Rabbiner Lengyel, Sie nehmen am 19. Januar an der ersten Online-Veranstaltung von »#beziehungsweise: jüdisch und christlich« unter dem Motto »Im Anfang war das Wort – B’reschit beziehungsweise Im Anfang« teil. Ist das etwas Besonderes, über den Beginn der Tora nicht an Simchat Tora, sondern im Januar zu sprechen?
Der Schwerpunkt der Kampagne liegt darauf, dass Christen mehr über das Judentum erfahren sollen. Ich wurde gebeten, mich zum Start an dem ersten Gespräch in Hannover zu beteiligen, und habe sofort zugesagt. Ich bin seit 40 Jahren im jüdisch-christlichen Dialog engagiert, und ich mache das sehr gerne.
Worüber wollen Sie sprechen?
Ich mache keine Toraauslegung im klassischen Sinne, sondern ich werde inhaltlich auf das ganze Buch Bereschit, also das 1. Buch Mose, eingehen – vor allem auf unsere Urväter und Urmütter. Ich denke, die Hauptinhalte sind bekannt, aber ich werde sicherlich ein paar Worte über die Prüfungen von Awraham aus jüdischer Sicht verlieren, wie etwa die Bindung Jizchaks oder typische Brüderstreitigkeiten. Ich werde auch auf den Unterschied zwischen dem hebräischen Begriff »Bereschit« und dem griechischen Wort »Genesis« für das 1. Buch Mose eingehen. Und ich denke daran, auch Raschi zu zitieren, der fragt, warum die Tora nicht sofort mit den Weisungen und den Gesetzen beginnt. Raschi sagt: Die Tora wollte dem jüdischen Volk eine Begründung geben, wer wir sind, woher wir kommen und warum wir eines Tages ins verheißene Land zurückkehren werden. Juden ringen bis heute mit ihren eigenen Quellen, und auch darüber spreche ich oft im jüdisch-christlichen Dialog. Es heißt ja, die Tora hat 70 Gesichter, und ich möchte so viele wie möglich zeigen.
Sie wurden am 13. Januar 1941 in Ungarn in eine orthodoxe Familie hineingeboren – und wurden in einer orthodoxen Synagoge Barmizwa. Das heißt, Sie kennen selbst unterschiedliche Gesichter der Tora?
Ja, ich kenne auch die orthodoxe Seite sehr gut. Und ungeachtet der Entwicklung des liberalen Judentums vor circa 200 Jahren müssen wir wertschätzen, dass die Orthodoxie das Judentum für uns bewahrt hat. Ich bin in gutem Kontakt mit meinen orthodoxen Kollegen. Mein Vorbild in Israel ist Rabbiner Binyamin Lau von der Rambam-Synagoge in Jerusalem, ein modern-orthodoxer Rabbiner, der kreativ ist und über den Dingen steht. Ich selbst bezeichne mich als konservativ-liberalen Rabbiner. Und überhaupt kommt es im Judentum weniger auf die Kategorie an als auf das, was jemand tut.
Der geplante Empfang zu Ihrem 80. Geburtstag in der Villa Seligmann in Hannover musste wegen der Pandemie abgesagt werden. Wie kommen Sie sonst durch die Corona-Zeit?
Gott sei Dank bin ich gesund. Ich lebe in der Nähe des Maschsees, ich gehe regelmäßig spazieren und fahre Fahrrad. Kontakte schränken wir ein, meine Kinder und Enkel sehe ich selten. Und davon abgesehen weiß ich, dass es jetzt darauf ankommt, weniger zu predigen, sondern sich menschlich zu beweisen. Mit Jesaja-Zitaten erreiche ich in diesen Zeiten nicht alle.
Wollen Sie sich gleich nach Ihrem 80. Geburtstag gegen Corona impfen lassen?
Ja, ich habe mich schon bei der Hotline gemeldet, aber es hieß, es gebe noch zu wenig Impfstoff, und ich solle mich Ende Januar wieder melden. Das werde ich natürlich tun. Denn wie heißt es im Judentum bei jedem Geburtstag? Bis 120!
Mit dem liberalen Rabbiner in Hannover und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK) sprach Ayala Goldmann.