An den bevorstehenden Festtagen von Pessach werden die Kohanim, die Priester, wieder die Gemeinde segnen. Oft wird gefragt, warum dieser Segen von den Kohanim vorgenommen wird. Unterstreicht das Judentum nicht immer wieder das Streben nach einer direkten Beziehung zu G’tt, ohne die Mithilfe von Vermittlern?
In zahlreichen jüdischen Gemeinden war der Segensspruch der Priester Anstoß reger Diskussionen, nicht zuletzt auch deshalb, weil gemäß der Halacha auch jene Gemeindemitglieder andere »segnen« können, die kein traditionelles jüdisches Leben führen.
Durch eine Analyse des Priestersegens lässt sich die Funktion der Kohanim bei diesem Akt klären: »G’tt sprach zu Moses: Sprich zu Aharon und seinen Söhnen: So sollt ihr Israels Söhne segnen, ihnen sagen: Es segne dich G’tt und behüte dich. Es erleuchte G’tt dir dein Angesicht und sei dir gnädig. Es wende dir G’tt sein Antlitz zu – und gebe dir Frieden. Und sie legen meinen Namen auf die Söhne Israels, und ich segne sie« (4. Buch Moses 6, 22-27).
Vorbeter Der Text des Priestersegens ist festgelegt. Deshalb spricht der Vorbeter beim G’ttesdienst in der Synagoge den Priestern auch jedes Wort vor. Zudem lässt sich aus der Stelle verstehen, dass die Kohanim durch ihren Segen den Kindern Israels den Namen G’ttes verkünden und dass schließlich G’tt sie segnen wird – »und ich segne sie«.
Dies geht auch aus dem Segen selbst deutlich hervor: »Es segne dich G’tt. Es erleuchte G’tt dir dein Angesicht. Es wende G’tt dir sein Antlitz zu.« G’tt steht im Zentrum dieses Segens. Es ist sein Segen. Welche Aufgabe kommt dann aber dem Priester zu? Er soll dem Volk seine Abhängigkeit von G’ttes Segen verdeutlichen.
Die Priester hatten seit jeher eine bedeutende Rolle als Erzieher (»Des Priesters Lippen sollen die Lehre bewahren, und Tora soll man von seinem Munde erfahren.« Malachi 2,7) Und so ist es am Priester in seiner Funktion als Erzieher, das Volk zum Segen G’ttes zu erziehen.
Dieser Gedanke lässt sich noch besser verstehen, wenn wir jene Mischna hinzuziehen, die den Sieg Josuas über Amalek behandelt. Während des bedeutsamen Kampfes saß Moses mit erhobenen Händen seinem Volk gegenüber, und solange seine Hände erhoben waren, war Josua erfolgreich (2. Buch Moses 17,12).
Hände »Sind es die Hände Moses, die im Krieg über Sieg oder Niederlage bestimmen? Nein. Solange die Kinder Israels nach oben blicken und ihr Herz ihrem Vater im Himmel zuwenden, werden sie die Oberhand über ihre Feinde haben, tun sie dies nicht, so werden sie ihnen unterliegen.« (Rosch Haschana 3,8)
In Analogie zur Mischna können wir sagen: »Sind es die erhobenen Hände der Kohanim, die uns den Segen bringen? Nein. Sie symbolisieren lediglich die Abhängigkeit von G’ttes Segen.«
Der Priestersegen ist ein erzieherischer Akt: Der Kohen wendet sich zum Segen der Gemeinde zu. Er erhebt die Hände als Ausdruck der Verbundenheit mit der Gemeinde. Zudem wird das jüdische Volk im Segen in der Einzahl aufgerufen – »Es segne dich G’tt und behüte dich« –, um zu betonen, dass nur ein geeintes Volk auf G’ttes Segen hoffen kann.
So dankt der Priester G’tt dafür, das Volk mit Liebe, »behawa«, segnen zu dürfen. Er segnet es mit Liebe, wünscht ihm aber auch Kraft zum Lieben, denn nur, wenn Liebe und gegenseitiges Verständnis zwischen den Mitgliedern der Gemeinde herrschen, sind die Versammelten auch G’ttes Segen würdig.
Dadurch wird verständlich, warum gemäß der Halacha der Priestersegen auch dann vorgenommen wird, wenn ein Minjan ausschließlich aus Kohanim besteht und alle zehn gemeinsam den Segen sprechen (Rambam, Hilchot Tefila 15,9).
Die Priester segnen nicht – sie erziehen, auch sich selbst. Nur eine Gemeinschaft, die sich ihrer Abhängigkeit von G’ttes Segen bewusst ist und alles daran setzt, dieses Segens würdig zu sein, kann G’ttes Segen auch erhoffen.