Tasria

Ein friedliebender Mensch

Der Talmud nennt drei Gründe für Hautausschlag: üble Nachrede, Überheblichkeit und das Streben nach Geld und Materiellem. Foto: Getty Images

Wajikra, das 3. Buch Mose, enthält einen Großteil der Kult- sowie Priestergesetze, und es bietet auch ein Diagnosehandbuch für den »Priester-Arzt«. Damit liegt unter anderem das älteste Zeugnis für Quarantänebestimmungen und vorbeugen­de Medizin vor, das bisher im Nahen Osten entdeckt wurde.

Im Wochenabschnitt Tasria wird ganz ausführlich der Umgang mit Aussatz (Tsora’at) behandelt. Wir lesen die Anweisung Gottes: »Wenn bei einem Menschen an seiner Haut eine Erhöhung oder ein Ausschlag oder ein weißer Flecken entsteht und zu einer aussätzigen Stelle an der Haut wird, soll man ihn zum Priester Aharon führen« (3. Buch Mose 13,2).

Der Talmud zählt sieben Merkmale auf, anhand derer Aussatz diagnostiziert werden kann. Außerdem nennt er drei Gründe, die einen Hautausschlag bei einem Menschen auslösen können: die üble Nachrede (Laschon Hara), Überheblichkeit und das Streben nach Geld und Materiellem.

VERLEUMDEN Der Kli Jakar, Shlomo Ephraim Luntschitz (1550–1619), bezieht sich in seinen Ausführungen zu diesen Gründen auf Psalm 101, in dem König David den Stolzen und denen, die Böses reden, den Kampf ansagt: »Wer seinen Nächsten heimlich verleumdet, den will ich stumm machen. Wer stolze Augen und ein hochmütiges Herz hat, den will ich nicht dulden« (5). Er lässt anklingen, dass Gott diesen Verhaltensweisen des Menschen stark abgeneigt ist.

Den im 3. Buch Mose 13,2 genannten drei Ausprägungen des Hautausschlags – Schwellung, Schorf und weißer Hautfleck – können die drei Untugenden zugeordnet werden, die sich entsprechend somatisch ausbilden und offenbaren.

Zunächst wird eine Erhöhung, Schwellung oder Geschwulst auf der Haut erwähnt. Das zugrunde liegende hebräische Wort »Seet« steht in Verbindung mit der Bedeutung »Erhabenheit, Hoheit« und führt uns zur Eigenschaft der Überheblichkeit, die sich durch diese Form des Hautausschlags körperlich manifestiert.

diagnose Bei der Diagnose von Schorf oder Grind führt uns das hebräische Wort »Sapa­chat« zur Bedeutung »nebensächlich«. Ein Mensch, der in seinem Leben dem Geld nachjagt, steht in der Gefahr, an diesem Hautausschlag zu erkranken. Materielle Güter, Geld und Besitz machen nicht das Menschsein aus. Sie ergänzen es.

Werden sie aber zum Zentrum eines Lebens erhoben, um das sich alles dreht, wird eine Nebensache zur Hauptsache und macht den Menschen krank. Eine falsche innere Orientierung wächst sich im wahrsten Sinne des Wortes nach außen aus. So ein Mensch lebt gegen seine Bestimmung, Weisheit und innere Stärke zu erlangen. Er vernachlässigt die Ausbildung seiner spirituellen Eigenschaften, die ihm ein festes Fundament in den Stürmen des Lebens geben.

Die dritte Diagnose, »Hautfleck« (Baheret) leitet sich von dem hebräischen Wort »weiß, hell« ab und zeigt sich an einem Menschen, der seinem Nächsten schlecht nachredet und ihn erniedrigt.

BESCHEIDENHEIT Jeder aus dem Volk Israel, der von einer dieser Hautkrankheiten angegriffen ist, soll zu Aharon geführt werden. Warum zu ihm? Was zeichnet ihn aus, außer dass er das Amt des Priesters innehat? Nach allem, was wir von ihm wissen, kann er geradezu als mustergültiges Vorbild gelten. Er lebte ohne einen Anflug von Luxus und trat bescheiden auf.

Im Talmud (Chulin 89) lesen wir: »Bedeutender ist das, was von Mosche und Aharon gesagt wird, als das, was von Awraham gesagt wird. Von Awraham heißt es: Ich bin Erde und Asche. Von Mosche und Aharon aber heißt es: Wir sind nichts.«

Auch von Amts wegen war Aharon eine bescheidene Lebensführung vorgegeben. Als Priester lebte er von den Opfern, Gaben und Spenden, die sich in und durch seinen Dienst ergaben. Am Land Israel hatten die Priester kein Erbteil. So war ihnen die Möglichkeit genommen, selbst etwas zu erwirtschaften, zu spekulieren und Handel zu treiben.

tradition In der Tradition unserer Weisen wird Aharon ausdrücklich als friedliebender Mensch beschrieben. »Hillel sagt: Gehöre zu den Schülern Aharons, Frieden liebend und nach Frieden strebend, die Menschen liebend und sie der Tora näherbringend.«

Rabbiner Simon Bamberger (1871–1961) erklärt dazu: »Man muss in dem Verkehr mit dem Nebenmenschen den Frieden zu erhalten und auch den unter den Nebenmenschen gestörten Frieden wiederherzustellen suchen. Waren zwei Personen miteinander verfeindet, suchte Aharon in der Weise versöhnend einzuwirken, dass er jedem von ihnen sagte, der andere bereue sein Verschulden gegen ihn.

Die Menschen liebend: Man muss alle Menschen ohne Unterschied des Glaubens lieben, denn sie sind Geschöpfe Gottes, ›in dem Ebenbilde Gottes geschaffen‹. Auch dem Sünder gegenüber zeige man sich liebevoll und suche ihn dadurch wieder auf die rechte Bahn zu bringen. Aharons liebevolles Verhalten gegen einen solchen hat in demselben Scham und Reue erweckt und ihn zur Umkehr bewogen.

Und sie der Tora näherbringend: Durch das hier erwähnte Verhalten vermag man in der besten Weise für Verbreitung der Gotteslehre zu wirken, und hierdurch erweist man dem Nebenmenschen die größte Wohltat.«

INNENWELT Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1808–1888) führt zum Abschnitt Tasria aus, dass die Tora Wert auf die innere Welt des Menschen legt. Damit zielt er vor allem auf die Dinge, die außerhalb des Gerichts stehen. Für die Ahndung von Diebstahl, Betrug und Mord ist ein menschliches Gericht zuständig. Aber es steht vollkommen außer seiner Macht, im Zusammenleben der Menschen übles Gerede, Überheblichkeit und Geldgier zu verhindern. Ein Gericht ist nur in der Lage, entstandenen Schaden und begangenes Unrecht zu begrenzen. So wie ein Arzt im Falle der genannten drei Hautausschläge nur in der Lage ist, die Symptome der Krankheit zu behandeln. Aber an ihren inneren Herd und Ursprung kommt er nicht heran.

Für diese innere Welt des Menschen, in der die Entscheidungen über Tugend und Untugend fallen, ist Gott als unser Schöpfer zuständig. Er ist zuerst und vor allem darauf bedacht, dass Liebe und Frieden zwischen ihm und seinen Kindern herrschen.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

INHALT
Der Wochenabschnitt Tasria lehrt die Gesetze für die Wöchnerin und die Dauer der Unreinheit. Für ein männliches Kind wird zudem festgelegt, dass es am achten Tag nach der Geburt beschnitten werden soll. Außerdem übermittelt Tasria Regeln für Aussatz (Tsora’at) an Körper und Kleidung. Es wird detailliert geschildert, wie dieser Aussatz festgestellt werden kann und wie dagegen vorzugehen ist.
3. Buch Mose 12,1 – 13,59

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