Die beträchtlichste Herausforderung einer Großfamilie ist der tägliche Prozess, das Essen zuzubereiten. Neulich hatte ich mit meiner Frau eine spannende Diskussion über Astronautennahrung, das sogenannte Space Food. Es wurde in den 60er-Jahren – also in der Zeit zwischen dem ersten Menschen im All, Juri Gagarin (1961), und der ersten Mondlandung von Apollo 11 (1969) – entwickelt. Anfangs hatte sie die Form kleiner gepresster Würfel, die den Raumfahrer mit verschiedenen Fetten, Proteinen und Vitaminen ausreichend versorgen sollten.
Meine Frau argumentierte: »Eine geniale Erfindung! Kein kompliziertes Einkaufen Hunderter Zutaten, kein Abputzen, Schälen, Schneiden. Kein Kochen, kein Servieren, kein Abräumen! Auch keine Flecke auf der Kleidung. Praktischer und fortschrittlicher könnte es doch gar nicht sein!«
Steak Ich bin da eher skeptisch. Es geht doch nichts über ein leckeres Steak! Außerdem sollte Essen Form und Farbe haben. Und: So modern ist das Space Food gar nicht. Unser Wochenabschnitt, Beschalach, gibt uns interessante Auskunft über die wohl älteste »Astronautennahrung« der Welt: das himmlische Manna, das berühmte Himmelsbrot.
Wir lesen dazu im 2. Buch Mose 17,15: »Und die Kinder Israels erblickten es, und einer sagte zum anderen: ›Es ist Manna‹, denn sie wussten nicht, was es ist.« Wir haben keine genaue Darstellung von Manna, dennoch wird es in der Tora als »etwas Feines, Knuspriges, fein wie Reif« (16,14), »weiß wie Koriandersamen« und mit dem Geschmack von »Honigkuchen« (16,31) beschrieben.
Es kam jeden Tag auf den Boden der Wüste, bedeckt von oben und unten durch Tau, es musste nicht zubereitet werden, es nahm den Geschmack dessen an, was der Mensch sich gerade vorstellen konnte – auch den eines Steaks. Der Geschmack des Manna war nur für die Kinder Israels vorbehalten, für andere Völker schmeckte es bitter.
Trotz all dieser unglaublichen, ja beinahe »kosmischen« Eigenschaften schafften es die Israeliten, sich über das Manna zu beklagen. Seit dem Auszug aus Ägypten ist gerade mal ein Jahr vergangen, da fangen sie an zu jammern: »Nun aber ist unsere Seele matt, denn unsere Augen sehen nichts als das Manna« (4. Buch Mose 11,6). Wenn nun das Manna so unbeschreiblich war, warum beklagten sich dann die Israeliten? Ist es die reine Fresssucht, die sie antrieb, oder verbirgt sich etwas Tieferes in diesem Wunsch nach fester Nahrung?
Der frühere Rosch HaJeschiwa des Berliner Rabbinerseminars, Yoel Smith, pflegte das folgende Gleichnis aus dem Midrasch zu bringen, um diese Frage anschaulich zu beantworten: Berel konnte es kaum mehr aushalten – 20 Jahre lang nur Manna! Ein ordentliches Essen, saftiges Fleisch, frischer Fisch, ein paar knackige Gurken – ist das denn zu viel verlangt? Der böse Trieb nagte an Berel, bis der arme Mann seinen Widerstand aufgab und sich auf den Weg zu einer der umliegenden Städte machte.
Bei den Moabitern angekommen, fragte er sofort nach dem nächsten Steakhouse. Was man dort servierte, überstieg seine Vorstellungskraft: frisch gegrillte Dorade mit Butter und Kräutern, knusprig gebratene Ente und als Krönung ein Steak vom Reh. Berel war an der Grenze seiner Lust angelangt. Gibt es etwas Köstlicheres als diese Speisen?
Moabiter Euphorisch kehrte Berel zu seinen Brüdern in die Wüste zurück und berichtete von seinen Erfahrungen in dem moabitischen Steakhouse. »Freunde«, sagte er, »ihr wisst ja gar nicht, was ihr verpasst: 20 Jahre lang nur Manna, wer kann das aushalten? Bei den Moabitern gibt es gebratenes Geflügel, leckeren Fisch und gegrilltes Wild. Dieser Geschmack ist mit nichts zu vergleichen!«
Je länger Berel erzählte, desto mehr Männer versammelten sich um ihn herum, bis auch Mosche davon hörte. Er kämpfte sich durch die Menge, um zu Berel zu gelangen. Er fragte ihn, was passiert sei und warum das Volk sich versammele. Da erzählte Berel erneut seine Geschichte.
Als er fertig war, wandte sich Mosche an die Männer und sagte bitter: Hartnäckiges Volk, der Allmächtige schickt euch das Manna vom Himmel. Es ist eine Wunderspeise, die schon am ersten Tag der Schöpfung erschaffen wurde. Seit 20 Jahren ernährt es uns, ist es unser tägliches Brot. Am Morgen steigt der Tau auf, in dem das Manna gekommen ist, und verdunstet. Das Mann gibt seinen Geschmack der Erde und dem Wasser. Die Tiere, die du gegessen hast, Berel, sind nichts anderes als das Manna, das sie gegessen haben! Es nimmt den Geschmack einer jeden Speise an, nach der ihr gerade Verlangen habt – auch den Geschmack von Steak.
Der Sinn dieser Geschichte ist offensichtlich. Das bekannte Sprichwort vom Gras, das ausgerechnet auf der anderen Seite immer grüner sei, trifft hier besonders gut zu. Die moralische Lehre, mit dem zufrieden zu sein, was man hat, ist in der Realität schwer zu erreichen – aber gerade das ist das Ziel.
Das himmlische Manna lehrt uns bis heute, nicht nach etwas Fremdem, nach dem grünen Gras in der Ferne zu suchen, sondern aus unserer eigenen Stärke Kraft zu schöpfen und unsere jüdische Tradition zu bewahren.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim-Oberhausen.
Paraschat Beschalach
Der Wochenabschnitt erzählt, wie die Kinder Israels auf der Flucht vor dem Pharao und seinen Truppen trockenen Fußes das Schilfmeer durchquerten. Es öffnete sich vor ihnen und schloss sich hinter ihnen wieder, sodass die Männer des Pharao in den Fluten ertranken. Danach beginnt der eigentliche Weg Israels durch die Wüste. Es wird berichtet, wie der Ewige die Menschen mit Manna und Wachteln versorgt und sie auffordert, Speise für den Schabbat beiseitezulegen. Dennoch fehlt es an Wasser, und die Kinder Israels beschweren sich bei Mosche. Der lässt daraufhin Wasser aus einem Felsen hervorquellen. Schließlich werden die Israeliten von Amalek angegriffen, aber sie schlagen ihn.
2. Buch Mose 13,17 – 17,16