Herr Rabbiner Folger, Sie waren mit einer Delegation der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland im Vatikan – und haben einen Streit mit Benedikt XVI. beigelegt. Welche Meinungsverschiedenheit hatten Sie mit dem emeritierten Papst?
Im Sommer 2018 hat Benedikt XVI. einen Text in der katholischen Zeitschrift »Communio« veröffentlicht – eine Reaktion auf das Dokument »Denn unwiderruflich sind Gnade und Berufung, die Gott gewährt« der päpstlichen Kommission für die Beziehungen zum Judentum von 2015. Darin gab es nicht nur eine Absage an die Judenmission, sondern die Kirche sagt ganz klar, dass der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk nicht gekündigt wurde und ewig ist.
Und Benedikt XVI. beschrieb das anders?
Die Kirche hat damit ein internes theologisches Problem. Denn es ist christliche Doktrin, dass es nur einen Weg zum Heil gibt: An Jesus kommt man nicht vorbei. Benedikt hat in seiner Schrift zur alten These der Kirche Stellung genommen, sie sei das »neue Israel« – also zur Substitutionstheorie. Er schrieb, dies sei falsch und nie die offizielle Position der Kirche gewesen.
Sie wiederum haben in der Jüdischen Allgemeinen geschrieben, diese Aussage sei verletzend für Juden. Warum?
Ich begrüße, dass Benedikt XVI. die Substitutionstheorie als falsch bezeichnet. Aber ich habe ein Problem, wenn er sagt, es habe sie nie gegeben. Denn auf Grundlage dieser Theorie wurde Juden jahrhundertelang von Christen großes Leid zugefügt.
Ist Benedikt XVI. in dem Gespräch von seiner Position abgerückt?
Sowohl Kurienkardinal Kurt Koch als auch Benedikt XVI. haben eingestanden, dass sich im Verlauf der Geschichte tatsächlich sehr viele Vertreter der Kirche um diese falsche Theologie geschart haben. Ich habe angemahnt, dass sie das laut verkünden.
Was haben Sie noch erreicht?
Benedikt XVI. hatte einen ersten Schritt schon in seinem persönlichen Schreiben an mich getan: Er hält fest, dass der Staat Israel ein säkularer Staat ist und die Kirche ihn nicht als Erfüllung der Landverheißung sehen kann, sieht ihn aber als Zeichen des fortdauernden Bundes Gottes mit den Juden. Ähnliche Gedanken wurden in der Kirche von bestimmten Kreisen zuvor blockiert.
Von wem?
Von Leuten, die befürchten, dass es diplomatisch falsch interpretiert wird. Nun hat Kardinal Koch ein internationales katholisch-jüdisches Treffen zu Israel vorgeschlagen.
Sind Sie mit dem Gespräch zufrieden?
Ja. Denn die Substitutionstheorie wirft heute noch Schatten: in der Delegitimation sowohl Israels als auch jüdischer Bräuche in Europa – wie Brit Mila und Schechita. Wir brauchen die Kirche im Kampf für unsere Religionsfreiheit. Und die Kirche hat zugesagt, uns dabei zu unterstützen.
Mit dem Wiener Oberrabbiner sprach Ayala Goldmann.