Gleich auf die ernsten und kräftezehrenden Hohen Feiertage folgt das fröhliche Laubhüttenfest Sukkot. Eigentlich scheint dieses Fest sehr einfach zu sein: Man sitzt, trinkt oder schläft in der Laubhütte und erfüllt dabei eines der 613 Gebote der Tora! Doch um diese an sich leichte Mizwa zu erfüllen und Sukkot richtig zu genießen, muss diese Laubhütte zuerst gebaut werden. Und das ist nicht so einfach, wie mancher vielleicht denkt.
Interessanterweise kommt das Wort Sukkot ganz am Anfang der Tora im Buch Bereschit, dem 1. Buch Mose, vor – in der Erzählung über das Leben unseres Vorvaters Jakow (33,17): »Und Jakow brach auf nach Sukkot und baute sich ein Haus, und seiner Herde machte er Hütten; daher nannte man den Namen des Ortes Sukkot.« Auf den ersten Blick scheint es keine Verbindung zwischen unserem Fest und der Wirtschaft von Jakow zu geben. Doch unsere Weisen betonen immer wieder, dass alles, was unsere Vorväter getan haben, das Leben aller Juden in allen Generationen ermöglicht hat.
Eigentlich, erklären unsere Weisen die Stelle, wäre für uns die Information, was Jakow mit seinem Vieh gemacht hat, völlig irrelevant. Jedoch betont die Tora, wie aufmerksam Jakow war, sogar wenn es »nur« um Vieh ging: Er machte sich die Mühe, für seine Herden bestmögliche Bedingungen zu schaffen. Deshalb, bemerken unsere Weisen, haben wir dank Jakow ein zusätzliches Fest, nämlich Sukkot, bekommen.
WOLKEN Doch das Gebot, in der Sukka zu sitzen, hat laut der Tora einen anderen Hintergrund: »In Hütten sollt ihr wohnen sieben Tage; alle, die in Israel einheimisch sind, sollen wohnen in Hütten. Damit es eure Nachkommen erfahren, dass Ich in Hütten habe wohnen lassen die Kinder Jisrael, da Ich sie herausgeführt aus dem Land Mizrajim« (3. Buch Mose 23, 42–43). Wenn man diese Begründung liest, stellt sich natürlich die Frage, in welchen Hütten Juden damals gesessen haben.
Die Vorschriften für den Bau werden im Talmud und im Schulchan Aruch beschrieben.
Und wenn es Laubhütten waren, wo haben Juden in der Wüste Laub gefunden? Auch wenn der berühmte Rabbi Akiva meint, es seien hölzerne Hütten gewesen, hält die Mehrheit der Weisen an der Ansicht fest, dass es um die Wolken des Ruhmes (»Ananej haKawos«) geht. Diese Wolken haben die Israeliten während der ganzen Zeit der Wüstenwanderung begleitet und vor allen Gefahren beschützt.
Doch auch wenn wir nicht genau wissen, in welchen Sukkot unsere Vorfahren beim Auszug aus Ägypten gesessen haben, wissen wir ganz genau, wie unsere Laubhütten für das Fest sein sollen. Die zahlreichen Vorschriften dieses provisorischen Baus sind ausführlich in Traktat Sukka des Talmuds und im Gesetzeskodex Schulchan Aruch (Orach Chaim § 625-641) beschrieben.
DACH So wäre zum Beispiel, sollte man noch eine intakte Sukka vom letzten Jahr im Hof stehen haben, eine weitere Nutzung im aktuellen Jahr nicht ohne Weiteres erlaubt: Man solle das Dach der Sukka (S’chach) schütteln, um diese Laubhütte für diese Nutzung neu »gemacht« zu haben.
Hat man keine Sukka, so muss man sie erst einmal bauen. Und dafür muss zuerst der richtige Platz gefunden werden. Es sollen nämlich keine fremden Gegenstände, wie Balkone oder Baumäste, die Sukka überdecken. Ist ein Teil der Sukka überdeckt, darf nur der unbedeckte Teil der Sukka für das Feiern benutzt werden (vorausgesetzt, die Maße des unbedeckten Teils stimmen).
Bambusmatten aus dem Baumarkt können das Laub ersetzen.
In Israel kann man oft sehen, dass die Balkone an den Gebäuden versetzt angebracht sind, sodass jeder Hausbewohner seine eigene Sukka auf dem Balkon aufstellen kann. In der Diaspora ist es hingegen sehr schwierig, einen Platz für seine Sukka zu finden. Wenn man keinen eigenen Garten hat, ist man oft auf die Sukka in der Gemeinde angewiesen.
MATERIAL Hat man mit Glück doch einen passenden Ort für eine Sukka gefunden, stellt sich die Frage, welche Materialien man für den Bau benötigt. Für mindestens drei Wände kann alles Mögliche verwendet werden; die Hauptsache ist, dass sie bei normalem Wind stehen bleiben. Für das S’chach (Dach) sind die Materialien extrem wichtig, denn das S’chach ist im Grunde das Wichtigste an der Sukka. Man darf dafür nur das verwenden, was aus der Erde wächst und was keine rituelle Unreinheit empfangen kann.
Früher hat man oft einfach Baumzweige genommen, was aber nicht gut funktioniert: Die Blätter trocknen aus und fallen herunter. Das kann zu einem ernsthaften Problem führen: Das Dach wird so grobmaschig, dass mehr Sonne in der Sukka ist als Schatten. Und das würde die Sukka unkoscher machen.
Heutzutage gibt es aber eine sehr gute und praktische Lösung: eine oder mehrere Bambusmatten, die man in jedem Baumarkt finden kann. Man rollt sie einfach über dem Gerüst der Sukka aus, befestigt sie mit den Plastikringen, und die Laubhütte ist (auch ohne Laub) fertig.
zeitpunkt Hat man alle Werkstoffe parat, sollte man entscheiden, wann man mit dem Bau beginnt. Auch hier schlagen unsere Weisen einen idealen Zeitpunkt vor. Gleich an zwei (!) Stellen (sowohl am Ende der Gesetze für Jom Kippur als auch am Anfang der Gesetze für die Sukka) bemerkt Ramo (Rabbi Mosche Isserles) im Schulchan Aruch, dass man mit dem Sukka-Bau gleich nach Jom Kippur beginnen soll.
Die Logik dahinter: Nachdem wir eine Mizwa beendet haben, beginnen wir sofort mit einer neuen guten Tat. Wenn man jedoch weiß, dass man nach Jom Kippur wenig Zeit haben wird, kann man natürlich auch früher mit dem Bau beginnen – das Ziel ist ja, bis zum Feiertagsbeginn eine fertige und eingerichtete Sukka zu haben.
Beim Bau sollen auch die Maße beachtet werden, was jedoch für eine normale Sukka kein Problem darstellen sollte: Nur sehr hohe (über zehn Meter) und sehr kleine Sukkot sind nicht koscher. In der Fläche kann die Hütte beliebig groß sein. Unsere Weisen sagen, dass, wenn der Maschiach kommt, alle Juden unter der Sukka zusammensitzen werden.
Da Sukkot in diesem Jahr recht früh stattfindet, ist es abends vielleicht noch angenehm warm.
maschiach Wenn jedoch der Maschiach bis Sukkot nicht kommen sollte, werden wir am Abend zum 15. Tischri (in diesem Jahr der 20. September) wieder einmal aus unseren bequemen Wohnungen hinausgehen und auch hier in Deutschland in liebevoll gebauten und eingerichteten Laubhütten sitzen, essen und singen.
Da Sukkot in diesem Jahr in der zweiten Septemberhälfte und damit recht früh stattfindet, wird es vermutlich noch angenehm warm sein, sodass wir den Aufenthalt dort sogar abends, auch nach späten Abendgebeten, genießen können.
Und da bekanntlich das Infektionsrisiko an der frischen Luft minimal ist, darf man wohl sogar ein paar Gäste einladen. Denn unsere Weisen sagen, dass derjenige, der eine Mizwa erfüllt, nicht geschädigt wird. Deshalb kann man hoffen, dass in einer koscheren Sukka und beim Erfüllen der Mizwa der Gastfreundschaft niemand angesteckt wird.
FESTSTRAUSS Doch in diesen Corona-Zeiten muss man an Sukkot auch ohne Gäste noch einiges beachten, wie zum Beispiel das Lulav-Schütteln. Der Feststrauß Lulav, den man an Sukkot idealerweise in der Laubhütte schüttelt, wird erstmals in der Tora erwähnt: »Am ersten Tag sollt ihr eine schöne Baumfrucht (Etrog-Zitrusfrucht), Palmblätter, Myrtenzweige und Bachweidenzweige nehmen« (3. Buch Mose 23,40).
Eigentlich sollte jeder Mann sein eigenes »Vier Arten«-Set besitzen und jeden Tag während des Festes (außer am Schabbat) schütteln. Jedoch ist der Brauch entstanden, dass nicht nur Männer, sondern auch Frauen die Arba Minim gern schütteln, da auch sie diese schöne Mizwa erfüllen möchten.
Deshalb wäre es für alle, die fremden Lulav schütteln möchten, sinnvoll, davor und danach die Hände zu desinfizieren, um auch das letzte, noch so geringe Infektionsrisiko zu vermeiden.
Doch wenn wir vorsichtig sind und den Infektionsschutz beachten, können wir auch alle unsere Probleme vergessen und nur fröhlich sein, wie es in der Tora steht: »Wesamachta beChagecha« – und sei fröhlich an deinen Feiertagen!
Der Autor ist Rabbiner der jüdischen Gemeinden zu Halle und Dessau und Mitglied der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD).