Es mag überraschen, einige der großen Persönlichkeiten der Antike im Talmud zu treffen. So lesen wir in Sanhedrin 90b von einem kurzen Gespräch zwischen der berühmten ägyptischen Königin Kleopatra und Rabbi Meir, einem der größten Gelehrten seiner Zeit.
In dieser Unterhaltung sagt Kleopatra zu Rabbi Meir: »Ich weiß, dass es eine Auferstehung der Toten gibt, denn dies steht in den Psalmen: ›Es wird reichlich Getreide geben in der Erde, auf dem Gipfel der Berge; gleich dem Libanon wird erbeben seine Frucht; und die Stadt Jerusalem wird aufblühen wie das Gras auf Erden‹« (72,16).
»Aber«, fährt Kleopatra fort, »werden die Toten, wenn sie auferstehen, nackt oder bekleidet sein?«
Rabbi Meir antwortet: »Lerne von dem Samen des Weizens, der ohne seine Hülle im Boden vergraben ist, aber wenn er hervorsprießt, ist er mit vielen Schalen umhüllt. Umso mehr werden die Gerechten, die man mit ihren Kleidern begräbt, selbstverständlich in ihren Gewändern auferstehen.«
Allegorie Man mag sich fragen, warum Kleopatra so besorgt über diesen Aspekt war. Glaubte sie so fest an die Auferstehung, dass sie Fragen zu Details stellen musste? Und warum zitierte sie ausgerechnet diesen Psalm? Es stellt sich auch die Frage, warum Rabbi Meir ihr mit einer Allegorie über Weizen antwortete und nicht direkt Auskunft gab. Was soll Kleopatra aus seiner Antwort lernen?
Der Talmud enthält niemals nur interessante Aussagen, um uns zu beeindrucken. Vielmehr muss sich aus all dem eine Lehre ziehen lassen, die für uns gelten soll. Wie steht es in diesem Fall darum?
Um diese Fragen zu beantworten, sollten wir zunächst einen Blick in die Geschichte werfen. Kleopatra war Königin von Ägypten. Sie hatte den Thron als junges Mädchen geerbt und wurde zu einer mächtigen Herrscherin, die von einem Weltreich träumte. Nach dem Tod ihres Geliebten Caesar wurde sie Herrscherin von Ägypten. Außerdem war sie später die Geliebte des römischen Feldherrn Marcus Antonius. Sie betrachtete sich als die neue Isis, die ägyptische Göttin der Geburt, der Wiedergeburt, aber auch des Todes. Nachdem Marcus Antonius sich in sein Schwert gestürzt hatte, nahmen ihre Feinde sie gefangen, und auch sie beging Selbstmord.
Pyramiden Wir wissen, dass die ägyptischen Könige nicht nur mit all ihren Reichtümern beerdigt wurden, sondern auch mit ihren Dienern. Die großen Pyramiden waren die Grabkammern der Herrscher Ägyptens. In ihnen fand man viele Schätze, Vorräte und Knochenreste der Bediensteten, die zusammen mit den Herrschern begraben wurden, um den toten Machthabern auch im Jenseits gebührend dienen zu können.
Wir sehen, dass die antiken Völker an eine kommende Welt glaubten. Doch war das Konzept ein anderes als im Judentum. Kleopatra zweifelte nicht an der Auferstehung, sondern interessierte sich vor allem dafür, wie sie vonstattengehen wird.
Die Königin war mit ihren Eitelkeiten beschäftigt. So zitiert sie das Psalmwort, das sich auf den Wiederaufbau Jerusalems bezieht, in der Erwartung, dass auch die große ägyptische Stadt Alexandria wiederaufgebaut wird und sie, Kleopatra, nach der Auferstehung wieder regieren kann. Doch ihre größte Sorge ist, dass sie möglicherweise unbekleidet ins Leben zurückkehrt. Einer Frau wie Kleopatra erschien dies äußerst unangenehm.
Doch was sie sich unter der Auferstehung vorstellte, entspricht nicht dem jüdischen Verständnis. Wir glauben nicht, dass der Zweck der Auferstehung darin besteht, unser irdisches Leben so fortzusetzen, wie wir es im Diesseits erleben. Vielmehr geht es uns darum, ein größeres Verständnis des einen, wahren G’ttes zu erlangen, eine größere Nähe zu Ihm zu erreichen, und nicht darum, unsere rein materielle Existenz fortzuführen.