Überall in Israel strahlen in diesen Tagen wieder die Lichter der
Chanukkaleuchter, welche die wunderbare Geschichte der jüdischen Kontinuität in die Welt hinaustragen. Diese Lichter erzählen von einem heldenhaften Kampf zur Erhaltung der jüdischen Tradition und Unabhängigkeit Israels, aber sie symbolisieren auch das Streben, den Lebensweg mit dem ewigen Lichte des Gotteswortes zu erleuchten.
Symbol Das Licht der kleinen Ölkrüge oder Kerzen ist in verschiedener Hinsicht ein Symbol für die jüdische Existenz. Im Gegensatz zu allen von der physikalischen Gravität zur Erde hingezogenen Materien strebt das Licht nach oben, und es symbolisiert so das stete Streben nach höheren Werten. Mehr als das: Ein Kerzenlicht kann Hunderte von anderen Kerzen
entzünden, ohne dabei eigene Substanz zu verlieren, und es wird dadurch Symbol für die jüdische Lebenshaltung, die von jedem Einzelnen in unserer Gemeinschaft erwartet, dass er seine Kenntnisse um Inhalt und Werte unserer Tradition ständig weitergibt und andere für das Judentum »Feuer fangen« lässt. Vor allem ist aber das kleine Kerzenlicht ein lebendiges Symbol für das Geheimnis der Chanukkageschichte: Auch eine
kleine Gruppe von der Tradition ergebenen Menschen, in unserem Fall Juden, kann in die düstere, dunkle Welt der Entfremdung und Assimilation Licht und Wärme bringen und sie mit ihrem tiefen Glauben erhellen. Chanukka ist ein Fest des Lichts, und es hat seine Wurzeln in ältesten Zeiten, noch lange vor der Zeit der Hasmonäer.
Geschichte Eine alte talmudische Erzählung verbindet das Licht der Chanukkatage, die im Monatswechsel Kislew/Tewet stattfinden, in besonderer Weise schon mit Adam, dem ersten Menschen in der Welt.
»Als Adam, der erste Mensch, die Tage fortschreitend abnehmen sah, sprach er: Wehe mir, vielleicht wird die Welt, weil ich gesündigt habe, mir verfinstert und in – tohu vavohu – Wüste und Öde zurückkehren. Das ist also der Tod, der vom Himmel über mich verhängt worden ist. Da stand er auf und fastete acht Tage. Als aber die Jahreszeit des Tewet eintraf und er die Tage fortschreitend zunehmen sah, sprach er: Das ist also der Lauf der Welt. Da ging und machte er acht Tage zu Festtagen« (Avoda
Zara 8a).
Die Tage wurden kürzer im ersten Winter nach der Weltschöpfung, und Adam fürchtete, die Welt werde in trostloser Dunkelheit verkommen. Als dann die Tage wieder länger wurden und sich das Licht der Welt mehrte, feierte Adam während acht Tagen ein Fest des Lichts.
Eine andere Tradition schafft einen Zusammenhang zwischen der Errichtung des Stiftzeltes, dem ersten jüdischen Heiligtum, und dem Datum des Chanukkafestes: »Rabbi Chanina sagte: Am 25. Kislew war die Arbeit beim Bau des Stiftzeltes beendet. Von da an war das Stiftzelt zusammengelegt, bis Moshe es am 1. Nissan feierlich zusammenfügte und einweihte« (Kol, 80).
Auch die Einweihung des zweiten Tempels wird mit dem Datum des Chanukkafestes in Verbindung gebracht: »Nun aber achtet doch darauf, wie es euch ergehen wird von diesem Tag an und fernerhin vom Vierundzwanzigsten des neunten Monats an, nämlich von dem Tag an, da der Tempel des Herren gegründet ist. Achtet darauf« (Chaggai 2, 18).
Gebet Jede Generation und ihr Chanukka. »Unser« Chanukkafest hängt direkt mit dem erfolgreichen Aufstand der Hasmonäer gegen ihre Widersacher zusammen und wird interessanterweise mit zwei ganz verschiedenen Erklärungen begründet.
Im täglichen Schmone-Essre-Gebet und beim Tischsegen (Birkat Hamazon) fügen wir während der Chanukkatage einen Abschnitt hinzu, der das Chanukkafest historisch erklärt: »In den Tagen
des Mattitjahu ... und seiner Söhne, als das sündvolle griechische Reich gegen Dein Volk Israel auftrat, Deine Lehre in Vergessenheit zu bringen ..., standest Du ihnen bei in der Zeit ihrer Not, strittest ihren Streit, waltetest ihres Rechts, rächtest ihre Rache, liefertest Stärke in die Hand von Schwachen, Viele in die Hand von Wenigen ... in die Hand derer, die nach Deinen Gesetzen lebten.« Entsprechend dieses Gebetes war es der Sieg der Hasmonäer, der unsere Weisen dazu veranlasste, das
Chanukkafest festzulegen.
Talmud Ganz anders wird die Sache im Talmud erklärt. Dort wird, nach einer ausführlichen Erörterung der Art und Weise, wie die Lichter anzuzünden sind, nach dem Sinn von Chanukka gefragt.
»Was bedeutet das Fest? Die Rabbiner lehrten: Am 25. Kislew beginnen die Tage des Chanukka-Fests, acht Tage sind es, an denen man keine Trauerfeier abhalten, noch fasten darf. Denn als die Griechen in den Tempel eindrangen, verunreinigten sie alle Öle, die im Tempel waren.
Nachdem die Hasmonäer sich ihrer bemächtigt und sie besiegt hatten, suchte man und fand nur ein einziges mit dem Siegel des Hohepriesters versehenes Ölkrüglein, in dem nur so viel war, um einen Tag zu brennen. Da geschah ein Wunder, und es brannte acht Tage« (Talmud, Shabbath 21b).
Entsprechend dieser Quelle – an die auch das Lied »Maos Zur«
erinnert – war es das Wunder des Ölkrügleins, welches zum Chanukkafest führte.
Bedeutung Wie ist diese doppelsinnige Erklärung des Festes zu verstehen? Und wie kann es sein, dass in den talmudischen Quellen lange Zeit nach Einführung des Chanukkafestes noch nach dessen Bedeutung gefragt wird?
Es scheint – und so wird die Doppelbedeutung auch erklärt – dass der Grund für die Chanukkafeier der Sieg der Hasmonäer über ihre politischen und vor allem ideologischen Unterdrücker war. Der Talmud fragt jedoch, warum das Chanukkafest gerade durch das wiederholte Anzünden von Lichtern, jeden Tag eines mehr, gefeiert wird, und die Antwort darauf ist der Hinweis auf das Wunder des Ölkrügleins.
Das Entzünden der Chanukkia – mit Öl oder Kerzen – steht im Zentrum des Festes. Es erinnert an das Ende des hasmonäischen Aufstandes (»Chanu Kaw He«: sie kamen am 25. Kislew zur Ruhe). Es erinnert an die Wiederaufnahme des Dienstes im Tempel (»Chanukkat Hamisbeach«: Einweihung des Altars), und es weist auf die Bedeutung der jüdischen Erziehung hin, die Basis des Chanukkagedankens ist (Chinuch: Erziehung).
Es waren Mattitjahu und seine Söhne, es waren Channa und ihre Kinder, welche sich für die jüdischen Traditionen mit ihrem ganzen Leben einsetzten und so für das Fortbestehen des jüdischen Volkes kämpften. Dank der liebevollen und zielbewussten Erziehung in ihren Familien haben diese Jugendlichen – ähnlich wie der kleine Ölkrug – viel länger und intensiver als erwartet Licht gespendet. Mit ihrer tiefen Traditionsverbundenheit haben sie damals, wie heute, die
Kontinuität des jüdischen Volkes gesichert.
Der Autor ist Dozent an der Bar-Ilan-Universität/Israel