Unser Wochenabschnitt beschreibt das Stiftszelt und seine Gerätschaften sehr detailliert – aber die Beschreibung ist nicht ausreichend genau, um damit einen Nachbau anfertigen zu können. Selbst die Menora, der bekannte siebenarmige Leuchter, von dem viele eine konkrete Vorstellung haben, ist nicht so beschrieben, dass man ihn nachbilden könnte.
In zehn Versen geht es um den Bau der Menora, eines sehr kunstvoll verzierten Leuchters aus massivem Gold. Aber die Anweisung endet mit den Worten: »Sieh zu, dass du sie machst nach dem Vorbild, das dir gezeigt worden ist auf dem Berg« (2. Buch Mose 25,40). Der Kommentator Raschi (1040–1105) merkt an, Mosche habe die Anweisung offenbar selbst nicht ganz verstanden, deshalb wurde ihm ein Modell aus Feuer gezeigt.
Der Gedanke stammt von Rabbi Josef, dem Sohn von Rabbi Jehuda, der im Talmud (Menachot 29a) sagt: »Eine Lade aus Feuer, ein Tisch aus Feuer und ein Leuchter aus Feuer kamen vom Himmel herab; Mosche besah sie und fertigte solche.« Welches Feuer? Möglicherweise eines aus dem Toraabschnitt der vergangenen Woche. Dort wird von Mosches Aufenthalt auf dem Sinai erzählt. Es heißt: »Die Herrlichkeit des Ewigen lag auf dem Berg Sinai; die Wolke verhüllte sie sechs Tage. Gʼtt rief Mosche am siebten Tag aus der Wolke. Der Anblick der Herrlichkeit Haschems war wie ein brennendes Feuer auf dem Gipfel des Berges vor den Augen der Kinder Israels. Mosche ging in die Wolke und stieg den Berg hinauf; Mosche blieb auf dem Berg 40 Tage und 40 Nächte« (2. Buch Mose 24, 16–18).
Der Anblick der Herrlichkeit Haschems war wie ein brennendes Feuer auf dem Gipfel des Berges vor den Augen der Kinder Israels
Ist es möglich, dass Mosche das ganze Bauwerk bereits auf dem Sinai gezeigt wurde? Dass Mosche sechs Tage bis zur Fertigstellung warten musste und dann eintrat? Demnach gäbe es eine Art »Modell« des Mischkan, das Gʼtt selbst entworfen hat.
Warum soll dieses Modell dann umgesetzt werden? Auch diese Frage beantwortet unsere Parascha in einem Schlüsselsatz: »Sie sollen Mir errichten ein Heiligtum (Mikdasch), und Ich werde wohnen in ihrer Mitte« (2. Buch Mosche 25,8).
Der Satz sagt gleich mehrere Dinge aus. Die offensichtliche Aussage ist, dass die Kinder Israels für Gʼtt ein Mikdasch errichten sollen. Ein Mikdasch ist der Bedeutung nach ein geheiligter Ort – also kein heiliger Ort. Dieser Unterschied ist sehr wichtig: Der Ort hat eine Beziehung zu etwas Heiligem, aber er selbst ist es nicht. Der Satz sagt ebenso aus: Bis zu diesem Zeitpunkt »wohnte« Gʼtt nicht in der Mitte der Kinder Israels. Schließlich sagt der Satz auch, dass Gʼtt nach der Fertigstellung des Mikdasch nicht darin wohnt, sondern inmitten der Kinder Israels. Zusammengefasst: Damit Gʼtt in der Mitte der Kinder Israels wohnen kann, sollen sie einen Mikdasch errichten.
Der Ort hat eine Beziehung zu etwas Heiligem, aber er selbst ist es nicht
Wir fragen uns: Welcher Ort war denn vor dem Mischkan dafür vorgesehen? Die Beantwortung dieser Frage schließt den Kreis zum »Modell-Mischkan«. Denn bei der Übergabe der Zehn Gebote heißt es: »Haschem sprach zu Mosche: So sollst du zu den Israeliten sagen: Ihr habt selbst gesehen, dass Ich vom Himmel aus zu euch gesprochen habe. Deshalb sollt ihr euch bei Mir keine silbernen Götter und keine goldenen Götter machen« (2. Buch Mose 20, 19–20).
Die »Niederlassung« (um ein anderes Wort für Wohnung zu verwenden) Gʼttes ist demnach im Himmel und nicht auf der Erde. Wenn Er sich auf der Erde offenbart, dann tut Er das an bestimmten Orten – ist aber überall verfügbar, wo man Ihn anruft. Aus Seiner Niederlassung im Himmel (20,22) ist Gʼtt dann herabgestiegen (16,11) – in einem dicht rauchenden Feuer (19,18).
Abraham Ibn Ezra (1089−1167), einer der großen Exegeten des Mittelalters, verwies auf das Wort Mikdasch aus dem Lied am Schilfmeer (2. Buch Mose 15,17). Dort, am Schilfmeer, ist »Mikdasch« der Sinai: »Du wirst sie auch bringen auf den Berg Deines Eigentums, die Stätte, die Du zu Deinem Sitz gemacht hast, Haschem; das Mikdasch, Ewiger, das Deine Hände errichtet haben.«
Vom Himmel zum Sinai, vom Sinai zum Mischkan
Unser Mischkan, der Name des Zeltes mit den umgebenden Einrichtungen, ist also ein »tragbarer Sinai«, und auch der Sinai ist nur eine Zwischenstufe, denn ursprünglich ging es um den Himmel. Vom Himmel zum Sinai, vom Sinai zum Mischkan. Der tragbare Sinai ist demnach wiederum nur ein Abbild des Himmels. Und wie es im Talmud (Chagiga 12b) einen »Himmel« (Schamajim) und einen »Himmel der Himmel« (Schmej HaSchamajim) gibt, so gibt es auch im Mikdasch, wie wir in unserem Abschnitt lesen, einen Vorhof und einen Bereich mit dem Allerheiligsten.
Als Mosche auf dem Berg war, wurde er nach dem Ablauf von sechs Tagen, also am siebten Tag, gerufen. Die Anspielung auf die Schöpfung und damit auch auf den Schabbat ist offensichtlich. Als das »Modell« gefertigt wurde, also an ihm gearbeitet wurde, musste Mosche warten, und erst am siebten Tag durfte er das fertige Werk betrachten. So wird es auch später den Kindern Israels gehen, wenn sie das Stiftszelt immer wieder erneut errichten und am Schabbat die Arbeit unterbrechen und sich der Heiligkeit des Tages widmen.
»Meine Schabbatot beobachtet, und meine Heiligtümer (Mikdaschim) ehrt. Ich bin Haschem.«
Der gesamte Abschnitt zum Bau des Mikdasch endet später mit den Worten: »Also wurde vollendet das ganze Werk am Mischkan des Ohel Moed; die Kinder Israels hatten es gemacht« (2. Buch Mose 39,32). Auch hier ist die Bezugnahme auf die Schöpfung offensichtlich. Später heißt es in der Tora: »Meine Schabbatot beobachtet, und meine Heiligtümer (Mikdaschim) ehrt. Ich bin Haschem« (3. Buch Mose 19,20). Mikdasch und Schabbat sind also verbunden.
Der Schabbat ist in der Zeit, was das Mikdasch im Raum ist. Beide erinnern an Gʼttes Gegenwart unter den Menschen. Das Mikdasch kann heute nicht wiedererrichtet werden. Jede konkrete Darstellung kann lediglich gut – oder schlecht – geraten. Es ist schlichtweg nicht zugänglich. Aber der Schabbat mit der Erinnerung an die Schöpfung und natürlich auch an den Mikdasch ist heute für uns da. Der Abschnitt Truma zeigt dies, und er zeigt auch, wie verwoben der Text der Tora ist. Was als reine Schilderung wahrgenommen wird, ist eine Bezugnahme auf andere Stellen in der Tora. Sie ist eine Konstruktion aus vielen Einzelteilen. Wie das Mikdasch.
Der Autor ist Blogger und lebt in Gelsenkirchen.
inhalt
In dem Wochenabschnitt Truma fordert der Ewige die Kinder Israels auf, für den Mischkan, das Stiftszelt, zu spenden. Die Parascha enthält genaue Anweisungen zum Bau der Bundeslade, des Tisches im Stiftszelt, des Zeltes selbst und der Menora. Den Abschluss bilden Anweisungen für die Wand, die das Stiftszelt umgeben soll, um das Heilige vom Profanen zu trennen.
2. Buch Mose 25,1 – 27,19