Chukkat-Balak

Die Welt verbessern

Tikkun Olam: Gerade in Zeiten von Corona sehen wir, wie wichtig Solidarität und Zusammenhalt sind. Foto: Getty Images / Don Bayley


Grundsätzlich ist die Toralesung ein rabbinisches Gebot. Doch es gibt Ausnahmen. Eine – und darin stimmen eigentlich alle überein – ist die Parascha über Amalek vor Purim, gemäß dem Verständnis von Rosch, Rabbi Ascher ben Jechiel (1250–1327).

Diese Parascha ist Deoraita, also ein Gebot direkt aus der Tora. Viele mittelalterliche Kommentatoren (Rischonim) sehen diese Pflicht aber auch bei einer zweiten Sirdra, Paraschat Para, also nach Purim und vor Pessach. In dieser Parascha geht es um die Para Aduma, die Rote Kuh, von der auch unser Wochenabschnitt berichtet.

Das zeigt die große Bedeutung der Roten Kuh – obwohl wir eigentlich so wenig über sie und die Mizwa in Verbindung mit ihr wissen.

Es steht dazu in der Tora: »G’tt sprach zu Mosche und Aharon: Dies ist ein Grundgesetz der Lehre, das G’tt geboten hat: Sprich zu den Söhnen Israels, dass sie dir eine vollkommen rote Kuh nehmen, an der kein Fehler und auf die kein Joch gekommen ist. Die sollt ihr Elasar, dem Priester, geben, dass er sie hinausführt vor das Lager und man sie vor ihm schlachte. Dann nehme Elasar, der Priester, mit seinem Finger von ihrem Blut und sprenge siebenmal gegen die Front des Stiftszelts. Dann verbrenne man die Kuh vor seinen Augen. Ihre Haut, ihr Fleisch, ihr Blut und ihren Mist verbrenne man. (…) Ein reiner Mann sammele dann die Asche der Kuh auf und lege sie außerhalb des Lagers an einem reinen Ort nieder« (4. Buch Mose 19, 1–5 und Vers 9).

Und dann heißt es: »Für einen Unreinen nehme man Asche von der verbrannten Kuh und gebe fließend Wasser darauf in einem Gefäß. (…) Es sprengt der Reine an den Unreinen (…), und es entsündigt ihn« (19, 17–19).

Tote Worum also geht es bei der Roten Kuh? Jemand, der mit einem Toten in Berührung gekommen ist, ist dadurch unrein geworden im spirituellen Sinne (Tumat Met). Die Asche der geopferten Roten Kuh wird mit Wasser vermischt und auf ihn gesprenkelt.

So weit, so gut, aber: Für alle anderen rituellen Unreinheiten (und wir haben immerhin elf Kategorien in der Tora) genügt das Eintauchen in die Mikwe nach einer bestimmten Zeit. Warum ist das nur hier anders? Und warum brauchen wir eine Rote Kuh dafür?

Selbst Schlomo HaMelech, König Salomon, der für seine Weisheit bekannt war, scheiterte an der Erklärung des Rituals der Roten Kuh. Er sagte: »Ich dachte, ich würde es verstehen, aber ich sehe, dass es weit weg von mir ist« (Kohelet 7,23).

Der Midrasch erklärt, dass damit die Para Aduma gemeint ist (Bamidbar Raba 19,3).

Auch große Rabbiner sind an der Erklärung gescheitert. Laut dem Midrasch Tanchuma konnte sich selbst Rabbi Jo­chanan Ben Sakai nicht genau erklären, was an Toten unrein sein soll und wie gerade die Asche einer Roten Kuh dagegen helfen könnte.

Midrasch Der mittelalterliche Kommentator Raschi (1040–1105) hat eine Erklärung. Er zitiert einen Midrasch, in dem es heißt: »Der Sohn eines Dienstmädchens verunreinigte den Palast eines Königs. Der König sagte: ›Lasst die Mutter kommen und den Dreck wegmachen.‹ In derselben Art und Weise sagte der Ewige: ›Lasst die Rote Kuh kommen und die Verunreinigung des Goldenen Kalbs sauber machen‹« (Bemidbar Raba 19,8).

Es geht also um Tikkun Chet ha-Egel, das Korrigieren der Sünde vom Goldenen Kalb.

Das klingt einleuchtend, aber es gibt ein Problem: Was haben die Sünde des Goldenen Kalbs und die rituelle Unreinheit durch einen Toten miteinander zu tun? Eigentlich nichts.

Traditionelle Quellen geben eine andere Antwort: Es geht um den Tod als Verbindung der beiden Geschichten. Sie verknüpfen die Sünde von Adam und Chawa und der daraus resultierenden Sterblichkeit mit der Sünde vom Goldenen Kalb, in deren Folge wir als Volk die Unsterblichkeit verloren hätten.

Ich persönlich habe da ein Problem, denn ich stimme mit denen überein, die das Essen der Frucht nicht als Sünde betrachten.

Die Sünde des Goldenen Kalbs verbinde ich daher mit zwei anderen Ereignissen: der Flut und der Zerstörung des Tempels. Denn die Sünde ist eben auch der Tod von Gemeinschaften, Zivilisationen.

Wie Rabbiner Samson Raphael Hirsch (1818–1888) erklärte, ist die Gesellschaft zu Noachs Zeiten nicht untergegangen, weil es große und offensichtliche Sünden gab, sondern wegen der Schlechtigkeit (Chamas), die es überall auf der Erde gab, kleinen Sünden und Gemeinheiten, die sich die Menschen gegenseitig antaten, aus mangelnder Liebe und Solidarität zueinander sowie aus Gier und Habsucht.

Der Zweite Tempel wurde nicht zerstört, weil der Tempeldienst nicht funktioniert hätte – ganz im Gegenteil. Sondern er, und damit das jüdische Staatswesen, sind untergegangen wegen Sinat Chinam, grundlosen Hasses.

REPARIEREN Darum geht es mir bei der Roten Kuh um Tikkun (Reparieren). Tikkun Chet ha-Egel (das Reparieren oder Korrigieren der Sünde vom Goldenen Kalb), aber auch ganz grundsätzlich Tikkun.

Die Rote Kuh wird immer in Verbindung gebracht mit der messianischen Zeit und dem Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem. Aber wenn wir das wollen, müssen wir dazu die Voraussetzungen in dieser Welt schaffen. Und dafür haben wir Tikkun Olam, wir müssen also die Welt reparieren und korrigieren, sie zu einem besseren Ort machen.

Gerade in Zeiten von Corona sehen wir, wie wichtig Solidarität und Zusammenhalt sind. Wir müssen Gesellschaften und Gemeinden schaffen, die für die Menschen da sind, in denen sich Menschen füreinander interessieren und einander helfen, in denen wir versuchen, auch die kleinen Sünden zu lassen und uns bemühen, unseren Charakter zu verbessern und die bestmögliche Version unseres Ichs einzubringen. Ohne dies wird es keine messianische Zeit geben – und keine Rote Kuh.

Der Autor ist Mitteleuropa-Direktor des Center for Jewish-Christian Understanding and Cooperation sowie Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland.

inhalt
Der Wochenabschnitt Chukkat berichtet von der Asche der Roten Kuh. Sie beseitigt die Unreinheit bei Menschen, die mit Toten in Berührung gekommen sind. In der »Wildnis von Zin« stirbt Mirjam und wird begraben. Im Volk herrscht Unzufriedenheit, man wünscht sich Wasser. Mosche öffnet daraufhin eine Quelle aus einem Stein – aber nicht auf die Art und Weise, wie der Ewige es geboten hat. Mosche und Aharon erfahren, dass sie deshalb das verheißene Land nicht betreten dürfen. Erneut ist das Volk unzufrieden: Es ist des Mannas überdrüssig, und es fehlt wieder an Wasser. Doch nach der Bestrafung bereut das Volk, und es zieht gegen die Amoriter und die Bewohner Baschans in den Krieg und erobert das Land.
4. Buch Mose 19,1 – 22,1

Der Wochenabschnitt Balak hat seinen Namen von einem moabitischen König. Dieser fürchtet die Israeliten und beauftragt den Propheten Bileam, das Volk Israel zu verfluchen. Doch Bileam segnet es und prophezeit, dass dessen Feinde fallen werden.
4. Buch Mose 22,2 – 25,9

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