Frau Klapheck, Sie sind neue Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK). Hatten Sie mit dieser Wahl gerechnet?
Es hat etwas gedauert, bis ich mich zur Kandidatur durchgerungen hatte. Aber dann wollte ich mitwirken, einen Vorstand zu bilden, der in einer Situation des Übergangs die Kräfte zusammenbringt. Die Homolka-Ära muss jetzt wirklich vorbei sein, und das muss auch personell deutlich werden. Ich denke, die ARK brauchte ein neues Zeichen, um den nötigen Wandel in die Wege zu leiten. Wir müssen das Thema Machtmissbrauch aufarbeiten und verstehen, wie es zu so einem System kommen konnte – aber nicht, indem wir die Zerwürfnisse vertiefen und noch mehr Schmerz erzeugen. Dafür verwende ich das Wort Teschuwa, Umkehr. Diejenigen, die zu Homolkas Anhängern gehörten, sollen verstehen, wie sie zu einem Teil dieses Systems werden konnten, aber dass dieses System aufhören muss, damit wir jetzt gemeinsam vorankommen können.
Der neue Vorstand steht für Wandel, aber auch für Kontinuität. Ihr erster Stellvertreter ist der frühere ARK-Vorsitzende Rabbiner Andreas Nachama, zweiter Stellvertreter der neue Militärrabbiner Nils Ederberg.
Kontinuität ist für mich ein Vorteil. Ich könnte nicht allein oder mit Leuten, die bislang nicht involviert waren, diesen Neuanfang gestalten. Es gibt zum Beispiel im Moment Verhandlungen zwischen dem Abraham Geiger Kolleg und dem Zentralrat der Juden. Es ist sehr wichtig, dass nicht nur, wie in der Vergangenheit, Andreas Nachama, der ja für das Abraham Geiger Kolleg mitverhandelt, bei den Verhandlungen vertreten ist, sondern auch die ARK als solche repräsentiert ist und sich etwa am Curriculum für die Rabbinatsausbildung beteiligt. Der Wandel soll keinen Bruch bedeuten, sondern ein Einbeziehen der konstruktiven Kräfte. Diese wurden in der Vergangenheit zu stark ausgegrenzt, was zum System Homolka gehörte. Mit Nils Ederberg ist im ARK-Vorstand jetzt auch das Militärrabbinat vertreten, das in die Gesellschaft hineinwirkt, außerdem gehört er der Masorti-Bewegung an. Ich wiederum bin Vorstandsmitglied des Jüdischen Liberal-Egalitären Verbands JLEV – somit sind die verschiedenen nichtorthodoxen Ausrichtungen des Judentums repräsentiert.
Welche dringlichsten Aufgaben hat die ARK in Zeiten sinkender Mitgliederzahlen in den Gemeinden?
Wir sollten in erster Linie ein Gremium von guten Rabbinerinnen und Rabbinern sein und sie dahingehend empowern, ihre rabbinischen Aufgaben in den Gemeinden zu erfüllen, und dabei überzeugend das liberale und nichtorthodoxe Judentum verkörpern. Wir sollten stärker mit rabbinischen Stellungnahmen zu jüdischen und gesellschaftlichen Themen auffallen. Der beste Kampf gegen Antisemitismus ist eine starke Demokratie. Wir sollten verstehen, dass das Judentum seit dem Auszug aus Ägypten für Freiheit, Demokratie und den Rechtsstaat ist. Wir sollten die heutige jüdische Realität in Deutschland beherzter angehen, inklusiv sein, den patrilinearen Juden die Brücke ins Judentum schlagen, für gemischte Partnerschaften jüdische Möglichkeiten schaffen, eine jüdische Willkommenskultur pflegen. Mir persönlich ist es vor allem wichtig, der jüngeren Generation Gehör zu verschaffen. Ich bin positiv überrascht, dass es eine jüngere Generation an Rabbinerinnen und Rabbinern gibt, die bereit sind, die jüdische Religion weiterzutragen. Letztlich war sie es, die mich motiviert hat zu kandidieren. Wir sind noch lange nicht am Ende.
Von Angeboten an patrilineare Juden ist immer wieder die Rede, auch bei Orthodoxen. Was bieten Sie außer Absichtserklärungen?
Wir haben nicht nur einen neuen Vorstand gewählt, sondern mit Rabbiner Jonah Sievers auch den Organisator für das Beit Din der ARK in Berlin. Mit ihm haben wir einen Rabbiner, der das Anliegen patrilinearer Juden unterstützt, und auch ich werde mich dafür starkmachen. In Frankfurt am Main war es in meinem egalitären Minjan die ganze Zeit Usus, patrilinearen Juden einen Giur zu ermöglichen. Ich hoffe, dass diese Einstellung sich allgemein durchsetzt und die entsprechenden Giur-Kurse bereitgestellt werden. Dafür stehe ich ein.
Mit der neuen ARK-Vorsitzenden und Rabbinerin der liberalen Synagogengemeinschaft »Egalitärer Minjan« in der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main sprach Ayala Goldmann.