Ha'Asinu

Die Kraft der Musik

Foto: Getty Images

Im Wochenabschnitt Ha’asinu beweist sich Mosche als begabter Sänger. Er trägt dem Volk in einem Lied die bisherige Geschichte vor und unterrichtet die Israeliten zugleich. Er wendet sich an Himmel und Erde und ruft sie zu Zeugen auf, weil sie die Generationen überdauern. Er weist mit Nachdruck auf die Bedeutung des Bundes hin. Wenn das Volk ihn hält, wird das Land fruchtbar sein, und der Himmel wird seinen Tau auf die Erde geben. Hält es die Gebote nicht, wird Gott dem Volk seine Gaben versagen.

Im Buch Jehoschua lesen wir, dass die Kinder Israels den Jordan überschritten und das Land eingenommen haben. Mosches Nachfolger schließt ebenfalls zum Ende seiner Amtszeit einen Bund für das Volk. In ihm erneuert er die Verpflichtung der Israeliten, sich von jedem Götzendienst fernzuhalten und allein dem Gott Awrahams, Jizchaks und Jakows zu dienen. Damit nimmt Jehoschua dem Volk die Möglichkeit, sich in Zukunft mit dem Argument herausreden zu können: Wir haben nur mit Mosche einen Bund geschlossen, der uns den Zutritt ins Land gewährte, darüber hinaus jedoch hat er für uns keine verpflichtende Bedeutung.

Verpflichtung der Israeliten, sich von jedem Götzendienst fernzuhalten und allein dem Gott Awrahams, Jizchaks und Jakows zu dienen

Wir finden im Tanach neben dem Lied Mosches acht weitere bedeutende Lieder, die in verschiedenen Situationen gesungen wurden. Die Kraft der Musik kann eine bedrückte Seele wieder erheben. So erzählt sie von Schaul, dem ersten König Israels, der in seinen depressiven Verstimmungen durch das Harfenspiel Davids Linderung erfuhr (1. Schmuel 16). Der Überlieferung nach gilt David als Verfasser vieler Psalmen und als Kantor der jüdischen Liturgie. Im zweiten Buch der Könige wird berichtet, dass der Prophet Elischa einen Saitenspieler rufen ließ, damit er ein Wort des Ewigen empfangen könne (3,15). Es ist auch bekannt, dass die Leviten im Tempel sangen und verschiedene Musikinstrumente spielten. So ist es bis heute geblieben. Wenn wir beten, lesen wir einen Text nicht einfach vor, sondern wir singen ihn. Genauso verhält es sich beim Studium des Talmuds oder anderer jüdischer theologischer Literatur: Die Texte werden rezitiert.

Allen Gottesdienstzeiten wie Schacharit, Mincha und Maariw sind bestimmte Melodien zugeordnet. Auch die Rezitation der Texte zu den drei Wallfahrtsfesten, den Schabbatot, den Hohen Feiertagen, den Tora-Lesungen, der Haftara und den fünf Rollen geschieht nach speziellen Melodien.

Der Musik wohnt eine besondere Kraft inne, Gefühle in unserem Inneren zu erwecken. So geschieht es, wenn das Kol Nidre am Abend Jom Kippur einleitet. Wenn es in der Synagoge angestimmt wird, geht es einem durch Mark und Bein. Dann wird deutlich: Die Musik offenbart das Allerheiligste der jüdischen Seele im Gebet und beim Lernen.

Himmel und Erde werden erzählen, dass die wahre Freude davon abhängt, die Tora einzuhalten

Himmel und Erde werden nicht nur bezeugen, was Mosche den Kindern Israels zu sagen hat. Sie werden davon erzählen, dass die wahre Freude davon abhängt, die Tora einzuhalten. Es heißt nicht umsonst: Vom Himmel hat Gott seine Stimme hören lassen, hat er die Mizwot des Schaltjahres, der Monatsangaben und der gesamten Schöpfungsordnung kundgetan.

Mosche geht es um die Einbindung des ganzen Menschen in den Willen Gottes, mit seinem Körper und seiner Seele, zwischen Himmel und Erde. So wird der Seele, der geistigen Natur des Menschen, die Möglichkeit genommen, von sich zu behaupten, sie könne per se nicht sündigen, weil sie ja Gott im Himmel nahe ist. Nur der Körper sei den Trieben und Versuchungen ausgesetzt, die von der Materie ausgehen. Der Himmel wird jedoch unbestechlich auch gegen die Seele zeugen. Sie ist ihm in der Tat nahe, wie es in der Kabbala mithilfe der Gematria zum Ausdruck gebracht wird: Die Zahlenwerte der hebräischen Worte für Himmel (Schamajim) und Seele (Neschama) entsprechen einander.

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Bamberg und Mitglied der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

INHALT
Der Wochenabschnitt Paraschat Ha’Asinu gibt zu einem großen Teil das »Lied Mosches« wieder. Darin fordert Mosche die Israeliten auf, sich an den Werdegang der Nation und an ihre Vorfahren zu erinnern, die den Bund mit Gott geschlossen haben. Das Lied erzählt von der Macht Gottes und wie sie sich in der Geschichte der Welt gezeigt hat. Im weiteren Verlauf der Parascha spricht Gott zu Mosche und fordert ihn auf, auf den Berg Newo zu kommen. Von dort soll er auf das Land Israel schauen – betreten aber darf er es nicht.
5. Buch Mose 32, 1–52

Mizwot

613 Kerne, 613 Chancen

Mosche Sofer schrieb im 18. Jahrhundert, dass der Granatapfel genauso viele Kerne enthält, wie die Tora Gebote und Verbote zählt. Hier stellen wir acht vor, die Sie im neuen Jahr ausprobieren können

von Rabbiner Dovid Gernetz  02.10.2024

Rosch Haschana

Es beeinflusst unser Schicksal, wie wir den Neujahrstag begehen

Ein Gastbeitrag von Rabbiner Elischa Portnoy

von Rabbiner Elischa Portnoy  02.10.2024

Israel

David Josef zum neuen sephardischen Oberrabbiner Israels gewählt

Bei der Wahl des aschkenasischen Konterparts kam es hingegen zu einem Patt

 30.09.2024

Familie

»Mein Mann und ich hatten das Gefühl zu versagen«

Seit Jahrtausenden ist es ein jüdisches Ideal, viele Kinder zu bekommen. Doch schon die Tora berichtet, wie kompliziert der Weg dahin sein kann. Hier erzählen zwei Frauen ihre Geschichte

von Mascha Malburg  29.09.2024

Nizawim-Wajelech

Einer für alle

Die Tora lehrt, dass jeder Einzelne Verantwortung für das gesamte Volk trägt

von Yaakov Nektalov  26.09.2024

Antisemitismus-Forschung

Wie Europa im Mittelalter antisemitisch wurde

Donald Trump hat ausgerechnet bei einem Event gegen Antisemitismus angedeutet, die Juden seien schuld, wenn er die Wahl verliere. Was hat Antisemitismus von heute mit dem Mittelalter zu tun?

von Christiane Laudage  24.09.2024

Jüdische Kulturtage

Festzug durch Berlin-Mitte

In einer feierlichen Zeremonie wurde eine neue Torarolle mit den Namen der 1200 israelischen Opfer vom 7. Oktober vollendet

 26.09.2024 Aktualisiert

Interview

»Diese Tora ist ein Zeichen, dass wir überlebt haben«

Micha Mark Farnadi-Jerusalmi über das Schreiben religiöser Texte und den Beruf des Sofers

von Mascha Malburg  22.09.2024

Israel

Töne aus dem Widderhorn

Avi Mischan stellt in einem Gewerbegebiet in Rischon LeZion in fünfter Generation Schofarot her

von Andrea Krogmann  22.09.2024