Es war wie eine große Übernachtungsparty!» An die lange Schawuot-Nacht in seiner Berliner Synagoge hat Joshi (11) nur gute Erinnerungen. Man nennt diese Nacht auf Hebräisch «Tikkun Leil Schawuot», das heißt auf Deutsch so ungefähr: «Etwas besser machen in der Nacht von Schawuot».
Viele Erwachsene lernen und diskutieren dabei (an diesem Samstagabend) über jüdische Texte, aber auch die Kinder haben ihren Spaß: «Mit dem Gottesdienst hatten wir nie wirklich viel zu tun. Die Eltern waren halt drin. Wir mussten am Abend mal rein», erinnert sich Joshi an Erew Schawuot, den Abend des Festes.
Spiele Für die Jüngeren gab es einen eigenen Kindergottesdienst, «da haben wir über Schawuot geredet und wie wir das so finden, und welche Traditionen wir haben. Aber wir waren eher auf Spielen und Rumrennen aus», gibt Joshi freimütig zu. Ansonsten hätten die Kinder «mal kurz geguckt, was die Eltern im Gottesdienst so machen. Aber auch nicht lange», erzählt der Elfjährige.
Joshis Eltern sind Beter in der Synagoge Oranienburger Straße in Berlin. In der langen Nacht vor Schawuot, daran erinnert sich Joshi noch genau, gab es für die Kinder eine nächtliche Führung durch das Gotteshaus – und als Höhepunkt eine Schatzsuche. «Der Schatz war in einer Truhe», weiß Joshi.
Geschwister Auch Yardena (11), die gemeinsam mit Joshi eine jüdische Schule in Berlin besucht, erinnert sich gut an das nächtliche Programm. «Wir durften länger aufbleiben, wir haben viele Spiele gemacht, und wir haben einen Schatz gesucht», sagt Yardena. Ihre kleineren Geschwister übernachteten mit ihr zusammen in der Synagoge.
Außer den Eltern hat sich auch die große Schwester um sie gekümmert: «Ich habe das ein bisschen mitgeregelt», sagt Yardena. Über Schawuot weiß sie: «Wir haben die Tora bekommen, und das ist sehr wichtig!»
Isomatten Yardena hofft, dass ihre Familie am Samstagabend wieder zur Tikkun-Nacht kommt. Für die Erwachsenen stehen Schiurim auf dem Programm – bis zum Morgengebet um 4.13 Uhr, während die Kinder sich in Schlafsäcken und auf Isomatten ausruhen. Joshi ist sich jetzt schon sicher: «Wir gehen hin. Ich freue mich schon!», sagt er.
Diesmal will der Elfjährige länger beim Gottesdienst dabei sein, «weil ich ein Jahr jünger bin als meine Freunde, die schon bald Barmizwa machen, und die gehen hin.» Am Gottesdienst teilzunehmen, findet Joshi, ist «sehr vorteilhaft beim Bibelunterricht» in der Schule.
Auch Shir (14) freut sich schon auf die lange Schawuot-Nacht. In der Synagoge der Jüdischen Gemeinde in Dortmund, wo ihr Vater als Rabbiner arbeitet, gibt es zwar keine Übernachtungsparty für die Kinder. Doch das Programm klingt nicht weniger interessant: «Am Abend gibt es ein Gebet, dann ein oder zwei Schiurim (Vorträge), dann gibt es eine milchige Mahlzeit, dann noch mehr Schiurim. Es geht um Texte aus der Tora, um Halacha, um den Schabbat. Um zwei Uhr morgens bekommen alle Eis», sagt Shir.
Kinderwagen Die eher traditionellen Familien bleiben bis zum frühen Morgen und lassen ihre kleinen Kinder im Kinderwagen schlafen, sagt sie. Familien mit älteren Kindern gehen gegen zehn Uhr nach Hause: «Wir fangen abends mit 70 bis 100 Leuten an. Um zwei Uhr morgens sind dann noch etwa 20 Leute da – der harte Kern.» Ab vier Uhr morgens, genau wie in Berlin, beginnt dann das Morgengebet, das man auf Hebräisch Schacharit nennt. Und am ersten Tag von Schawuot gibt es eine große Eiscreme-Party für alle.
Seitdem sie zehn Jahre alt ist, hält Shir durch bis zum Schluss: «Ich bin sehr wach, und ich mag es, so lange aufzubleiben. Es macht Spaß, und es ist eine tolle Atmosphäre. Meistens kommen auch ein bis zwei Freundinnen von mir. Wenn der Schiur nicht für unser Alter geeignet ist, dann gehen wir so lange nach draußen und machen etwas anderes.» Auch dieses Jahr will sie wieder bis zum Morgen in der Synagoge bleiben, «aber die kleineren Geschwister gehen nach dem Essen nach Hause», sagt die 14-Jährige.
Jeschiwa Für Shirs Bruder Amiad dagegen hat bereits der Ernst des Lebens begonnen – er ist 15 Jahre alt und besucht eine religiöse Schule in Jerusalem. Auch Amiad hat sich auf Schawuot vorbereitet – es wird seine erste Tikkun-Nacht in der Jeschiwa. 30 Schüler aus Amiads Klasse werden dabei sein, und insgesamt 300 Schüler aus der gesamten Jeschiwa.
«Wir lernen vier Blätter aus der Gemara zu ›Masechet Brachot‹», sagt Amiad. Die Gemara ist der aramäische Text des Talmuds. Er dreht sich um einen hebräischen Text, den man Mischna nennt. Und in «Masechet Brachot», einem Kapitel der Mischna, geht es unter Anderem um Segenssprüche.
Klingt alles ein bisschen anstrengend, aber der 15-Jährige findet: «Das macht Spaß, weil wir nicht unter Druck sind. Wir können uns die ganze Nacht unterhalten und dem Rabbi auch Fragen stellen.»