Glauben

Das Prinzip Hoffnung

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Die einzigartige Identität der israelischen Gesellschaft besteht aus einer beeindruckenden Sammlung nationaler Traumata. Auch in dieser Generation sind wir wieder gezwungen, unsere Kinder in einer bedrohlichen Gegenwart großzuziehen. Doch unsere Erfahrungen, die Geschichten unserer Eltern und Großeltern helfen uns auch, zu lernen, mit der Angst umzugehen. Unser Lehrer dafür heißt Hoffnung.

Der chassidische Rabbi Nachman von Brazlaw (1772–1810) beschreibt in seiner »Geschichte von dem Königssohn und dem Sohn der Magd« eine Szene der großen Angst.

Jeden Morgen erschallt eine starke Stimme aus dem tiefen Wald, und die Hauptfigur der Geschichte, ein Prinz, fürchtet sich sehr. Schließlich traut er sich, einen Waldgeist zu fragen: »Was ist diese Stimme, die in der Morgenfrühe über den Wald braust?«

Und der Waldgeist antwortet ihm: »Das ist das Lachen, mit dem der Tag die Nacht auslacht, wenn die Nacht ihn angesichts der herannahenden Dämmerung fragt: ›Warum habe ich keinen Namen mehr, wenn du kommst?‹ Und da bricht der Tag in Gelächter aus und nimmt Besitz von der Erde.«

Die schwedische Schriftstellerin Selma Lagerlöf (1858–1940) schrieb: »Kurz bevor die Sonne aufgeht, ist die Nacht am dunkelsten.« Vielleicht ist das astronomisch nicht korrekt, doch in diesem Satz steckt eine philosophische Wahrheit.

Das von Rabbi Nachman beschriebene Lachen ist ein direkter Ausdruck von Emuna, der Kraft des Glaubens. Sie befähigt uns, Freude und Leichtigkeit auch in dunklen Zeiten zu finden und die Kontrolle über unser eigenes Leben zu behalten.

Kurz bevor die Sonne aufgeht, scheint die Nacht am dunkelsten.

In Griechenland sagt man: »Das Werk der Nacht sieht der Tag – und lacht.« Viele kennen eine solche Angst, die sich nachts immer größer vor einem auftürmt und einen vielleicht nicht schlafen lässt. Doch am nächsten Morgen entpuppt sich dieses »Monster« als gar nicht so wild, und im Endeffekt stellt sich heraus: Alles diente zum Besten.

Genau das lehrt mich ständig mein Rabbi, Rabbiner Schalom Arusch. Er erklärt nämlich, dass die Emuna, die Kraft des Glaubens, drei Säulen hat: Erst einmal muss ich davon überzeugt sein, dass alles von Gottes Hand herbeigeführt wird und alles zu unserem Besten dient. Und erst, wenn ich diese zwei Dinge beherzige, kann ich mich mit der Frage auseinandersetzen, was Gott eigentlich von mir will.

Die Nacht symbolisiert die Dunkelheit, die Unsicherheit oder Schwierigkeiten, die wir in unserem Leben erleben. Finsternis kann tatsächlich erdrücken und Angst machen. Doch »Aufgepasst!«, sagt Rabbi Nachman, nicht wir, sondern die Nacht ist diejenige, die sich fragt, warum sie keinen Namen mehr hat, wenn der Tag kommt! Licht ist stärker als jede Dunkelheit, und die Emuna leitet Licht in unser Leben. Wir sollten also damit aufhören, Haschem zu erzählen, wie groß unsere Probleme sind, und stattdessen unseren Problemen erzählen, wie groß Haschem ist!

Emuna, die Kraft des Glaubens, sie ist das Lachen des Tages, sie löst in uns eine Art der Befreiung und Erleichterung aus. Trotz der Herausforderungen und Unsicherheiten geht das Leben weiter, und mit Haschems Hilfe sind wir in der Lage, alles zu überwinden.

Im späteren Verlauf der Geschichte von Rabbi Nachman finden wir die Erzählung von einem unglaublich schönen Park. Allerdings gerät jeder, der diesen Park betritt, in große Panik und verliert seinen Verstand. Wie kann das sein? Im Park befindet sich alles Schöne, was die Welt zu bieten hat. Doch die Statue des Königs steht draußen. Und genau hier verbirgt sich das Problem und die Lösung: Der Park symbolisiert unser Leben – und die Königsstatur Haschem. Ohne G’tt geraten wir in Panik.

Wir müssen Haschem in den Mittelpunkt unseres Lebens stellen. Rabbi Nachman sagt: »Andere betrachten den Glauben als eine Kleinigkeit. Ich aber halte ihn für eine äußerst großartige Sache.« Er lehrt: »Glaube ist wie ein schöner Palast mit vielen schönen Räumen. Man betritt ihn und wandert in ihm von Raum zu Raum, von Flur zu Flur … Von dort wandert man weiter im Vertrauen … dann weiter und weiter. Wie glücklich ist der, der im Glauben wandelt!«

Der Prinz, der sich in der Geschichte von Rabbi Nachman so vor dem Lachen im Walde gefürchtet hatte, findet am Ende der Geschichte sein Lebensglück, weil er wusste, dass er als Individuum in Gottes Augen sehr wichtig ist, dass er, wie weit er auch von Gott entfernt sein mag, die Macht hat, zu Ihm zurückzukehren, und das ganz gleich, wie er momentan sein Leben führt. Er wusste, dass er die innere Stärke besitzt, seine Gewohnheiten zu ändern, dass er das Selbstvertrauen hat, mit anderen umzugehen, dass auch er die Fähigkeit hat, ein Gerechter, ein Zaddik, zu werden.

Dies ist die Lehre der Erzählung: Haschem will nicht, dass wir in ständiger Angst leben, sondern uns mit unseren Stärken und positiven Eigenschaften auseinandersetzen und uns auf konstruktive Weise weiterentwickeln. Nur mit Haschem können wir aus unseren Fehlern lernen und uns auf positive Veränderungen konzentrieren.

Frage dich: Habe ich heute schon in den Himmel geschaut?

Rabbi Nachman betont immer wieder die Bedeutung jenes Vertrauens in G’tt. Wir sollen alle unsere Ängste und Sorgen G’tt übergeben, indem wir uns auf Seine Führung verlassen. »G’tt ist immer bei dir. Er ist dir nahe! Er ist neben dir! Hab keine Angst!«

Für schwierige Situationen, für Verzweiflung und sich auftürmende Angst entwickelte Rabbi Nachman eine Art Regulationsfrage: »Hast du heute schon in den Himmel geschaut?«

Wenn wir uns also mit Schwierigkeiten konfrontiert sehen, dann können wir uns an seinen Ausruf erinnern: »Verzweifle nie! Gib niemals auf!« Schließ deine Augen, atme einmal tief durch und sprich ein Gebet zu G’tt.

Der Autor arbeitet als Rabbiner und Paar- und Familienberater in Jerusalem.

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