Im Land Israel investierte er viel Zeit und Können in das Design unverwechselbarer Schrifttypen mit hoher Lesbarkeit für die hebräische Sprache. Seine bekannteste Schöpfung aus dem Jahr 1949 ist das Stadtwappen von Jerusalem.
Nachdem er seinen Namen in Koren geändert hatte, veröffentlichte er als Elijahu Koren 1964 einen wegweisenden Tanach in dieser Schrift (ebenfalls Koren genannt). Das Layout war neu, der Text vollständig mit masoretischen Texten abgeglichen und mit extremer Sorgfalt gesetzt. Auch ein Gebetbuch folgte. Dieser Siddur hatte das Ziel, Textwüsten ohne jeden Umbruch und ohne Struktur zu vermeiden. Das Ergebnis war die Visualisierung von Zusammenhängen und eine augenfreundliche Struktur. Die Publikationen des Verlags waren wegweisend, aber nicht überall bekannt.
INTERNATIONAL In den 2000er-Jahren wandte sich der Koren-Verlag auch einem internationalen Markt zu und konnte den britischen Oberrabbiner Jonathan Sacks dafür gewinnen, den Siddur ins Englische zu übersetzen und zu kommentieren. Eine ausführliche Einleitung in die Welt des Gebets wurde hinzugefügt, die eindrücklich zeigt, warum Rabbiner Sacks als einer der einflussreichsten Rabbiner seiner Zeit galt.
Hinzugefügt wurden auch Segenssprüche für die israelische Armee, für Gefangene, Gebetsordnungen für den Unabhängigkeitstag, den Jom Hasikaron (Gedenktag) oder auch für eine Hauseinweihung. Das überbrückt eine Kluft zwischen der Diaspora und dem Land Israel. Für Reisende nach Israel gibt es einen speziellen Teil mit Halachot für diejenigen, die nur zu Besuch sind.
Erfolg und Qualität setzten sich schnell durch. Die Bücher des Verlags, der auch die Steinsaltz-Übersetzung des Talmuds veröffentlichte, verkauften sich gut.
2017 veröffentlichte Koren einen Siddur und Chumasch für die Portugiesische Gemeinde von Amsterdam, die auf eine 400-jährige Tradition zurückblickt und auf der Suche nach einer Möglichkeit war, die Gebete dieser Gemeinschaft in einer würdigen und zeitgemäßen Form zu veröffentlichen. Es entstand eine lokale Version des Siddurs von Koren. Nun ist unter der Aufsicht des Wiener Oberrabbiners Jaron Engelmayer eine deutsche Übersetzung erschienen – und was in Deutschland seine Wurzeln hatte, kehrt zurück.
Erweiterungen Die Übersetzung der Texte von Rabbiner Sacks stammt von Helene Seidler. Leider sind Anpassungen an spezielle Minhagim (Bräuche), wie unterschiedliche Reihenfolgen des »Awinu Malkejnu« des deutschsprachigen Bereichs, nicht berücksichtigt worden, dafür sind die Erweiterungen des Koren-Siddur nun für hiesige Beter verfügbar: Das Gebet zum »Schutz vor dem bösen Auge« von Rabbi Zwi Kaidanover etwa, das 1705 in Frankfurt am Main entstand, kann nun auch in Übersetzung gelesen werden.
Die Übersetzung ist gelungen, an einigen Stellen aber sehr formal und zu nah an einer wortwörtlichen Übertragung. Wo Rabbiner Sacks von einer »Culmination of time« schreibt, wurde »Kulmination« als Übertragung verwendet, statt zum einfacheren »Höhepunkt« zu greifen. »Paragraf« wurde mit Paragraf übertragen, statt das (korrekte) »Absatz« zu nutzen. Der Einband und die Verarbeitung sind hochwertig. Aus ästhetischer und inhaltlicher Perspektive liegt erneut ein Meilenstein von Koren vor.
Koren-Schalem-Siddur, Koren, 1480 S., $ 39,95. Die Ausgabe ist über die Website von Koren erhältlich (korenpub.com). Einfacher und günstiger ist der Siddur über die britische Seite bookdepository.com zu beziehen.
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