Wer kennt nicht die Geschichte der 1982 erschienenen amerikanischen Action-Serie Knight Rider? Bereits das Intro beinhaltet folgende Wörter: Auto, Computer, Mann.
Die Geschichte ist einfach erklärt: Der ehemalige Polizist Michael Arthur Long, später bekannt als Michael Knight, erhält von einer Stiftung für Recht und Verfassung den Auftrag, gegen Unrecht und Verbrechen zu kämpfen.
K.I.T.T. Ihm zur Seite steht sein sprechendes Auto K.I.T.T., das durch einen mit künstlicher Intelligenz versehenen Computer selbst fahren kann. Zusammen lösen Knight und der Computer in actiongeladener Spannung die kniffligsten Aufgaben erfolgreich und »reiten« im Abspann dem Sonnenuntergang entgegen.
So viel zum romantischen Gedanken an ein selbstfahrendes Auto. Im wirklichen Leben ist das um einiges schwieriger als im obigen Beispiel mit einem Supercomputer im Auto. So ereignete sich vor Kurzem bei einer Testfahrt eines Tesla-Fahrzeugs im Autopilotmodus ein folgenschwerer Unfall mit Todesfolge. Ein selbstfahrendes Auto, gesteuert durch einen Computer, mit einem Testpiloten an Bord, fuhr gegen einen Lastwagen. Der Testpilot überlebte diesen Unfall nicht. Vorläufige Ermittlungen weisen darauf hin, dass der Computer die weiße Farbe des Lastwagens vom hellen Himmel nicht unterscheiden konnte und es dadurch zu dem tödlichen Unfall kam.
Durch diese Tragödie ist die Öffentlichkeit alarmiert worden. Plötzlich sind selbstfahrende Autos real ins Bewusstsein der Menschen gerückt, und man fühlt sich mit der Frage konfrontiert: Brauchen wir so etwas? Bedingt durch den Unfall ist die weltweite Zustimmung für vollautonome Fahrzeuge gesunken. Zu groß ist die Skepsis, sich voll und ganz nur auf einen Computer verlassen zu wollen. Hinzukommt, dass viele Autofahrer es genießen, ihren Wagen selbst zu lenken.
Tücken Dass die Moderne ihre eigenen Tücken hat, ist selbstverständlich nicht nur ein jüdisches Dilemma, sondern gilt weltweit. Die Herausforderungen, die uns durch neue technische Erfindungen einholen, sind groß, und das sowohl aus ethischer, moralischer und aus halachischer Sicht.
Bereits die Einführung der Elektrizität führte bei jüdischen Gelehrten des 20. Jahrhunderts zu immensen halachischen Diskussionen. So stand die »einfache Frage« im Raum: Darf man am Schabbat Elektrizität benutzen oder eher nicht? Der moderne Mensch schaltet heute gedankenverloren eine Lampe sowohl ein als auch aus, ohne sich dabei zu überlegen, welch ausgeklügeltes und technisch hochkompliziertes System er dadurch in Gang setzt.
Auch das selbstfahrende Auto ist heute ein Dilemma, das uns herausfordert und uns eine Antwort abverlangt, wie damit umzugehen ist. Ein Auto, gesteuert durch einen Computer, scheint zuerst eine interessante Idee zu sein, die unseren Alltag um vieles erleichtern würde.
Stellen wir uns eine Autofahrt von Berlin nach Paris vor, die es uns erlaubt, uns um unsere Familie und Freunde zu kümmern, das Büro zu kontaktieren, eine Zeitung zu lesen oder gar einfach nur eine Mütze voll Schlaf zu nehmen. Und all das im eigenen Auto – ein sorgloses und entspanntes Autofahren wäre die Folge. Doch hier beginnen die eigentlichen Probleme: Wie »denkt« das Auto beziehungsweise dessen Computer in brenzligen Situationen, wie soll es programmiert werden?
Nehmen wir einmal an, es kommt zu einem Unfall, und der Computer des Autos muss im Bruchteil einer Sekunde entscheiden, wer durch eine gezielte Reaktion seinerseits verletzt wird – die Autoinsassen oder jemand außerhalb des Autos?
Oder wenn wir es noch komplexer machen möchten: Der Computer des Autos erkennt, dass durch eine Panne unser Wagen in einen Unfall verwickelt sein wird. Das Tragische dabei ist, dass dieser Computer nun die Wahl hat – er kann untätig bleiben und in eine Gruppe von Menschen fahren, oder er lenkt den Wagen entweder nach links oder nach rechts und fährt dort jeweils eine Person um.
Was soll er also tun? Durch Untätigkeit mehrere Menschenleben gefährden oder durch Tätigkeit eine Person umfahren? Nach welchen Kriterien wird sich der Computer entscheiden müssen? Stellt er das Wohl vieler über das Wohl eines Einzigen? Oder ist das Wohl eines Einzigen genauso viel wert wie das Wohl von vielen? Was wäre gerechter? Gibt es hier überhaupt eine gerechte Lösung?
Künstliche Intelligenz Der berühmte amerikanische Autor Isaac Asimov hat sich bereits in der Kurzgeschichte »Robbie« (1940) dieses Problems der Künstlichen Intelligenz angenommen. So überlegte er, wie künstliche Gehirne bei Robotern funktionieren sollten, damit sie nicht wie in einer Frankenstein-Erzählung ihren eigenen Erschaffer vernichten sollen, sondern vielmehr ihr Erfinder geschützt ist vor dem Handeln seiner Schöpfung.
Und so erfand er 1942 erstmals in der Kurzgeschichte »Runaround« die drei Gesetze der Robotik: 1. Ein Roboter darf einem Menschen keinen Schaden zufügen oder durch Untätigkeit zu Schaden kommen lassen. 2. Ein Roboter muss dem Befehl eines Menschen gehorchen, es sei denn, ein solcher Befehl steht im Widerspruch zum ersten Gesetz. 3. Ein Roboter muss seine eigene Existenz schützen, solange er dadurch nicht mit dem ersten oder dem zweiten Gesetz in Widerspruch gerät.
Doch so weit wie bei Asimov müssen unsere Überlegungen gar nicht gehen, denn das selbstfahrende Auto macht noch keine ethisch-moralischen Entscheidungen bezüglich Leben und Tod.
Hier erfolgt noch keine Abwägung höheren Ranges, sondern vielmehr wird zwischen Hindernis und Nicht-Hindernis unterschieden. Demnach weist dann der Computer an, ob das Auto fährt, bremst oder stehen bleibt. Doch sollte es eines Tages so weit sein, dass ein Computer über die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz verfügt und eigenständig abwägen kann, welche Entscheidungen nach moralischen beziehungsweise ethischen Gesichtspunkten zu treffen sind, spätestens dann werden wir für uns selbst überlegen müssen, was wir einem solchen Computer beibringen wollen.
Aus heutiger Sicht erscheint es mir schwierig, auf die Frage: Wie entscheidet ein Computer, wenn er die Wahl hat, »wer leben soll und wer nicht«, eine richtungsweisende Antwort zu geben. Wir befinden uns in einer Zeit, in der einstige Science-Fiction zu greifbarer Gegenwart geworden ist. Wir werden uns dieser Realität und ihren Fragen verstärkt stellen müssen, egal, ob wir dafür oder dagegen sind.
Aus halachischer Sicht ist es schon etwas einfacher, eine Antwort auf die Frage einer Kollision mit einem selbstfahrenden Auto zu finden. Natürlich werden wir auf den ersten Blick in der klassischen Halacha nicht fündig, wenn wir direkt über selbstfahrende Autos nachschlagen.
Doch wird uns eine gewisse Kreativität abverlangt, die es uns ermöglicht, altertümliche Betrachtungen und Bewertungen in die heutige Zeit zu übertragen. Eine halachische Überlegung im Fall von zivilrechtlichen Schädigungsregelungen finden wir im Talmudtraktat Nesikin im Unterabschnitt Bawa Kama.
Zivilrecht Das Zivilrecht im Talmud, auch bekannt als Dine Mamanot (Geldgesetze), ist eine der ausführlichsten Beschreibungen und Überlegungen auf diesem Gebiet. Die Weisheit dieses Textes wird als unerschöpfliche Quelle beschrieben, da sie im Gegensatz zu anderen Rechtsvorschriften einem unendlichen Wandel unterworfen ist, bedingt durch das menschliche Beziehungsfeld und sein Handeln auf wirtschaftlich-geschäftlicher Ebene.
»Vier Väter« Hier finden wir auch die Einteilung in vier Hauptkategorien, die sogenannten vier Väter der Schäden, die als Gemeinsamkeit haben, nicht vom Menschen direkt verursacht worden zu sein. Die Kategorien sind: der Ochse, die Grube, die Abweidung und das Feuer.
Diese »vier Väter« stehen nur symbolisch für die einzelnen Fallmöglichkeiten und sollen immer im übertragenen Sinne für jegliche Schäden gesehen werden. In unserem Fall wollen wir einfach davon ausgehen, dass ein selbstfahrendes Auto einen Sachschaden verursacht hat. Beim Fahren ist ein Reifen geplatzt, und der Computer des Autos hat den Wagen sicher, ohne Menschen zu verletzen, gegen ein parkendes Auto gelenkt und somit zum Stehen gebracht.
Verursacher Entstanden ist also ein Sachschaden für das parkende Auto, für den der Verursacher, der Eigentümer des selbstfahrenden Autos, aufkommen muss. Da Autos als leblose Gegenstände betrachtet werden, würden wir hier mit der Kategorie »Feuer« arbeiten. Gemäß der Denkweise unserer Gelehrten im Talmud kann ein Feuer direkt gelegt werden oder durch Unachtsamkeit Schaden anrichten.
Dazu gibt es den Ausdruck: »Jemandes Feuer ist wie seine Pfeile«. Das bedeutet nichts anderes, als dass man für Pfeile, die man abschießt, selbst verantwortlich ist. Zerstöre ich mit einem Pfeil unabsichtlich den Besitz einer Person, bin ich zur Entschädigung verpflichtet.
Das selbstfahrende Auto wird also zum »Pfeil«. So betrachtet man nach halachischer Sichtweise Schäden, wobei wir natürlich auch an die zivilrechtlichen Gesetze des jeweiligen Landes, in dem wir leben, gebunden sind und gegen diese nicht verstoßen dürfen.
Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Berlin.